Vor 35 Jahren demonstrierten auf dem Berliner Alexanderplatz sowie am Brandenburger Tor in Potsdam Hunderttausende für freie Wahlen und mehr Demokratie. Wenige Tage später war die Berliner Mauer Geschichte. Von Oliver Noffke
Ab dem 4. November jähren sich die letzten großen Proteste in der DDR vor dem Fall der Mauer zum 35. Mal.
An jenem Samstag 1989 folgten Hunderttausende dem Aufruf, sich an der Ecke Mollstraße und Prenzlauer Allee zu versammeln. An der Kreuzung hatten damals die DDR-Nachrichtenagentur ADN und das Institut für Marxismus-Leninismus ihren Sitz. Die Route verlief von dort bis zum nahegelegenen Alexanderplatz. Gegen 11 Uhr war es dort bereits so voll, dass die Organisatoren beschlossen, mit der Kundgebung vorzeitig zu beginnen - zwei Stunden früher als geplant.
Mehr als eine halbe Million Menschen kamen schlussendlich zusammen, um für freie Wahlen, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Freilassung politischer Gefangener zu demonstrieren. Es war die größte Massendemonstration in der Geschichte der DDR - und sie wurde im Fernsehen live übertragen [bpb.de, bundesregierung.de].
Zur gleichen Zeit erlebte die Stadt Potsdam eine der größten Demonstrationen in ihrer Geschichte. Gut 100.000 Menschen waren zum Brandenburger Tor auf dem Platz der Nationen (heute Luisenplatz) gekommen [potsdam.de].
Martina Rehmer aus Pankow ist ABBA-Fan der ersten Stunde, könnte man sagen. Doch den Auftritt ihrer Lieblingsband in "Ein Kessel Buntes" 1974 hätte sie fast verpasst. Dabei träumt sie bis heute davon, mit einem Berliner Bär im Publikum gewesen zu sein.
Innerhalb weniger Wochen von der Protestbewegung zur Revolution
Wenige Monate zuvor schienen Demonstrationen dieser Größe in der DDR noch unmöglich. Seit dem 17. Juni 1953 hatte es keine Streiks oder Proteste im Land gegeben, die ein derartiges Ausmaß annahmen und zudem direkt die politische Führung im Land kritisierten. Dass der Volks- und Arbeiteraufstand damals von der Sowjetarmee gewaltsam niedergeschlagen wurde, wirkte über Jahrzehnte abschreckend. Mehr als 50 Aufständische waren 1953 getötet worden.
36 Jahre später hatte sich dies geändert und große Teile der DDR-Bevölkerung machten ihrem Unmut auf der Straße Luft. Mehrere Ereignisse hatten die Unzufriedenheit befeuert: die offensichtlich manipulierten Kommunalwahlen im Mai 1989 oder das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking wenige Wochen später. Dass sich die DDR-Volkskammer mit der chinesischen Führung solidarisierte, nachdem mindestens 2.600 Menschen, darunter vor allem junge Studierende, getötet worden waren, löste breites Entsetzen aus.
Am 4. September fand schließlich die erste sogenannte Montagsdemo in Leipzig statt. Nur etwas mehr als 1.200 Menschen beteiligten sich [bpb.de]. Fünf Wochen später kam es dort zur ersten echten Massendemonstration. Rund 130.000 Menschen versammelten sich am 9. Oktober in der Leipziger Innenstadt.
Später gingen auch in Rostock, Dresden, Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt), Erfurt oder Berlin Tausende bis Zehntausende Menschen auf die Straße. In kleineren und mittleren Städten wie Arnstadt, Forst oder Neuruppin gab es ebenfalls Proteste. Die Bewegung wurde zur friedlichen Revolution.
Die Demonstration vom 4. November war die erste, die Potsdam durchgeführt wurde. Die Organisatoren wollten nicht wie in anderen Städten ohne Genehmigung auf die Straße gehen. Statt der angemeldeten wenigen Hundert kamen Zehntausende Menschen.
