#Wiegehtesuns | Projektleiterin für Integrationsarbeit - "Sprache ist der Schlüssel zu den Menschen, sonst wirst du ausgegrenzt"

Mi 27.11.24 | 06:06 Uhr
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Lina Hajeer, Leiterin für Integrationsarbeit im Verein Freiraum e.V. (Quelle: rbb)
Bild: rbb

2016 flieht Lina Hajeer vor dem Krieg aus ihrer Heimatstadt Homs in Syrien und strandet wenige Wochen später am Bahnhof in Elsterwerda. Acht Jahre später ist die studierte Englischlehrerin Leiterin für Integrationsarbeit im Verein Freiraum e.V.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Kinder aus verschiedenen Nationen warten im "Café der Möglichkeiten" in Elsterwerda (Elbe-Elster) auf Lina Hajeer. An diesem Tag steht Nachhilfeunterricht in Deutsch auf dem Programm. Die 51-Jährige selbst sieht sich seit ihrer Ankunft in Deutschland als "Vermittlerin zweier Welten". Welten, die sich nach ihrer Meinung in den letzten Jahren mehr entfernt als angenähert haben. Und das hat mehrere Gründe.

Ich muss arbeiten. Es geht nicht anders. Die Arbeit ist ein Teil von mir. 14 Jahre lang habe ich die englische Sprache in Syrien unterrichtet und kaum in Deutschland angekommen, wollte ich sofort Deutsch lernen. Nach nicht einmal zwei Jahren habe ich alle Sprachprüfungen durchlaufen, mit dem Ziel, wieder als Lehrerin arbeiten zu können. Und auch dann, als mich niemand als Lehrkraft einstellen wollte, habe ich gearbeitet. Erst als Sprachvermittlerin an zwei Grundschulen und jetzt hier im "Café der Möglichkeiten".

Ich wollte mich mit meiner Arbeit in die Gesellschaft einbringen, aber natürlich brauchte ich dafür Hilfe. Der Verein "Freiraum e.V" hat mich vom ersten Tag an sehr stark unterstützt. Und ehrlich gesagt war es auch die einzige Anlaufstelle in ganz Elsterwerda, um irgendwie Deutsch zu lernen oder, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Elsterwerda ist halt nicht Berlin. Die Leute hier sind skeptisch und du musst die Sprache sprechen, damit du Teil der Gesellschaft sein darfst.

Ein Beispiel: In den ersten Jahren war ich häufig nicht mutig genug, auf der Straße jemanden anzusprechen. Alle meine Kontakte beschränkten sich auf den Verein. Heute ist das anders. Die Menschen erkennen mich sogar inzwischen und grüßen mich. Und alle, die mich nicht grüßen, die grüße ich. Das ist eines meiner Mittel, um Vorurteile abzubauen - und ich glaube, ich habe das in den letzten Jahren ganz gut geschafft.

Doch wenn ich eine Sache in Deutschland schnell gelernt habe, dass Sprache der Schlüssel zu den Menschen ist. Sonst wirst du hier ausgegrenzt. Das predige ich auch den Kindern, die zur Nachhilfe kommen.

Lina Hajeer, Leiterin für Integrationsarbeit im Verein Freiraum e.V. (Quelle: rbb)Lina Hajeer floh 2016 aus Syrien und lebt nun in Elsterwerda

Wenn du kein Deutsch lernst oder nicht die Möglichkeit dazu bekommst, bilden sich schnell Parallelgesellschaften. Die zugezogenen Familien bleiben dann unter sich und können sich nicht integrieren - dadurch entstehen viele Probleme. Da kann man auch nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen und sagen, die Deutschen sind alle Rassisten! Das ist nicht in Ordnung. Wenn jemand nach Deutschland kommt, soll er die deutsche Sprache lernen und dann öffnen sich auch einige Türen.

Ich trage die Verantwortung dieser Menschen auf meinen Schultern.

Lina Hajeer, Projektleiterin für Integrationsarbeit

Aber um Deutsch zu lernen, braucht es auch Angebote. Da sehe ich die Stadt Elsterwerda in der Verantwortung. Ich wünsche mir zum Beispiel mehr Kontakt zu anderen Vereinen, damit die Kinder auch mit deutschen Jugendlichen etwas erleben können. Oder Veranstaltungen, wo wir als Verein unsere Arbeit vorstellen können, damit ein Gespräch mit der Stadtbevölkerung entsteht. Zum Beispiel darüber, wie Integrationsarbeit hier im ländlichen Raum überhaupt funktioniert. Dazu müssen aber noch einige Hindernisse abgebaut werden - nur so können wir mehr voneinander erfahren.

In den letzten Jahren ist die Integrationsarbeit hier schwerer geworden. Die Deutschen sind nicht mehr so weltoffen und das hat Auswirkungen auf die Politik. Und die Politik hat wiederum Auswirkungen auf uns und den Verein. Ich trage die Verantwortung dieser Menschen auf meinen Schultern. Dabei versuche ich immer die Kinder, die hierher kommen, zu motivieren, um diesen Integrationsprozess gemeinsam zu meistern und ihnen auch gleichzeitig ein Zuhause zu bieten, wenn Sachen mal schief laufen. Aber wir sind für diesen Prozess auch dringend auf die Hilfe der Stadt oder des Landkreises Elbe-Elster angewiesen.

