Interview | Taschendiebstähle - "Es ist ein Spiel mit der Unachtsamkeit der Leute"

Mi 09.10.24 | 06:14 Uhr
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Ein Mann entwendet eine Geldbörse aus einer Tasche (Symbolbild) (Quelle: imago images/Funke Foto Services)
Audio: Radioeins | 08.10.2024 | Interview mit Lothar Spielmann | Bild: imago images/Funke Foto Services

Dichtes Gedränge oder Ablenkungsmanöver – und schon ist das Portemonnaie oder das Handy weg. Der Berliner Kriminaldirektor Lothar Spielmann kennt die Tricks, die meist recht simpel sind, und gibt Tipps, wie man sich schützen kann.

rbb: Herr Spielmann, kann man Taschendiebstähle wirklich verhindern?

Lothar Spielmann: Man kann sie tatsächlich verhindern, indem man einfach sein eigenes Verhalten auf die Situation anpasst. Es gibt bestimmte Dinge, die sollte man unterlassen. Positiv formuliert: Packen Sie Ihre Wertsache in die innenliegenden verschließbaren Taschen der Oberbekleidung. Dann macht man es den Taschendieben schon wesentlich schwerer.

Zur Person

Lothar Spielmann

ist Kriminaldirektor und Leiter des Dezernats für Taschendiebstahl beim Landeskriminalamt

Mit einer Präventionswoche zum Taschendiebstahl will die Berliner Polizei bis Freitag Einwohner und Gäste der Stadt für das Thema sensibilisieren. Bei der berlinweiten Aktion zeigt die Polizei unter anderem vor Einkaufszentren, wie Taschendiebe vorgehen.

Welche Tricks haben Taschendiebe?

Es ist in gewisser Weise simpel. Es ist ein Handwerk. Es ist tatsächlich ein Spiel mit der Unachtsamkeit der Leute auf der einen Seite. Wo Sie Ihre Wertsachen, Handy, Portemonnaie in den außenliegenden Taschen vor allem deutlich sichtbar zeigen, müssen Sie sich ehrlich gesagt nicht wundern, wenn es vielleicht irgendwann nicht mehr da ist. Auf der anderen Seite sind die Täter aber auch so pfiffig, dass sie bestimmte Situationen provozieren, die es ihnen dann erlaubt, die Sachen wegzunehmen.

Was meinen Sie da genau?

Es ist zum Beispiel dieser berühmte Trick, dass Sie jemand ablenkt, Ihnen einen Stadtplan zeigt, weil er etwas sucht und um Hilfe bittet. Und wenn dann der Stadtplan weg ist, dann fehlt das Handy, das eben noch auf dem Tisch gelegen hat. Oder es wird eine Situation provoziert, zum Beispiel beim Einsteigen in den Bus oder in die U-Bahn, sodass man kurzfristig aufgehalten wird. Das ist in Berlin nichts Ungewöhnliches.

Die Berliner sind nicht unbedingt höflich, wenn es um derartige Situationen geht. Von daher machen sie sich auch keine Gedanken. Nur in dieser Situation, wo es kuschlig wird, wo es eng wird, wo vorne gedrückt, hinten gezogen wird, merkt man eben auch nicht, wenn jemand in die Tasche greift. Und erst später, wenn man vielleicht beim Bäcker steht und die Brötchen bezahlen will, merkt man, dass das Portemonnaie weg ist.

Gibt es aktuelle Trends oder eine moderne Technik, die Taschendiebe einsetzen?

Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Das ist tatsächlich 'old school' kann man fast sagen. Was seit vielen, vielen Jahren funktioniert, wird immer weiter angewendet. Es ist auch eine situative Situation. Die Taschendiebe gucken anders als der Tourist auf die Stadt oder anders als der normale Passant einfach auf Taschen, Wertsachen. Wo sie sehen, das sieht gut aus, da versuchen sie es. Wenn es klappt, dann klappt es. Wenn es nicht klappt, suchen sie weiter, denn drei Schritte weiter läuft der Nächste durch die Gegend und passt wieder nicht auf. Im Supermarkt, um mal auf dieses Beispiel zu kommen, werden die Handtaschen und die Einkaufstaschen einfach im Wagen abgestellt. Der Wagen wird irgendwo hingestellt, dann stellt man sich vors Regal, guckt sich die 300 Joghurts an und in diesem Augenblick kann der Taschendieb ganz einfach zugreifen - und Sie kriegen es leider nicht mit.

Der Supermarkt ist ein ganz besonderer Hotspot. Aber werden jetzt nicht alle viel zu misstrauisch ihren Mitmenschen gegenüber und helfen dann vielleicht gar nicht mehr?