Grenzpolizei, Gräben und Graffiti
Bild: picture alliance/akg-images
14. August 1961, Ost-Berlin schottet sich ab: Soldaten mit Maschinengewehren bewachen die ersten Absperrungsmaßnahmen mit Stacheldraht. Der Bau der Mauer hat in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 begonnen, bekannt als "Operation Rose". Noch im Juni 1961 erklärte Walter Ulbricht öffentlich: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Die endgültige Entscheidung fiel bei einem Treffen zwischen dem sowjetischen Regierungschef Chruschtschow und Ulbricht am 3. August 1961 in Moskau. Zuvor hatte sich die sowjetische Führung lange gegen ein solches Vorhaben gesträubt.
Bild: picture alliance/dpa/UPI
Wenige Wochen später behauptet die DDR-Führung nun, die Mauer diene dem Schutz vor "revanchistischen und militaristischen Kräften Westdeutschlands und West-Berlins". In Wirklichkeit richtet sich die Mauer primär gegen die eigene Bevölkerung, um deren Flucht zu verhindern und das System zu stabilisieren. Zwischen 1949 und 1961 hatten bereits rund 2,5 Millionen Menschen die DDR verlassen, viele von ihnen gut ausgebildet.
Westberliner blicken von der Bernauer Straße aus auf die eingemauerte Versöhnungskirche. Die Mauer trennt nicht nur die Stadt, sondern auch Familien und Freunde für Jahrzehnte. Knapp 44 Kilometer verlaufen entlang der Sektorengrenze zwischen West- und Ost-Berlin, insgesamt ist die Mauer 155 Kilometer lang. Das entspricht in etwa der Entfernung vom Brandenburger Tor bis Dresden.
Bild: picture alliance/akg-images
DDR-Propaganda am Checkpoint Charlie in Kreuzberg 1962. Mit "Hier beginnt die Freiheit" haben die Verantwortlichen die Barriere aus Stahlbeton und Stacheldraht dahinter bezeichnet. Zwischen 1961 und 1988 versuchen mehr als 100.000 DDR-Bürger über die innerdeutsche Grenze zu fliehen. Mindestens 140 davon kommen bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer ums Leben - die meisten von ihnen werden von DDR-Grenzsoldaten erschossen.
Bild: Picture Alliance
US-Präsident John F. Kennedy (r.) bei seinem Besuch in Berlin am 26.06.1963 auf einer Aussichtsplattform an der Berliner Mauer und dem Brandenburger Tor. Da hat er noch wenige Monate zu leben. Hinter Kennedy steht der Regierende Bürgermeister Willy Brandt. Die USA reagieren zunächst sehr zurückhaltend auf den Mauerbau. Für Kennedy bleiben drei Grundpfeiler der US-Politik zu Deutschland unberührt: Der freie Zugang nach Berlin, die Anwesenheit der Westmächte in der Stadt und die Freiheit der West-Berliner Bevölkerung. Er will nichts riskieren.
Bild: picture alliance/dpa/G.Bratke
Kennedys berühmter Besuch in Berlin 1963 mit seiner "Ich bin ein Berliner"-Rede wird zu einem wichtigen symbolischen Akt der Solidarität - auch wenn er die Realität der Mauer und der Menschen auf beiden Seiten nicht ändert. Hier nutzen Ostberliner Kinder unmittelbar hinter dem Grenzzaun an der Schwedter Straße, Ecke Kopenhagener die offene Straßendecke als Buddelplatz.
Bild: Picture Alliance
Eine Frau wird am 05.10.1964 in Berlin aus einem Ausstiegsschacht nach oben gezogen. Dieser Schacht ist Teil eines Fluchttunnels. Insgesamt fliehen 57 Menschen durch ihn nach West-Berlin - bis er entdeckt wird. Fluchthelfer holen Tausende DDR-Flüchtlinge in die Bundesrepublik. Einer von ihnen ist der Medizinstudent Burkhart Veigel. "Ich habe mich aber von Mensch zu Mensch zuständig gefühlt. Was die Politik macht, hat mich eigentlich wenig interessiert", erinnert sich Veigel im Gespräch mit rbb|24.