Meine Arbeitsstelle, zum Beispiel, ist auf zwölf Monate befristet. Jedes Jahr im Oktober laufe ich zum Arbeitsamt, um mich vorzeitig zum Jahreswechsel als arbeitssuchend zu melden. Meine Stelle als Projektleiterin für Integration hängt von Fördergeldern ab. Bis zum Dezember 2025 soll es diese Fördergelder noch geben. Was danach kommt? Keine Ahnung. Aber ohne diese Gelder, wird es das "Café der Möglichkeiten" nicht mehr geben und damit auch keine Integrationsangebote in der gesamten Stadt.

Es gab Gespräche mit der Bürgermeisterin, Anja Heinrich (CDU), über unsere Arbeit und auch mit anderen Leuten aus der Stadtpolitik, aber seit Jahren ist die Zukunft unseres Vereins ungewiss. Das ist wirklich schade. Die Kinder, aber auch die Stadt, brauchen unsere Integrationsarbeit. Und auch ich möchte weiterhin aktiv Teil dieser Gesellschaft sein.

In den nächsten Jahren werden viele Menschen kommen. Denen müssen wir Schutz und Hilfe bieten, das ist unsere Pflicht.

Lina Hajeer, Projektleiterin für Integrationsarbeit

Ich fühle mich wohl in Deutschland. Inzwischen habe ich auch einen deutschen Pass und Elsterwerda ist zu meiner Heimat geworden. Meine Söhne und mein Mann haben hier Arbeit gefunden. Mein Jüngster möchte jetzt noch die 10. Klasse nachholen und ich wünsche mir, weiterhin in der Stadt bleiben zu können. Denn wie gesagt, ich kann nicht nur Zuhause rumsitzen. Im Notfall würde ich sogar nach Berlin fahren, um zu arbeiten.

Gesprächsprotokoll: Gianluca Siska, Antenne Brandenburg

Sendung: Antenne Brandenburg, 03.12.2024, 15:35 Uhr

25 Kommentare

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  1. 25.

    "Aber es verkauft sich halt besser wenn berichtet wird, dass in Brandenburg die Menschen ausländerfeindlicher sind als im Bundesdurchschnitt."

    Aber das stimmt doch auch (siehe Wahlergebnisse der rechtsextremen AFD).

  2. 24.

    Wieso, die Deutschen gehen gerne zum Italiener essen, Spanier, Griechen, Vietnamesen, Döner usw.

    Dort wird wohl auch meist nicht Deutsch gesprochen, oder? (Wohl aber leider wenig Englisch :))

  3. 23.

    Mir reicht es schon, wenn ich in Mitte in ein Restaurant komme wo ausschließlich Englisch gesprochen wird.... ich lebe in Deutschland und das ist für mich vollkommen daneben.

  4. 22.

    Wir hatten eine Familiensprache, die aus drei Sprachen gemischt war. Ich sprach mit den Kindern Deutsch, mein Mann Französisch und wir lebten, als sie klein waren, in Ungarn. Die Kinder sprachen besser Ungarisch als wir. Und wenn es schnell gehen sollte, wurde auch mal alles gemischt. Trotzdem kamen die Kinder gut damit klar, sprechen heute alle mehrere Sprachen und ergriffen auch alle Berufe, die mit Sprache zu tun haben.

  5. 21.

    Ich kenne einen Lehrer für Deutsch als Zweitsprache, der Schüler aus der Ukraine, Syrien, Nigeria und Iran unterrichtet. Er meint, dass nicht nur er die Schüler, sondern genauso diese ihn "unterrichten" ( Herkunftssprache, Kultur, Alltagsleben). Eine 13-jährige Kurdin habe per Smartphone in der ZASt Eisenhüttenstadt innerhalb von 2 Monaten gut Deutsch gelernt und nicht erst auf Schule und Sprachkurse gewartet. Eigeninitiative wird leider oft nicht gefordert und deshalb auch nicht gelebt.

  6. 20.

    Als Zweisprachige Mensch: soll man versuchen die Sprachen nicht zu vermischen, verschmelzen lassen, sie getrennt halten?

  7. 19.

    Sehe ich ganz genauso.
    Als ich nach Canada ausgewandert bin, konnte ich kaum Englisch, hatte aber den Ehrgeiz, so schnell wie möglich die Sprache zu lernen. Vorteil war, dass niemand dort Deutsch konnte - so musste ich ganz schnell lernen. Nach 6 Monaten konnte ich fließend Englisch - weil alle nur Englisch mit mir gesprochen haben. Sprache ist essenziell für Integration!

    Super, dass Sie daran arbeiten...

  8. 18.

    Ich glaube "Bergbaurentner" hat nur die ersten zwei Sätze des Kommentars von Ronald gelesen - alles, was danach kam, nicht mehr...sonst hätte er den Beitrag richtig verstanden.

