Behinderte in der Pflege - Wie Behinderteneinrichtungen jetzt mit der Krise kämpfen

Mo 16.03.20 | 18:48 Uhr
Mädchen lernt das Gebärdensprachen von einer Frau (Quelle: imago images/AndreyPopov)
Bild: imago images/AndreyPopov

Home Office, Notbetreuung für Kinder, Hotlines: Je weiter die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus ansteigt, desto mehr Hilfsmaßnahmen ergreift der Senat. Doch Menschen mit Behinderung kommen dabei offenbar oft zu kurz. Von Sebastian Schöbel

Es ist eine schwierige Entscheidung, die Vera-Kristin Kögler am vergangenen Wochenende treffen musste: In einer der neun Gehörlosen-WGs ihrer gemeinnützigen Sinneswandel GmbH klagen vier der Bewohner über hohes Fieber: Es besteht der Verdacht auf eine Corona-Infektion. Die Bewohner sind nicht nur gehörlos, sondern haben oft auch geistige oder körperliche Einschränkungen, einige sitzen im Rollstuhl. Soll Kögler trotz der unklaren Lage zum Schichtwechsel eine neue Betreuerin in die WG schicken?

Vera-Kristin Kögler (Quelle: privat)
Vera-Kristin Kögler Bild: privat

Hotline nützt Gehörlosen nichts

Eine schnelle Abklärung der Verdachtsfälle durch das Gesundheitsamt sei nicht möglich gewesen, sagt Kögler rbb|24 - die offizielle Hotline sei ständig besetzt gewesen. "Wir konnten es nicht klären, weil niemand erreichbar war." Ihren pädagogischen Betreuern und Pflegern hätte es allerdings ohnehin kaum geholfen, selber Informationen einzuholen: Die sind nämlich zum Teil selber gehörlos, anrufen ist für sie nicht möglich. "Zugriff auf Schutzkleidung haben wir auch nicht", sagt Kögler. Sinneswandel betreibt nicht nur eine, sondern neun Gehörlosen-WGs, mit insgesamt 47 Bewohnern.

Am Ende habe sie gezwungenermaßen die nächste Pflegekraft in die WG geschickt - in dem Wissen, dass ihre Angestellte damit ein Risiko eingeht. "Wir können die Menschen ja nicht allein lassen."

Behindertenverband fordert kreative Lösungen

So wie Vera-Kristin Kögler geht es zurzeit vielen Menschen in Berlin, die mit Behinderten arbeiten. Vor allem Pflegekräfte und Sonderpädagogen werden der Gefahr einer Infektion ausgesetzt, weil sie körperliche Nähe zu ihren Patienten und Klienten kaum vermeiden können - und setzen sich damit zugleich einem hohen Ansteckungsrisiko aus.

Umso ärgerlicher findet es Dominik Peter vom Berliner Behindertenverband, dass das Informationsangebot über das Coronavirus für Menschen mit Behinderung so spärlich ist. "Was ich nicht verstehe: Dass sich ein Regierender Bürgermeister bei wichtigen Ansprachen ohne Gebärdendolmetscher vor die Kameras stellt."

Zudem gebe es kaum Informationen über mögliche Änderungen bei Angeboten wie dem Sonderfahrdienst für Schwerbehinderte, und keine spezielle Hotline für Menschen, "die nicht so einfach telefonieren können", so Peter. Möglich wären da zum Beispiel ein Faxabruf oder Onlinevideos, in denen in Gebärdensprache wichtige Informationen weitergegeben werden.

Paritätischer sieht Verwaltung am Anschlag

Kathrin Zauter vom Paritätischen Wohlfahrtsverband nimmt die Berliner Verwaltung in Schutz. Die habe derzeit mit einer "außergewöhnlichen Situation" zu tun und versuche "alles Menschenmögliche". Derzeit werde etwa abgefragt, welcher Träger Schutzkleidung für seine Angestellten benötige, damit das Material zentral beschafft werden kann. Zudem frage der Paritätitsche Wohlfahrtsverband seine Mitgliedsunternehmen, was sie brauchen. Dass jetzt jeder immer mehr Informationen und mehr Klarheit verlange, sei nachvollziehbar, so Zauter. Aber die Verwaltung sei in vielen Bereichen mit der Pandemie "einfach überfordert".

Was allerdings auch Zauter vom Senat verlangt, ist Klarheit über die Zukunft von Behindertenwerkstätten. Die müssten sichergehen können, dass ihre zu erwartenden Verluste finanziell abgefedert werden. Zudem müsse sichergestellt sein, dass Pflegerinnen und Pfleger weiter bezahlt werden, wenn sie für andere Aufgabenbereiche abgestellt werden.

"Überlegen, wie viele Menschen wir dieser Gefährdung aussetzen"

Vera-Kristin Kögler wartet auf diese Klarheit noch, was den Gesundheitszustand ihrer vier erkrankten WG-Bewohner angeht. Ihre Betreuer, Pfleger und Pädagogen wird sie weiterhin zum Dienst schicken - anders gehe es nicht, sagt sie. "Wir können nur überlegen, wie viele Menschen wir dieser Gefährdung aussetzen."

Man versuche sich jetzt mit einfachen Mitteln wie Desinfektion und Handschuhen zu helfen, zudem würde sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich informieren. Einen anderen Weg gebe es für die stark gefährdeten Frauen und Männer in der Versorgung von Menschen mit Behinderungen aber auch nicht: "Die Tätigkeit verweigern, geht nicht."

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