Bild: picture alliance/dpa/B.Müller
Eine Gruppe Kinder tummelt sich im März 1972 an und auf der Mauer am Legiendamm im Westberliner Stadtteil Kreuzberg. Auf der Mauer sind mit weißer Farbe die Worte "Einigkeit und Freiheit für Berlin" aufgemalt. Doch zu dieser Zeit ist eine deutsche Wiedervereinigung sehr unwahrscheinlich geworden. Die innerdeutschen Beziehungen haben sich normalisiert, was auch am neuen Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR liegt.
Bild: picture alliance/SZ Photo/K.Lehnert
Der Vertrag sieht "normale gutnachbarliche Beziehungen" vor. Für die Bundesrepublik bleibt die Wiedervereinigung ein Auftrag des Grundgesetzes - auch wenn sich bis auf Weiteres niemand die Finger daran verbrennen will. Die DDR versucht, den westdeutschen Standpunkt einer fortbestehenden deutschen Nation zurückzuweisen. Eine Wiedervereinigung wird von der Staatsführung nur für den Fall in Aussicht gestellt, dass sich der Sozialismus in der Bundesrepublik durchsetzen würde - was höchst unwahrscheinlich ist. Hier der Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in Mitte Anfang der 1970er Jahre zu sehen.
Bild: picture alliance/Zentralbild/D.Palm
Ein Bild wie eine dystopische Fototapete: Eine Berlinerin macht am 1. Januar 1976 einen Neujahrsspaziergang mit ihrem Hund auf der Rudower Höhe (heute: Dörferblick). Links kann man die Mauer und den Todesstreifen erkennen.
Bild: picture alliance/dpa
Eine Schrebergartenlaube in Berlin-West direkt an der Mauer, aufgenommen 1982. Die lange Dauer der Teilung führt mit der Zeit zu einer gewissen Akzeptanz des Status quo: Die Erinnerungen an ein geeintes Deutschland verblassen zunehmend.
Bild: imago images
Sowohl die Welt als auch viele Deutsche selbst gewöhnen sich an den Zustand der deutschen Teilung. Dieser Kreuzberger pflegt seine Balkonblumen mit Ausblick auf den Todesstreifen am Bethaniendamm. Es wirkt, als würde er die Mauer gar nicht mehr bewusst wahrnehmen - für ihn und die anderen Berliner ist sie Alltag.
Bild: picture alliance/SZ Photo/P.Glaser
Was Einheimischen wohl nicht mehr groß auffällt, ist für viele Touristen ein absurder Anblick: Das Brandenburger Tor (hier im Jahr 1984) liegt mitten in der Stadt - aber auch mitten im Grenzstreifen und ist darum für keinen zugänglich. Zu Beginn des Jahrzehnts sieht es noch immer aus, als würde sich daran nichts ändern. Doch langsam kommt etwas ins Rutschen.
Bild: Imago Images/Frank Sorge
Die Erfolge der unabhängigen polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność, der neue sowjetische KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow und seine Reformen von Perestroika und Glasnost - das alles erhöht den Druck auf die DDR-Führung. Hier feiern junge Ost-Berliner bei einem privat organisierten Punkkonzert am 18. Mai 1985 im Hirschhof in der Oderberger Straße.
Bild: dpa-Bildfunk/Roland Holschneider
Zugleich geht die Zahl der erfolgreichen Fluchtversuche deutlich zurück, auch deshalb, weil das Regime die Grenzsicherung verstärkt hat. Drei Beispiele von jungen Menschen, die es nicht geschafft haben: Marienetta Jirkowsky ist 18 Jahre alt, als sie 1980 bei einem Fluchtversuch an der Mauer bei Frohnau von DDR-Grenzern angeschossen wird. Sie stirbt am nächsten Tag. Ihre Familie darf keine Todesanzeige veröffentlichen. Silvio Proksch (21 Jahre) wird 1983 in Pankow von Grenzsoldaten angeschossen und verblutet, weil er keine medizinische Hilfe bekommt. Michael Schmidt (20 Jahre) stirbt 1984 nahe des S-Bahnhofs Wollankstraße, als ihn ein Soldat beim Versuch erschießt, mit einer Leiter über die Mauer zu klettern.
