Interview | Infektiologe Thomas Weinke - "Beim Coronavirus stürzen jeden Tag neue Daten auf uns ein"

Fr 28.02.20 | 06:21 Uhr
Thomas Weinke (Quelle: rbb/Lisa Steger)
Audio: Antenne Brandenburg | 27.02.2020 | Lisa Steger | Bild: rbb / Lisa Steger

In die Armbeuge niesen, Hände desinfizieren: Angesichts der Zunahme von Coronavirus-Infektionen mahnt der Potsdamer Infektiologe Thomas Weinke gute Hygiene an - auch wenn das Virus wahrscheinlich weniger gefährlich sei als bislang angenommen.

Was Sie jetzt wissen müssen

Herr Weinke, wie kann man sich als Nicht-Infizierter schützen? Was ist sinnvoll und was ist pure Hysterie?

Thomas Weinke: Zu den sinnvollen vorbeugenden Maßnahmen gehört mit Sicherheit das, was wir Husten-Etikette nennen. Wenn jemand grippale Symptome oder Fieber hat, sollte er Einmaltaschentücher benutzen, sich anschließend ordentlich und vernünftig die Hände waschen und wenn möglich auch desinfizieren. Wenn das nicht verfügbar ist, dann ist die Husten-Etikette notwendig: in den Ärmel niesen - nicht in die Hand und anschließend dem Nächsten gleich wieder die Hand geben.

Ich darf ein Papiertaschentuch nur einmal benutzen?

Ja. Im kritischen Fall sollte man ein Papiertaschentuch nur einmal nutzen und dann in einem verschließbaren Mülleimer entsorgen - und nicht im offenen Papiereimer im Büro.

Atemmasken und Desinfektionsmittel sind in den Apotheken häufig schon ausverkauft. Hat denn wenigstens das Krankenhauspersonal genug davon?

Wir sind gut ausgerüstet und für eine Situation, wie sie aktuell besteht, gut gerüstet. Wir müssen natürlich die Situation tagesaktuell jeweils auf den Punkt bringen. Wir machen inzwischen jeden Morgen eine Coronavirus-Besprechung, eine Krisenbesprechung, um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Und das bedeutet, dass wir die tagesaktuellen Daten vom Robert-Koch-Institut besprechen und festlegen, wie wir jeweils an dem betreffenden Tag vorgehen.

Ist es für Normalbürger, die nicht im Krankenhaus arbeiten, sinnvoll, sich eine Atemmaske und Desinfektionsmittel zu kaufen?

Eine Atemmaske ist definitiv nicht erforderlich. Desinfektionsmittel im Haus zu haben, halte ich für richtig und für korrekt. Das sollte man im täglichen hygienischen Setting ohnehin einsetzen. Aber Atemmasken sind nicht erforderlich im täglichen Leben.

Wie gefährlich ist das Coronavirus? Was die Todesraten angeht, sind alle möglichen Zahlen im Umlauf ...

Da stürzen jeden Tag neue Daten auf uns ein, das ist vollkommen richtig. Insofern muss man die Datenlage sicherlich noch sehr kritisch analysieren. Insbesondere die Daten aus China legen nahe, dass wahrscheinlich nur ein Teil der Infizierten überhaupt erfasst wurde. Und wenn man nur mit denen, die klinisch-stationär untergebracht sind, eine Todesrate berechnet, kommt man zu anderen Daten und Zahlen, als wenn man alle Infizierten nimmt.

Die Daten aus China legen nahe, dass die Todesrate in der am stärksten betroffenen Provinz bei zwei bis drei Prozent liegt. Das ist schon eine heftige Nummer - muss man wirklich sagen. Aber wenn man jetzt die Zahl der Gesamtinfizierten berechnen würde - und das ist in China wahrscheinlich nicht komplett erfasst -, gehen die Experten eigentlich eher davon aus, dass die Todesrate in einem Bereich von etwa 0,5 Prozent liegt. Auch das ist noch eine heftige Zahl, die man sicherlich sehr kritisch im Auge behalten muss. Aber wir müssen das jeweils in Relation zur Anzahl der gesamten Infizierten sehen.

Welche Personengruppen sind besonders gefährdet?