Sie können ja helfen, das ist wunderbar. Wenn man jemanden Fremden nicht zu dicht an sich ranlässt, kann ich trotzdem Fragen beantworten, kann ich trotzdem höflich sein, aber ich muss eben nicht auf "Kuschellänge" mit jemandem vor dem Regal stehen. Und dann kann mir das eben nicht passieren. Einfach den gesunden Menschenverstand walten lassen und sich fragen, muss dieser Mensch jetzt unbedingt so dicht zu mir stehen, um ihm diese Frage beantworten zu können. Und wenn ich diese Frage mit 'Nein' beantworte, dann trete ich einfach einen Schritt zurück.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Spielmann!

Das Interview mit Lothar Spielmann führten Kerstin Hermes und Julia Menger, Radioeins. Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch ist auch oben im Audio-Player nachhörbar.

Tipps der Berliner Polizei

  • Nur das Notwendigste an Bargeld und Wertsachen mitnehmen
  • Wertsachen möglichst eng am Körper tragen. Gut geeignet sind Jackeninnentaschen, oder vordere Hosentaschen beziehungsweise Brustbeutel und Bauchtaschen.
  • Handtaschen und Umhängetaschen sollten mit der Verschlussseite/Zipper zum Körper getragen werden
  • Handtaschen und Rucksäcke stets geschlossen halten und nie unbeaufsichtigt lassen
  • Im Gedränge Rucksäcke immer vorn tragen
  • Keine hohen Bargeldsummen zeigen. Bei und nach Geldabhebungen besonders aufmerksam sein

Tricks der Taschendiebe und weitere Tipps der Polizei, wie man sich schützen kann [berlin.de]

Sendung: Radioeins, 08.10.2024, 06:40 Uhr

26 Kommentare

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  1. 26.

    Wenn ein Polizist merkt, daß sein Angreifer stärker ist oder besser bewaffnet, was macht der wohl? Er flieht und rettet dadurch sein Leben.

  2. 25.

    Sie fordern Benimmregeln ein, eskalieren aber selbst sofort auf die höchste Stufe der Kommunikation, indem Sie ihrem Gegenüber unvermittelt den Rucksack ins Gesicht zimmern. Das aber wohl auch nur bei ausgesuchten 'Gegnern', ne Falk.

    Wie wärs denn mit vorgeschalteter Kommunikation, wie einem vorwurfsvollen Blick oder einem Spruch in Richtung des Dränglers. Das würde doch eher zivilisierten Benimmregeln entsprechen.

  3. 24.

    Genauso geht mir auf den Keks, dass man die einfachsten Benimmregeln auch noch einfordern soll. Wird immer schärfer hier. Soweit kommt das noch. Wenn die zu dicht sind bekommen die meinen Rucksack vor den Latz. Und wenn dann einer aufmuckt sage ich, dass dies nicht passiert wäre, wenn ich nicht seinen Atem im Nacken spüren würde.

  4. 23.

    Da gab es früher immer diese tollen Sprüche auf Aufklebern der BVG. " Gedränge nur den Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand auf's Geld!"

  5. 22.

    So einfach ist das leider nicht, sehen Sie sich mal einschlägige Videos an. Das sind meistens drei(oder mehr) Leute: einer lenkt ab, der Zweite klaut und gibt es sofort weiter an den Dritten, und der ist so schnell weg, dass sie ihn nicht verfolgen, weil sie noch mit den ersten beiden befasst sind...
    Wen wollen Sie dingfest machen. Den ersten Beiden können Sie nichts beweisen, weil die Ihr Geld nicht haben... Und der Dritte ist längst über alle Berge...

  6. 20.

    Mal ehrlich. Wenn mir jemand auf die Pelle rückt, sage ich z.B. deutlich: können Sie bitte Abstand halten? Hat bei mir immer funktioniert.

  7. 19.

    Zu früheren Zeiten war es unschick, als Frau überhaupt Hosen zu tragen und kommen Sie auf´s Land nach Bayern oder Rheinland-Pfalz, ist es immer noch so. Was also soll so weit ferne liegen, wenn anderswo entsprechend vorhandene Kleidungsstücke mit Innentaschen ausgestattet werden?

    Auch das ist Teil einer Trägheit, mit der sich die hiesige Wirtschaft selber Beine stellt. (Ich denke nur, wie lange es gedauert hat, bis ältere Menschen die für sie zugeschnittenen Mobiltelefone bekamen, anstatt tausenderlei Versuche unternehmen zu müssen, mit winzig kleinen Tasten zurechtzukommen. Da musste die Industrie förmlich mit der Nase auf ein Kundenpotenzial gestoßen werden.) Fordern Sie !

  8. 18.

    Zu viel an Warnung kann auch wieder kontraproduktive Effekte haben. Ich denke an an mehrmals hintereinander geschaltete einschlägige Durchsagen im Bahnhof. Wenn ein halbes Dutzend mal etwas durchgesagt wird, hört keine/r mehr hin, wo es wirklich angebracht wäre.