Bild: dpa-Bildfunk/Chris Hoffmann
Unzählige Fans versammeln sich zu einem Konzert des britischen Rockmusikers David Bowie am 06. Juni 1987 vor dem Reichstagsgebäude in West-Berlin. Obwohl die Bühne nach Westen ausgerichtet war, überquert die Musik die Mauer und erreicht die Ostseite, wo sich etwa 5.000 junge Menschen versammelt haben, um zuzuhören. Bowie, der zwei Jahre in Berlin gelebt hat, richtet bewusst eine Botschaft an sie: "Wir schicken unsere besten Wünsche zu all unseren Freunden, die auf der anderen Seite der Mauer sind." Diese Geste der Solidarität hat eine starke symbolische Bedeutung - und löst letztlich eine Gruppendynamik unter ostdeutschen Jugendlichen aus, die als "Pfingstunruhen von 1987" in die DDR-Geschichte eingehen wird.
Bild: picture alliance/dpa/C.Hoffmann
Die Aussichtstürme sind für viele im Westen nicht nur eine gute Möglichkeit, einen Blick in die "Zone" zu wagen: Weil die Ostler nicht rüber können, und manche Westler nicht in den Osten reisen können oder dürfen, winken sie sich hier zu. Aussichtsplattform mit Besuchern am Potsdamer Platz in West-Berlin. Links stehen Grenzbeamte hinter Absperrgittern. Aufnahme vom 1988.
Bild: picture alliance/dpa/DB M.Yilmaz
Nein, das sind keine "Stormtrooper" bei Krieg der Sterne - sondern mit Gasmasken und Kamera ausgerüstete DDR-Grenzsoldaten. Sie gucken am 21.06.1988 über die Mauer am Potsdamer Platz. Da bleiben ihr nur noch knapp eineinhalb Jahre, aber das ahnt damals keiner. Was überdeutlich ist: Die wirtschaftliche und politische Situation in der DDR verschlechtert sich zunehmend. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst, so wie die Zahl der Ausreiseanträge und Fluchtversuche.
Bild: picture alliance/akg-images/Pansegrau
Gorbatschows Reformen erhöhen den Druck auf die DDR-Führung, ebenfalls Veränderungen anzustoßen. Das ermutigt die Opposition und nährt Hoffnungen. Auch in Westdeutschland und international wächst die Erwartung, dass sich auch in der DDR etwas bewegen könnte. Hier machen zwei West-Berliner Amateurfotografen im Morgengrauen Schnappschüsse von einer Aussichtsplattform.
Bild: picture alliance/akg-images/L. M. Peter
DDR-Grenzpolizisten am Brandenburger Tor. Die Aufschrift zu ihren Füßen: "Erich gib doch endlich auf". Wahrend aber die Bürger Hoffnung durch die Veränderungen in der Sowjetunion schöpfen, reagiert das SED-Politbüro mit strikter Abgrenzung von Gorbatschow und beharrt auf dem Status Quo - was die Entfremdung zur Bevölkerung verstärkt. Am 4. September 1989 findet in Leipzig die erste offizielle Montagsdemonstration statt. Teilnehmer entrollen Transparente mit Forderungen wie "Für ein offenes Land mit freien Menschen" und "Reisefreiheit statt Massenflucht". Dann geht alles schnell, so schnell.
Bild: dpa/Sorge
Am Vormittag des 9. November überarbeitet die DDR-Führung unter dem Druck der Demonstrationen den Entwurf eines neuen Reisegesetzes. Um kurz vor 19 Uhr verkündet das Politbüromitglied Günter Schabowski überraschend, dass DDR-Bürger "ohne Vorliegen von Voraussetzungen" und "sofort, unverzüglich" ausreisen dürften. Gegen 20:30 Uhr treffen die ersten Ost-Berliner an den Grenzübergängen Sonnenallee, Invalidenstraße und wie hier Bornholmer Straße ein, um zu sehen, was los ist - und die Öffnung der Grenze zu fordern. Ohne eindeutigen Befehl öffnen die DDR-Grenzsoldaten tatsächlich mehrere Übergänge.
