Interview | Taschendiebstähle - "Es ist ein Spiel mit der Unachtsamkeit der Leute"
Dichtes Gedränge oder Ablenkungsmanöver – und schon ist das Portemonnaie oder das Handy weg. Der Berliner Kriminaldirektor Lothar Spielmann kennt die Tricks, die meist recht simpel sind, und gibt Tipps, wie man sich schützen kann.
rbb: Herr Spielmann, kann man Taschendiebstähle wirklich verhindern?
Lothar Spielmann: Man kann sie tatsächlich verhindern, indem man einfach sein eigenes Verhalten auf die Situation anpasst. Es gibt bestimmte Dinge, die sollte man unterlassen. Positiv formuliert: Packen Sie Ihre Wertsache in die innenliegenden verschließbaren Taschen der Oberbekleidung. Dann macht man es den Taschendieben schon wesentlich schwerer.
Welche Tricks haben Taschendiebe?
Es ist in gewisser Weise simpel. Es ist ein Handwerk. Es ist tatsächlich ein Spiel mit der Unachtsamkeit der Leute auf der einen Seite. Wo Sie Ihre Wertsachen, Handy, Portemonnaie in den außenliegenden Taschen vor allem deutlich sichtbar zeigen, müssen Sie sich ehrlich gesagt nicht wundern, wenn es vielleicht irgendwann nicht mehr da ist. Auf der anderen Seite sind die Täter aber auch so pfiffig, dass sie bestimmte Situationen provozieren, die es ihnen dann erlaubt, die Sachen wegzunehmen.
Was meinen Sie da genau?
Es ist zum Beispiel dieser berühmte Trick, dass Sie jemand ablenkt, Ihnen einen Stadtplan zeigt, weil er etwas sucht und um Hilfe bittet. Und wenn dann der Stadtplan weg ist, dann fehlt das Handy, das eben noch auf dem Tisch gelegen hat. Oder es wird eine Situation provoziert, zum Beispiel beim Einsteigen in den Bus oder in die U-Bahn, sodass man kurzfristig aufgehalten wird. Das ist in Berlin nichts Ungewöhnliches.
Die Berliner sind nicht unbedingt höflich, wenn es um derartige Situationen geht. Von daher machen sie sich auch keine Gedanken. Nur in dieser Situation, wo es kuschlig wird, wo es eng wird, wo vorne gedrückt, hinten gezogen wird, merkt man eben auch nicht, wenn jemand in die Tasche greift. Und erst später, wenn man vielleicht beim Bäcker steht und die Brötchen bezahlen will, merkt man, dass das Portemonnaie weg ist.
Gibt es aktuelle Trends oder eine moderne Technik, die Taschendiebe einsetzen?
Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Das ist tatsächlich 'old school' kann man fast sagen. Was seit vielen, vielen Jahren funktioniert, wird immer weiter angewendet. Es ist auch eine situative Situation. Die Taschendiebe gucken anders als der Tourist auf die Stadt oder anders als der normale Passant einfach auf Taschen, Wertsachen. Wo sie sehen, das sieht gut aus, da versuchen sie es. Wenn es klappt, dann klappt es. Wenn es nicht klappt, suchen sie weiter, denn drei Schritte weiter läuft der Nächste durch die Gegend und passt wieder nicht auf. Im Supermarkt, um mal auf dieses Beispiel zu kommen, werden die Handtaschen und die Einkaufstaschen einfach im Wagen abgestellt. Der Wagen wird irgendwo hingestellt, dann stellt man sich vors Regal, guckt sich die 300 Joghurts an und in diesem Augenblick kann der Taschendieb ganz einfach zugreifen - und Sie kriegen es leider nicht mit.
Der Supermarkt ist ein ganz besonderer Hotspot. Aber werden jetzt nicht alle viel zu misstrauisch ihren Mitmenschen gegenüber und helfen dann vielleicht gar nicht mehr?
Sie können ja helfen, das ist wunderbar. Wenn man jemanden Fremden nicht zu dicht an sich ranlässt, kann ich trotzdem Fragen beantworten, kann ich trotzdem höflich sein, aber ich muss eben nicht auf "Kuschellänge" mit jemandem vor dem Regal stehen. Und dann kann mir das eben nicht passieren. Einfach den gesunden Menschenverstand walten lassen und sich fragen, muss dieser Mensch jetzt unbedingt so dicht zu mir stehen, um ihm diese Frage beantworten zu können. Und wenn ich diese Frage mit 'Nein' beantworte, dann trete ich einfach einen Schritt zurück.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Spielmann!
Das Interview mit Lothar Spielmann führten Kerstin Hermes und Julia Menger, Radioeins. Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch ist auch oben im Audio-Player nachhörbar.
Sendung: Radioeins, 08.10.2024, 06:40 Uhr