    Ist wie das "Warnsignal" an den Türen des ÖPNV, das heutzutage eher als Animationssignal denn als Warnung verstanden wird. Vor all dem schloss sich einfach die Tür, (nach einem unüberhörbaren Nuscheln in den Bahnhöfen), heute ertönt ein Ton, wann noch hineingesprungen werden kann. ;-

  9. 17.

    Ehrlich gesagt, wurde meine Mutter, sterbend im Krankenhaus liegend, von Bekannten zum gleichen Zeitpunkt, die einen Schlüssel zu ihrer Wohnung hatten, um all ihre Wertsachen bestohlen. Es waren deutsche Menschen, die angeblich Kümmerer waren. Gelegenheit macht Diebe. Aber Diebe trennt man nicht nach der Nationalität, die sind überall gleich.

  10. 16.

    Ich finde den Verweis auf die Innentaschen der Jacke immer cool. Kann eigentlich nur von Männern kommen. Die durchschnittliche Damenjacke hat meistens nur eine Tasche in "Nokia 3310 Größe". Schlüssel, Geldbörse und Handy dort unter zu bekommen ist doch fern ab jeder Realität. Und Sommer? Auf dererlei Kommentare kann man verzichten. Nicht von dieser Welt.

  11. 15.

    Mehr Zivilcourage würde helfen diese Diebe vor Ort dingfest zu machen. Hier sollte mehr Aufklärung und Achtsamkeit erfolgen. Hinweisschilder wie „Achten sie auf ihr Handgepäck“ in den Supermärkten anbringen!

  12. 13.

    Meine Empfehlung: Bauchtausche mit Wertsachen drin vor der Brust tragen.

  13. 12.

    Mir geht auch wahnsinnig auf den Keks, dass die Leute einem in der Warteschlange an der Kasse fast in den Hintern kriechen. Äußerst unangenehm. Das ist gefühlt schlimmer als vor der Pandemie.

  14. 11.

    Was leider fehlt ist, dass immer mehr Taschen und Rucksäcke aufgeschlitzt werden. Da sollte man besonders vorsichtig sein, wo man seine Wertsachen deponiert, am besten ist ein zum Körper hin liegendes separat verschließbares innenenfach, das nicht an den Taschen Boden reicht. Und es gibt mittlerweile Taschen, Rucksäcke und bauchtaschen die gegen aufschlitzen oder Gurt durchtrennen mit Draht oder Metall Gewebe verstärkt sind.

  15. 10.

    Ich finde es ärgerlich, dass es für Frauen so wenig schöne Klamotten, wenigstens für draußen, mit Innentaschen gibt! Ich würde gerne auf eine Handtasche verzichten, die einem ja auch leicht wegerissen werden kann, wenn ich das, was ich mitnehmen möhte, aufs Nötigste reduzieren und in einer Innentasche unterbringen kann. Für Städtereisen habe ich mir schon eine weite Hose mit aufgesetzten großen Taschen gekauft, wo zumindest Handy und Geld reinpasst.

  16. 9.

    Ok, aber Taschendiebstahl ist nun wirklich kein speziell deutsches Problem...

  17. 8.

    Als ich morgens mal aus dem Club kam sprachen 3 Leute mich und meine Begleitung an, erst ganz unverfänglich, dann sagte einer "deine Schuhe sind ja schick, welche Größe hast du?" und wollte seinen Fuß neben meinen stellen. Weil ich genau so einen Taschendiebstahl vermutet hatte, habe ich schnell wieder Abstand geschaffen, dann haben sie uns auch in Ruhe gelassen. Kreativ sind sie, dass muss man ihnen lassen...

  18. 7.

    In der Tat: Wo alles im Scheckkartenformat klein geworden ist und auch Geldscheine und Münzen nicht unbedingt riesig sind, frage ich mich immer wieder, weshalb ein kleines Portemonaie nicht am Körper getragen werden kann. Es scheint für viele eine "sperrige" Vorstellung zu sein, die so sperrig gar nicht ist. In der anderen Hosentasche befindet sich der Schlüssel. So sind jedenfalls auch Ausweis und Wohnungsschlüssel getrennt. Klar ist aber auch, dass das mit Röcken eben nicht funkioniert.

    Nicht schön, aber sichtlich notwendig ist eine Konzentration auf Beides, soweit ein Mensch etwas gefragt wird: Die eigene Überlegung, wie das Abgefragte umgesetzt werden kann und dabei den Sichtkontakt gegenüber dem anderen nicht zu verlieren. Das mag als Misstrauen daherkommen, kann aber auch als Wertschätzung und "Einübung" für sich selbst aufgefasst werden.

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