Bild: picture alliance/akg-images
Allmählich wird klar: Nach 28 Jahren ist die Teilung der Stadt Geschichte. Es wird eine Nacht, die niemand vergessen wird. Berliner aus beiden Teilen der Stadt stürmen die Mauer am Brandenburger Tor, umarmen sich, feiern gemeinsam. Millionen sitzen vor den Fernsehern und können nicht fassen, was sie da sehen.
Bild: picture alliance/ZB-Archiv
Der Platz hallt vom Klopfen der "Mauerspechte" wider, die mit Hämmern und Meißeln Teile der Mauer auf der Westseite bearbeiten. Um 0:20 Uhr werden etwa 30.000 Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) in "erhöhte Gefechtsbereitschaft" versetzt. Weil aber keine weiteren Befehle folgen, stellen die Kommandeure der Grenzregimenter diese Maßnahmen auf eigene Verantwortung ein. Von den Grenzübergängen strömen die Menschen zum Kurfürstendamm, der bis zum frühen Morgen in eine Partymeile verwandelt wird.
In den nächsten Stunden und Tagen verstopfen Tausende Trabis die Straßen - wie der dieser Familie am Grenzübergang Bornholmer Straße, am 10. November. Wie diese Frau werden viele Menschen von ihren Gefühlen übermannt.
Bild: akg-images / Kai-Olaf Hesse
Am Nachmittag des 10. November gibt der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse eine bedeutsame Erklärung: Er betont, dass die Sowjetunion die Ereignisse in der DDR als eine interne Angelegenheit der neuen Führung und des Volkes betrachte und ihnen dabei vollen Erfolg wünsche. Am Potsdamer Platz begrüßen sich am gleichen Tag wildfremde Menschen.
Bild: picture alliance/dpa-Zentralbild/P.Glaser
Die euphorische Stimmung setzt sich in den folgenden Tagen fort, vor Banken in West-Berlin bilden sich lange Schlangen von DDR-Bürgern, die ihr Begrüßungsgeld abholen wollen. Tausende Menschen aus Ost und West strömen weiterhin über die offenen Grenzübergänge, wie hier an der Puschkinallee zwischen Kreuzberg und Treptow. Da sind bereits jede Menge Betonsegmente aus der Mauer herausgetrennt.
Bild: picture-alliance / dpa | Lehtikuva Oy
An das Danach denkt in diesen Tagen des Glücks kaum jemand. Viele machen sich keine Vorstellungen, was nun aus ihrem untergehenden Land wird - und wie ihre Zukunft aussehen soll, wenn sie vollkommen frei darüber entscheiden können. Die für viele ehemalige DDR-Bürger brutalen Verwerfungen und Verletzungen der Nachwendejahre wirken im Rückblick zu diesem Zeitpunkt unendlich weit entfernt - und sind es doch nur wenige Jahre.
Bild: IMAGO / imagebroker
Die DDR-Regierung erkennt schnell das wirtschaftliche Potenzial der Mauerteile: Im Dezember 1989 übernimmt "Limex", eine Firma des DDR-Außenhandelsministeriums, offiziell den Verkauf der Mauerreste. Bemalte Teile werden bei Auktionen versteigert, sie finden Käufer in der ganzen Welt. Im Sommer 1990 ist die einstige hochbewachte Mauer nur noch eine Ruine: Menschen spazieren auf Höhe der Heidelberger Straße im einstigen Todesstreifen. Bis Ende November 1990 werden allein in Berlin 184 Kilometer Mauer, 154 Kilometer Grenzzaun, 144 Kilometer Signalanlagen und 87 Kilometer Sperrgräben entfernt.
Bild: picture alliance/Eventpress Hohlfeld
Noch die kleinsten Bröckchen werden zu Souvenirs verarbeitet - wie hier auf Postkarten vor einem Souvenirladen am Pariser Platz. Echtheitszertifikat? Eher unwahrscheinlich.