Letztendlich kann jeder eine Coronavirus-Infektion bekommen. Aber es gibt unterschiedlich schwere Manifestationen. Es gibt einige Menschen, die entweder überhaupt nicht erkranken und sich vielleicht nur mit dem Virus auseinandersetzen. Es gibt andere, die schwer erkranken. Die bisherigen epidemiologischen Zahlen legen nahe, dass insbesondere ältere Menschen stärker gefährdet sind und diejenigen, die chronische Vorerkrankungen haben. Insbesondere bei Menschen, die das Immunsystem beeinflussende Medikamente einnehmen, oder die entsprechende Vorerkrankungen wie Tumorerkrankungen haben, scheint eine Gefährdung vorzuliegen.

Mundschutz-ausverkauft-Schild in Apothekenfenster (Quelle: rbb/ Lisa Steger)

Sind Männer stärker gefährdet als Frauen?

Es scheint bisher so zu sein, dass Männer etwas häufiger infiziert wurden. Aber es gibt keine Klarheit über die Schwere der Infektionen. Dazu gibt es keine klare Datenlage.

Ist denn in nächster Zeit mit der Entwicklung eines Impfstoffes zu rechnen?

Es wird sicherlich hart dran gearbeitet. Aber dieses Virus ist jetzt seit Dezember bekannt - das ist eine sehr kurze Zeit für einen neuen Erreger. Er hat gewisse Ähnlichkeiten mit anderen Erregern, die im Jahr 2003 schon erstmals aufgetreten sind, mit dem sogenannten Sars-Virus. Insofern ist es verständlich und nachvollziehbar, dass wir aktuell noch keinen Impfstoff haben. Und es ist sicherlich im nächsten Jahr bis in anderthalb Jahren nicht damit zu rechnen, dass ein Impfstoff auf dem Markt ist. Ein Impfstoff kann erst dann zugelassen werden, wenn entsprechende Studien durchgeführt wurden - und das benötigt einen solch langen Zeitraum.

Was ist die erste Maßnahme, wenn ich meine, dass ich infiziert bin?

Wenn jemand infiziert ist und damit wirklich auch Symptome hat, dann sollte er einen entsprechenden Test machen lassen. Er sollte aber nicht unaufgefordert oder einfach so in eine Klinik gehen, sondern sollte dann vorher anrufen, dass die entsprechende Logistik stimmt. Und das bedeutet, dass er nicht noch viel Kontakt mit anderen Menschen hat. Das bedeutet: kurzer Anruf in einer Klinik, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt - dann kann man einen Test machen und das Ganze objektivieren.

Haben Sie in Potsdam die Möglichkeit, auch Patienten zu isolieren?

Ja, selbstverständlich haben wir in Potsdam im Klinikum Ernst von Bergmann die Möglichkeit, solche Patienten zu isolieren. Wir haben eine Infektionsstation, wo wir auch bisherige, nicht begründete Verdachtsfälle schon mal getestet haben. Die aktuelle Situation ist, dass wir sicherlich ausreichend Bettenkapazitäten haben - aber auch hier muss man gucken, was sich in den nächsten Tagen und Wochen abspielt und ob dort noch heftigere Infektionszahlen auf uns zukommen.

Das Interview mit Professor Thomas Weinke führte Lisa Steger für Antenne Brandenburg.

FAQ zum Umgang mit dem Coronavirus

  • Ich fürchte, infiziert zu sein. Was tun?

  • Was passiert mit möglichen Infizierten?

  • Was passiert mit Kontaktpersonen?

  • Welche Kapazitäten haben die Kliniken?

  • Welche Reisebeschränkungen gibt es?

  • Wie viele bestätigte Fälle gibt es?

  • Ist das Virus meldepflichtig?

  • Was ist das Coronavirus?

  • Woher kommt das Virus?

  • Wie kann ich mich anstecken?

  • Wie ansteckend ist das Virus?

  • Wer ist besonders gefährdet?

  • Wie funktioniert der Test?

  • Was sind die Symptome?

  • Wie kann ich mich schützen?

  • Welche Behandlung gibt es für Infizierte?

  • Gibt es Immunität gegen das Virus?

  • Wie hoch ist die Sterberate?

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