Teilweise verbotene Proteste in Berlin - "Querdenker" wollen Absperrung durchbrechen - Polizei setzt Pfefferspray ein

Tausende "Querdenken"-Anhänger haben sich am Samstag in Berlin diversen Versammlungsverboten widersetzt. Immer wieder versuchten, ins abgeriegelte Regierungsviertel zu kommen. Auf der Lessingbrücke in Moabit drohte die Lage zu eskalieren.
Anhänger der "Querdenker"-Szene sind am Samstag trotz einer Reihe von Demonstrationsverboten durch Berlin gezogen, um gegen die Corona-Politik in Deutschland zu protestieren. Stadtweit seien mehrere tausend Personen in verschiedenen Aufzügen unterwegs gewesen, die teilweise nicht genehmigt seien, sagte Polizeisprecherin Anja Dierschke am Nachmittag.
Bei diesen Aufzügen kam es nach Polizeiangaben zu 100 Festnahmen. Die Festnahmen richteten sich laut der Polizeisprecherin vor allem gegen "Rädelsführer" und "Aufrührer" der Protestierenden, so Dierschke. Ziel dieser Festnahmen sei es gewesen, kurzfristig künftige Aktionen zu unterbinden. Vier Polizisten seien bei den Einsätzen verletzt worden.
Polizei setzt Pfefferspray ein
Die Polizei begleitete den Angaben zufolge die Proteste mit mehr als 2.000 Beamten, um zu verhindern, dass die Demonstrierenden ins Regierungsviertel gelangten. Dabei setzte sie in Moabit auch Pfefferspray ein.
Nach Beobachtungen von rbb-Reportern versuchten einige Demonstranten, in der Lüneburger Straße, in der Straße Alt Moabit sowie über die Stromstraße Polizeiabsperrungen zu überwinden und in das Regierungsviertel einzudringen. Auf der Lessingbrücke im Ortsteil Moabit drohte dann die Lage zu eskalieren: Die Polizei setzte Pfefferspray gegen Demonstrierende ein, die versucht hatten, die dortige Polizeiabsperrung zu durchbrechen, berichteten rbb-Reporter. Es kam zu tumultartigen Szenen und Rangeleien. Nach Schätzungen des rbb-Reporters waren 1.000 Menschen auf der Brücke. Sie verließen wenig später wieder das Areal. Einige wenige Demonstranten gelangten trotz der Absperrungen bis vor den Reichstag.
Ausgangspunkt in Friedrichshain
Ausgangspunkt des ungenehmigten Aufzugs war laut Polizei der Volkspark Friedrichshain. Dort hätten sich am Vormittag mehrere tausend Menschen versammelt und seien dann losgelaufen. Nach Beobachtungen von rbb-Reportern hatten sich auch einige Gegner der Corona-Politik am U-Bahnhof Weberwiese getroffen, andere auf der Friedensstraße (beide in Friedrichshain), anschließend zogen die Menschen vorbei am Volkspark Friedrichshain. Ein großer Teil des nicht genehmigten Protestzuges zog mit Fahnen und Transparenten über die Danziger Straße und Prenzlauer Allee, einige versuchten, über die Oderberger Straße zum Mauerpark zu gelangen. Eine Polizeikette versperrte letztlich den Weg.
Geschätzt 500 "Querdenker" zogen auch über die Tauentzienstraße und Kurfürstendam in der westlichen Berliner City. Vor der Berliner Charité skandierten Hunderte Menschen "Drosten raus!". Am Leipziger Platz hielt die aus der "Querdenken"-Szene kommende Parteineugründung "Die Basis" eine Kundgebung ab. Am Abend bewegten sich noch einzelne Gruppen durch die Stadt.