Der Großteil der Mauer aber wird zu Bauschutt. Nach Schätzungen der Grenztruppenführung fallen rund 1,7 Millionen Tonnen davon an. Viele dieser Teile werden vermutlich im Straßenbau wiederverwendet. In der Bernauer Straße ist ein Stück Mauer 1998 für eine Gedenkstätte erhalten geblieben. Die meisten Touristen aber zieht es heute dazu an das nicht wiederzuerkennende, schicke (manche sagen auch neureiche) Spreeufer: Die 1,3 Kilometer hier heißen nun "East Side Gallery". Von Profis bunt bemalt, "instagramable" - wenig erinnert heute noch an den Schrecken und das Leid, das diese Schlange grauen Stahlbetons in Berlin verursacht hat. Von Sebastian Schneider, Julia Sie-Yong Fischer und Caroline Winkler | Mehr zur Berliner Mauer | 35 Jahre Mauerfall | Weitere Bildergalerien
Das Ende kam unaufhaltsam, aber versehentlich schneller
Mehrfach versuchte das DDR-Regime gegenzusteuern. Am 18. Oktober musste Erich Honecker als Generalsekretär des ZK der SED zurücktreten. Als Nachfolger wurde Egon Krenz installiert. Noch im Mai war er Leiter der Zentralen Wahlkommission die Kommunalwahlen und hatte damit die umfassenden Fälschungen mitverantwortet.
Am Tag des Führungswechsels prägte Krenz den Wende-Begriff. Allerdings erhoffte er sich wohl etwas völlig anderes. "Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wieder erlangen", sagte er damals.
Krenz ging es also darum, dass die DDR-Führung wieder die Kontrolle im Arbeiter- und Bauernstaat erlangte. Viele Bürgerinnen und Bürgern wollten hingegen eine weitaus umfassendere Wende: einen anderen Staat oder zumindest eine andere Art der Führung, aber nicht alte Köpfe auf neuen Posten.
Die letzte große Demonstration vor dem Mauerfall fand dort statt, wo der Protestherbst angefangen hatte: Am 6. November zogen noch einmal rund 500.000 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Außerhalb des Stadtrings hatten Militär und Polizei Stellungen bezogen. Doch es blieb friedlich.
Das Ende kam am 9. November. Günter Schabowski, seit gerade seit drei Tagen Sekretär für Informationswesen, wurde während seiner zweiten Pressekonferenz nach neuen Regelungen zur Ausreise für DDR-Bürgerinnen und -Bürger gefragt. Schabowski öffnete dabei versehentlich die Mauer, mit den berühmten Worten: "Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich." Das Ende der DDR war damit besiegelt.
In Berlin und Brandenburg erinnern in den kommenden Tagen mehrere Veranstaltungen an die Ereignisse rund um den Fall der Mauer. Die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam veranstaltet am 4. November Stadtführungen und eröffnet eine neue Ausstellung [gedenkstaette-lindenstrasse.de]. Am 9. November solle eine kilometerlange Installation in Berlin-Mitte an das Ende der Teilung der Stadt erinnern.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, das Zentralkomitee der SED hätte seinen Sitz an der gleichen Straßenkreuzung wie der ADN gehabt. Das ist falsch, es war das Institut für Marxismus-Leninismus. Das ZK der SED hatte seinen Sitz im sogenannten "Großen Haus" am Marx-Engels-Platz in Berlin-Mitte. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten ihn zu entschuldigen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 04.11.2024, 19:30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 04.11.2024 um 21:42 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.
Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.
So bequem, so wohlstandsverwahrt ist man geworden: man macht nur noch Kreuze bei Parteien und Politikern und meint, das sei Protest. Wenn man sich dagegen an die Zeiten vor 35 Jahren - oder genauer gesagt die Jahre vor den Ereignissen vor 35 Jahren erinnert....
Was passiert denn, wenn der Mindestlohn noch angehoben wird ? Dann wird vieles unbezahlbar oder täuscht das, und es wird alles billiger ? Im Prinzip alles Hausgemacht. Genauso wie die horrenden Energiekosten.
