#Wiegehtesuns? | Die Musikerin - "Ich glaube, dass man in Zukunft auf Tour oft zweimal pro Abend spielen muss"

Fr 12.06.20 | 06:05 Uhr
Die Berliner Musikerin Dota Kehr (Quelle: Annika Weinthal)
Annika Weinthal
Video: Radioeins | 04.04.2020 | Das Wohnzimmerkonzert von Dota Kehr | Bild: Annika Weinthal

Die Liedermacherin Dota ist in Berlin stadtbekannt. Sie liebt es auf der Bühne zu stehen. Seit kurzem sind kleine Open-Air-Auftritte zwar wieder möglich. Eine Tour zum neuen Album steht allerdings in den Sternen. Ein Gesprächsprotokoll

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Dota Kehr, 40, hat sich mit Songs zwischen Singer-Songwriter, Chanson und Pop eine beträchtliche Fangemeinde in Berlin erspielt. Die Musikerin und studierte Medizinerin lebt mit ihrer Familie in Berlin. So geht es Dota:

Die Charité hatte zu Beginn der Krise medizinisches Personal gesucht. Ich hatte das mitbekommen und mich beworben – aus meinem Verantwortungsgefühl heraus. Es gab auch eine Rückmeldung: "Vielen Dank, wir melden uns bei Bedarf." Aber in Berlin gab es wohl noch keine Engpässe. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wieder als Ärztin Fuß zu fassen, weil ich seit zehn Jahren nicht in dem Beruf arbeite. Ich müsste mich intensiv einlesen. Es wäre möglich, aber ich liebe es Musikerin zu sein.

Konzerte zu spielen, hat mir emotional sehr gefehlt, weil ich das so gern mache. Ich singe auch zu Hause, aber es ist etwas ganz anderes, sobald da ein Zuhörer ist. Man singt mit einer anderen inneren Aufrichtung, das fehlt mir wahnsinnig. Deshalb war ich froh, dass wir in den vergangenen Wochen zumindest Streaming-Konzerte spielen konnten. Auch wenn das natürlich nicht so schön ist wie ein richtiges Konzert.

Es ist ein seltsames Gefühl, in die Stille hineinzuspielen, ohne zu wissen, wer da jetzt zuhört. Es ist etwas anderes, wenn du Leuten in die leuchtenden Augen schauen kannst. Nun, da kleine Open-Air-Konzerte wieder erlaubt sind, freuen wir uns sehr, wieder auftreten zu können.

Natürlich hoffen wir, dass alles gut geht. Es wäre furchtbar, wenn zufällig gerade eines unserer Konzerte zum Superspreader-Event wird. Ich würde mich mit verantwortlich fühlen. Ich weiß nicht, aber letztlich gibt es natürlich für viele Sachen ein allgemeines Lebensrisiko. Was mache ich, wenn ich ein Pärchen knutschen sehe? Frage ich dann von der Bühne aus, ob die auch aus einem Haushalt sind? Dürfen die Fans überhaupt mitsingen? Das deprimiert schon sehr, über so etwas nachzudenken.

Ich glaube, dass man in Zukunft auf Tour oft zweimal pro Abend spielen muss. Also das gleiche Programm für jeweils die Hälfte des Publikums, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. Das haben uns Veranstalter schon gefragt. Ich kann mir vorstellen, dass das ein neues Normal wird. Wahrscheinlich werden auch die Tickets in Zukunft teurer sein, weil die Veranstalter weniger einnehmen, wenn sie nur noch ein Drittel der Leute reinlassen können.

Manche in der Band haben die Berliner Soforthilfe erhalten. Zudem hatten wir das riesige Glück, dass wir im Januar eine große Tour gespielt haben. So hatten wir ein kleines finanzielles Polster.

Klar haben wir auch ein mulmiges Gefühl, wie es in Zukunft weitergeht. Aber ganz allgemein mache ich mir um die Veranstalter eigentlich mehr Sorgen als um die Bands. Die haben laufende Miet- und Personalkosten. Und wir Bands brauchen die Veranstalter, sonst werden wir nach der Krise nirgendwo spielen können. Die Tour zu unserem neuen Album "Kaléko" sollte im August sein. Aber wenn dann im Herbst weiterhin keine Konzerte drinnen möglich sind, wird es auch für uns sehr schwer.

Wie sich meine Weltsicht verändert hat durch die Krise? Ich war so wahnsinnig überrascht von der Geschwindigkeit dieser Veränderung, und dass sich Gewissheiten einfach so aufgelöst haben. Letztlich hat sich dann auf eine traurige Art bestätigt, dass die ohnehin vulnerabelsten Menschen auch von dieser Krise besonders schwer betroffen sind. Es gab einen Funken Hoffnung, was doch alles möglich ist, wenn man eine Bedrohungslage ernst nimmt und zusammen hält, wie viele Veränderungen und Anpassungen dann möglich gemacht werden. Ich wünschte, die Klimakrise würde in der Politik die gleiche Alarmiertheit auslösen und hoffentlich werden jetzt ein paar Weichen richtiggestellt.

Gesprächsprotokoll: Alke Lorenzen

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