Einige "Querdenken"-Anhänger verfolgten nach rbb-Informationen auch das Ziel, einen Protestzug der Berliner Clubszene, den "Zug der Liebe", zu unterwandern. Laut der Polizeisprecherin sei dies auch einigen gelungen. Die Musikdemo "Zug der Liebe" ist am Samstagnachmittag am Berliner Mauerpark gestartet. Die Polizei sprach am Nachmittag von rund 4.000 Teilnehmern. Der Veranstalter löste die Demo vorzeitig auf, weil Hygienevorschriften vielfach nicht eingehalten wurden.

Regierungsviertel und Straße des 17. Juni abgeriegelt
Die Berliner Polizei hat sich schon im Vorfeld - trotz zahlreicher Demonstrationsverbote - auf Großversammlungen von Gegnern der Corona-Politik eingestellt. Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern wurden zur Unterstützung angefordert, insgesamt werden nach Behördenangaben am Samstag und Sonntag mehr als 4.200 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz sein. Das Berliner Regierungsviertel und die Straße des 17. Juni wurden als ursprünglich geplante Versammlungsorte von der Polizei hermetisch abgeriegelt.
Mit weiteren Protesten aus den Reihen der "Querdenker"-Szene wird für Sonntag gerechnet. Bereits am Freitagabend war ein Autokorso von Gegnern der Corona-Politik durch Berlin gefahren, dem sich nach rbb-Informationen Menschen in etwa 50 Fahrzeuge angeschlossen hatten.
Richter gaben einem Eilantrag recht
Die Versammlungsbehörde hat 13 Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen verboten, wie sie am Freitagabend auf Twitter mitteilte. Darunter sind Kundgebungen der "Initiative Querdenken" auf der Straße des 17. Juni. Gegen die Verbote wurden am Freitagnachmittag vier Eilanträge am Verwaltungsgericht eingereicht.
Drei Anträge wiesen die Richter zurück, einem gaben sie am Abend statt: Im Fall einer für Samstag und Sonntag angemeldeten Versammlung mit je 500 erwarteten Teilnehmern sei keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit erkennbar, da mit der Antragstellerin noch keine schlechten Erfahrungen gesammelt worden seien, hieß es.
Schutz des Regierungsviertels steht im Vordergrund
Die Teilnehmer von sogenannten Querdenken-Kundgebungen und Demonstrationen würden "regelmäßig gesetzliche Regelungen (...) zum Schutz vor Infektionen" nicht akzeptieren, hatte die Versammlungsbehörde am Donnerstag gesagt und damit ihr Vorgehen begründet.
Die Sicherheitsbehörden sind auch deshalb besonders aufmerksam, weil vor einem Jahr, am 29. August 2020, Zehntausende Menschen in Berlin gegen die Corona-Einschränkungen protestiert hatten. Am Abend durchbrachen Demonstranten dann eine Absperrung am Reichstagsgebäude, bedrängten die zahlenmäßig weit unterlegenen Wachkräfte und besetzten für einige Zeit eine Treppe vor einem Eingang. Die Bilder davon lösten breite Empörung aus und sorgten auch international für Aufsehen.
Aufrufe zu Massenprotesten am Wochenende
In den zurückliegenden Monaten ist der Zulauf zu derartigen Demonstrationen zwar zurückgegangen. Aktuell wurde über das Internet und Messengerdienste aber trotz der Verbote weiter zu Massenprotesten an diesem Wochenende aufgerufen. In Telegram-Kanälen mit tausenden Abonnenten verbreiteten Unterstützer Informationen zur Anreise und zum Verhalten bei Polizeikontrollen. Außerdem waren Tipps zu lesen, wie man sich in Berlin am besten bewegt, über welche Apps sich Demonstranten zusammenfinden und dass Corona-Schutzmasken kurzzeitig auch zur Tarnung getragen werden könnten.
Zuletzt waren am 1. August trotz Verboten einige tausend Demonstranten durch die Hauptstadt gezogen und hatten sich teils Rangeleien mit der Polizei geliefert.
Sendung: Inforadio, 28. August 2021, 9:40 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 28.08.2021 um 18:40 Uhr geschlossen.
Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.