Die Meinungsfreiheit ist heute schon stark in Mitleidenschaft gezogen. An Sprech- und Auftrittsverboten mangelt es nicht und an vieles haben sich die Bürger schon gewöhnt. Schritt für Schritt fanden Einschränkungen der Meinungsfreiheit Eingang in die Strafgesetzgebung. Die Liste verbotener Worte wird immer länger, nur kennt man sie nicht alle. Es ist ins Belieben der Gesetzeshüter gestellt, welche Ausdrücke als rassistisch, rechtsextrem usw. gelten. Eine Innenministerin verbietet eine Zeitung, lässt Redaktionsräume en passant stürmen, Inventar und Vermögen, auch privates, beschlagnahmen. Viele Bürger haben sich angesichts solcher Aktionen und den noch wahrscheinlich kommenden mit Grausen abgewandt. Wer weiß, wo sie in Zukunft ihr Kreuzchen machen werden ?
"Enteignungen" in diesem Zusammenhang ist das falsche Wort. Die Enteigneten bekamen ihr Eigentum zurück.
Dass die ehemaligen Bürger der DDR nicht auf die Soziale Marktwirtschaft vorbereitet waren, war abzusehen. Aber wie hätte man den Menschen helfen können? Es sollte alles schnell-schnell gehen. Die Menschen wollten die D-Mark. Die Firmen mussten ihre Mitarbeiter plötzlich in D-Mark bezahlen. Die D-Mark war aber mehr als viermal soviel wert, als die Mark der DDR. Das brach den allermeisten Rettungsversuchen das Genick. Viele Menschen in den neuen Bundesländern haben sich umgestellt und angestrengt und sind auf die Füße gekommen. Wer sich zurücklehnte und nur auf Kohls blühende Landschaften wartete, der wurde enttäuscht.
Natürlich haben Rohwedder (Sanierer) und besonders Breuel (Markt) in der noch von Modrow gegründeten Treuhand vieles falsch gemacht und Wessis bevorzugt. Das steht außer Zweifel.
Die Teil- Vollkasko Erhöhung hat überwiegend mit den großen Unwetter-Vorfällen zu tun, und nicht nicht durch übermäßige Verkehrsunfälle. Müssen Mieter keine Grundsteuer zahlen ? Wer sich wie Sie, allerdings über Preiserhöhungen freut, muss schon paritätisch sehr gut wirtschaftlich aufgestellt sein. Dazu gehöre ich leider nicht.
75.
Erstaunlich, wie viele sich heute anscheinend einen "starken" Staat und ein Ende der Demokratie wieder zurück wünschen. Weg mit der Meinungsfreiheit, her mit der Dikatatur. Am besten wäre es für viele mittlerweile offenbar sogar unter Putins Regie.
Wie sagte Albert Einstein: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit."
Zitat: "So eine gewaltfreie Revolution welche die Polizei wohlwollend begleitete wäre heutzutage undenkbar."
Und das ist auch gut so. Oder haben Sie tatsächlich den Eindruck bzw. den Wunsch danach, dass das "Volk" auf die Straße gehen sollte, um das "Regime" zu stürzen und dabei von im Staatsdienst beschäftigten Sicherheitskräften flankiert werden sollte? Das müffelt mir doch ziemlich nach Umsturzfantasien, Herr/Frau "Kritiker".
Viele haben sich auch etwas schaffen und leisten können. Ich zum Beispiel. Aber Einseitigkeit war bei der SED und deren Anhängern schon immer weit verbreitet.
Auweia! Eine KFZ-Versicherung ist zwar Pflicht, die „drastischen Erhöhungen“ haben die Versicherungsnehmer durch die Vermeidung von Versicherungsfällen selbst in der Hand.
Ohne Grundsteuereinnahmen können Gemeinden keine Infrastruktur planen, gar finanzieren (Schule, Kita, Radwege, etc.).
Wer Grundsteuer zahlt, hat doch zumindest etwas, wovon viele nur zu träumen wagen(Grundbesitz). Egal in welchem Zustand, bleibt jedem selbst überlassen und kein anderer ist dafür verantwortlich.
Jaja, die Sozialversicherungsbeiträge mal wieder. Über die Parität können wir uns freuen. Über Erhöhungen natürlich nicht. Was wäre Ihrer Meinung nach der bessere Weg?