    Das typische Problem unserer Zeit - es wird nur noch der erste, höchstens der zweite, Satz gelesen oder einfach nur überflogen. Dadurch entstehen die vielen Missverständnisse...

  9. 16.

    Nachdem man heutzutage Quereinsteiger kurzfristig qualifiziert, um sie im Schulen einzusetzen, sollte es auch möglich sein, Menschen, die im Ausland bereits unterrichtet haben und zudem die deutsche Sprache erworben haben, ebenfalls entsprechend weiterzubilden. Und Integrationsprojekte sollten nicht befristet sein und von Förderungen abhängen, denn wir werden sie noch längere Zeit brauchen.

  10. 15.

    Aber es verkauft sich halt besser wenn berichtet wird, dass in Brandenburg die Menschen ausländerfeindlicher sind als im Bundesdurchschnitt. Und warten wir mal ab, welches Wahlverhalten die anderen evtl. "alten" Bundesländer, bei der nächsten Wahl an den Tag legen.

  11. 14.

    Wieso ist das arrogant? Er lernt doch eifrig!
    Und dass man sich in Berlin auch mit Englisch durchschlagen kann, ist ja nun wirklich kein Geheimnis.
    Arrogant ist allenfalls Ihr Kommentar!

  12. 13.

    Niemand behauptet, dass alle Menschen in Brandenburg ausländerfeindlich seien. Es sind halt aber dort deutlich mehr Menschen ausländerfeindlich als im Bundesdurchschnitt, was schon durch den hohen Zuspruch für die rechtsextreme AFD deutlich wird.

  13. 12.

    "...Dort ist DEUTSCHES Sprachgebiet..." Klingt wie aus vergangener Zeit. Wollen sie wieder Schilder aufstellen wie "Hier wird Deutsch gesprochen" ? Also ganz schön braun oder blau, ganz wie sie möchten.

  14. 11.

    Nach 1990 durften auch nicht alle DDR-Lehrer wieder als Lehrer arbeiten. Es liegt also nicht nur an der Sprache oder Ausbildung, sondern an einer vergleichbaren Ausbildung.

  15. 10.

    Meinen größten Respekt und danke, dass sie ausspricht, was wichtig ist. Weiter viel Erfolg und Glück :-) Sie ist eines von tolles vielen Beispielen gelungener Integration, wie man es von mir in einem anderen Land auch erwartet, bzw. verlangt, damit ich mich zum Teil der Gesellschaft mache.

  16. 9.

    Manchmal ist es schwer zu verstehen. Da ist eine ausgebildete Lehrkraft, die sich die deutsche Sprache mit Elan angeeignet hat, dafür zuständig, andere zu integrieren. Aber nur befristet und mit Fördermitteln. Mit ihr steht und fällt die Integrationsarbeit vor Ort. Das scheint aber keinen zu interessieren. Dabei könnte diese Frau ein Vorbild für viele sein. Leider ist das keine Ausnahme.
    Zudem kann sich Sprachkenntnis erst wirklich herausbilden, wenn gesprochen wird. In einem Verein, in dem Ausländer unter sich sind, kann die Sprache nicht wirklich trainiert und angewendet werden. Dazu braucht es nunmal auch die umgebende deutsche Bevölkerung. Es ist eine Kleinigkeit, mal einen ausländischen Nachbarn anzusprechen. Ja, so eine Unterhaltung ist nicht immer einfach. Der eine muss sich bemühen zu sprechen und der andere muss sich bemühen zu verstehen. Würde es mehr dieses Bemühen geben, aufeinander zuzugehen, würde Integration auch besser gelingen.

  17. 8.

    "Es ist einfach für mich, kein Deutsch zu sprechen. Die Berliner Deutsche sprechen auch schon viel Englisch."

    Typisch! Arroganz ohne Ende!

    Dort ist deutsches Sprachgebiet und nicht jeder, der dort lebt oder zu Besuch ist, möchte in dieser Sprache angesprochen werden. So geht es mir oft, wenn ich in Berlin zu Besuch bin und nach dem Weg oder Sehenswürdigkeiten gefragt werde. Ich schalte dann auf Durchzug und antworte einfach auf Tschechisch. Das klappt immer. Mir ist besonders aufgefallen, dass gar nicht erst gefragt wird, ob man Englisch spricht oder sprechen will. Nein, man wird geradezu angelabert. Wenn ich in Böhmen bin, dann frage ich vorher, ob auch Deutsch gesprochen wird. Das kommt dort sehr gut an. Aber es ist auch eine andere, höflichere Welt.

    ,

  18. 7.

    Tolle Frau, ALLES GUTE! Danke, für diesen, endlich mal positiven Bericht aus Brandenburg. Tausende Ausländische Mitbürger sind gut integriert in Brandenburg. Leider liest man hier aber immer wieder die schlechten Beispiele. Brandenburger sind nicht Ausländerfeindlich, weiß jeder der hier lebt. Wie überall, gibt es leider Ausnahmen. Die gibt's aber auch in Bayern, Hessen oder Niedersachsen...

  19. 6.

    so lernen sie Deutsch. Wollen sie Tourist bleiben, so sprechen sie weiter Englisch.

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