Der Wohlstand wird sich auf Dauer nicht halten lassen. Es beginnt sich ja schon abzuzeichnen. Die z.T. drastischen Erhöhungen der Kfz-Versicherung ist nur ein aktuelles Beispiel stellvertretend von vielen. Die Gelder werden natürlich für andere Dinge fehlen. Dazu Grundsteuer, Sozialabgaben und die ganzen anderen Erhöhungen. Gleichzeitig machen viele Firmen dicht oder verlagern sich ins Ausland. Die Ergebnisse und Auswirkungen kann jeder Laie vorhersagen, während die Experten weiter rat- und ideenlos herum Wurschteln.
Wünsche und Träume darf jeder Mensch haben. Was spricht gegen „WORK LIFE BALANCE“?
Was gegen eine 4-Tagewoche bei gleicher Arbeitszeit? Natürlich ist diese nicht direkt in allen Arbeitsfeldern umsetzbar. Zwei befreundete Handwerksmeister sind mit den bisherigen Ergebnissen absolut zufrieden, da sich ihre Mitarbeiter mit ihren Ideen aktiv am Prozess der Entwicklung beteiligen.
Selbst, mit Vollzeitvertrag im sozialen Bereich, liege ich momentan nur knapp über 4 Arbeitstagen. Mit etwas Phantasie, lassen sich Wünsche und Träume durchaus verwirklichen.
Mit Marx, Engels, Sozialismus und Kapitalismus hat das nichts zu tun. Einzig mit der Bereitschaft zur möglichen Veränderung.
@Andreas...: Auch wenn meine Antwort Sie nicht zufriedenstellt - meine Erfahrungen können Sie mir nicht absprechen. Man kann nicht alles mit Geldbeträgen bewerten oder errechnen. Und das ist einer der Unterschiede zwischen den Menschen, die damals auf die Strasse gingen und der heutigen Gesellschaft.
Herzlich Willkommen in der DDR, oder ist es im Bundesdeutschen Kapitalismus anders, natürlich für sie bestimmt, wenn man nichts macht immer schön ja und ahmen sagt eckt man nicht an. Und wenn es dennoch mal schief geht schreit man nach dem Volk und jammert rum und lässt andere die Dreckarbeit machen. Solche Leute gefallen mir und obendrein durch das nichts tun anderen noch einen Wirtschaftlichen Schaden zu fügen. Danke
"Ein Tipp: arbeiten Sie an Ihrer Rechtschreibung!"
Sorry, aber den kann ich mir jetzt nicht verkneifen: Es ist schon dumm gelaufen, wenn man andere darauf aufmerksam macht, an ihrer Rechtschreibung zu arbeiten, dabei dann aber selber einen Rechtschreibfehler in seinem eigenen Text übersieht oder?
"Tut mir leid, ich habe jetzt 5 Minuten überlegt, ob ich Ihnen auf Ihren Text eine ernsthafte Replik liefern soll, denke jedoch, daß erübrigt sich."
>"So eine gewaltfreie Revolution welche die Polizei wohlwollend begleitete wäre heutzutage undenkbar."
Schon deshalb, weil diese Zeiten einer gemeinsamen Gesellschaft mit einem Konsens oder einigen Komprissen heute nicht mehr machbar ist. Wir sind heute gespaltener denn je: In Ost und West, in Nord und Süd, in links und rechts und was dazwischen, in Forderer und Macher, in gebildet und bildungsfern, in Meinungsblasen und Meinungsvierfalt, in Jung und Alt... Mit diesem Hitnergrund sind solche Revolutionen nicht mehr möglich, weil jeder nur seine Scholle und seinen Tellerrand sieht. Es bleiben nur die Erinnerungen an die gute alten Zeit, in der alle gemeinsam noch hehre Ziele hatten für alle. Schuld daran ist nicht die Politik allgemein, sondern wir als Volk. Wie es dazu kommen konnte? Mit ein wenig grübeln weiß das jeder für sich selbst.
Das hat man ihrer ursprünglichen Aussage nichts zu tun.
Ist nur eine Vermutung…. Für ganz viele scheint sich die Arbeit finanziell doch zu lohnen.
Rechnen sie doch mal nach bei 12,41 Mindestlohn was da so rauskommt.
Meinen sie wirklich das über 2 Mio Menschen so doof wären arbeiten zu gehen, wenn es ohne mehr Geld geben würde oder zumindest gleich viel ?