Nur 30 Prozent weibliche Abgeordnete - Fehlen im Brandenburger Landtag die Frauen?

Sa 19.10.24 | 08:16 Uhr | Von Ismahan Alboga und Markus Woller
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Der Brandenburger Landtag im Herbst 2024 (Quelle: DPA/Soeren Stache)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 19.10.2024 | Ismahan Alboga | Bild: DPA/Soeren Stache

26 von 88 Abgeordneten des neuen Brandenburger Landtags sind Frauen. Der Frauenpolitische Rat Brandenburg sieht darin eine Gefahr für Projekte und Initiativen - viele Parlamentarierinnen eine Herausforderung für sich selbst und die Gesellschaft. Von I. Alboga und M. Woller

Wann immer Kristy Augustin (CDU) in der vergangenen Wahlperiode im Brandenburger Landtag am Rednerpult stand, hielt sie sich stets an eine Abmachung: Wenn sie andere Parlamentarierinnen lobend erwähnen konnte, tat sie das auch. Auch wenn diese nicht aus demselben politischen Lager stammten. Andere weibliche Abgeordnete taten es ihr gleich.

"Mit einer kleinen Note konnte man so eine gewisse Stärkung und Wertschätzung ausdrücken", erzählt die Abgeordnete, die auch Vorsitzende der Brandenburger Frauen-Union ist, der Lobby für Frauen innerhalb der CDU. Diese Ermutigung hätten viele Kolleginnen gebraucht, weil man sie manchmal im Parlament nicht so ernst genommen habe wie männliche Abgeordnete, so Augustin. Man habe auf diese Weise eine Art inoffizielles Frauen-Netzwerk über Fraktionsgrenzen hinweg gepflegt. Der neue Landtag werde es vielleicht noch nötiger haben, vermutet die 45-Jährige.

Nur zehn der 44 Direktmandate gingen diesmal an Frauen. 16 weibliche Abgeordnete wurden zudem über die Landeslisten von SPD, AfD, BSW und CDU in den Landtag gewählt. Dem vorherigen Landtag hatten zuletzt immerhin 32 Frauen angehört.

Frauen unterschiedlich stark in Fraktionen vertreten

Die einzige Fraktion mit annähernd paritätischem Frauenanteil ist die SPD. Auf ihrer Landesliste waren Männer und Frauen in abwechselnder Reihenfolge aufgeführt. Allein auf die größte Fraktion entfallen somit 15 Frauen bei einer Fraktionsgröße von 32 Abgeordneten. Die AfD hat den niedrigsten Frauenanteil: Nur vier der 30 Abgeordneten sind weiblich. Beim BSW sind es drei von 14, bei der CDU vier von zwölf Fraktionsmitgliedern.

Fragt man Frauen im Parlament, woran es liegt, dass sie unterrepräsentiert sind, gibt es oft ähnliche Antworten: "Das Engagement wird in weiten Teilen der Gesellschaft nicht so wahrgenommen und nicht gefördert", sagt zum Beispiel Ellen Fährmann, die einzige neue Frau in der CDU-Fraktion. "Vielleicht trauen sich Frauen auch manchmal die Stärke nicht zu, das zu machen", so ihre Erfahrung.

Von SPD-Frauen klingt das ähnlich an: Ines Seidler sagt, es fehlten zudem die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Frauen müssten auch heute noch oftmals Kinder, Haushalt und Karriere miteinander vereinbaren. Da fehle es allein schon an einer Kinderbetreuung für abendliche Sitzungen. "Man muss sich dann auch mit seinem Partner ebenbürtig in die Augen gucken", so Seidler. Mütter, die Vollzeit arbeiteten, könnten Politik sonst nicht betreiben. Außerdem würden Frauen sich lieber ehrenamtlich in Vereinen engagieren als in der Politik.

Bessin sieht keinen Bedarf für Quote

Dabei brächten Frauen neben viel Kompetenz auch eine andere Debattenkultur in den Landtag ein, sagt Fraktionskollegin Britta Kornmesser. Für den neuen Landtag erwartet sie nun ein raueres Klima und einen unsachlicheren Umgang, weil "in Pausengesprächen bisher oft Frauen auf Frauen zugegangen sind, und das persönliche Gespräch gesucht haben", berichtet sie. Das könnte jetzt schwieriger werden.

Birgit Bessin ist eine der vier Frauen in der neuen AfD-Fraktion. Sie findet die Debatte um unterrepräsentierte Frauen überflüssig: "Jede, die das möchte, kann kandidieren. Und wenn das nicht jede Frau möchte, oder sich anders in Kommunalparlamenten oder in Vereinen engagieren möchte, ist das eine freie Entscheidung."

Spannend ist in diesem Zusammenhang nicht nur, ob Frauen andere Perspektiven, Kompetenzen oder einen eigenen Stil in den Politikbetrieb einbringen, sondern auch die Frage: Braucht es eigentlich Frauen, um Frauenthemen zu vertreten? Die meisten Parlamentarierinnen, die der rbb dazu befragt hat, sind davon überzeugt.

Frauenpolitischer Rat sorgt sich um Projektfinanzierungen

Auch in der Wissenschaft gibt es zu der Frage eine klare Tendenz. "Länder, in denen mehr Frauen in den Parlamenten sitzen, sind bei den Gesetzgebungsbereichen, die mit Gleichberechtigung zu tun haben, wie Kinderbetreuung und gleiche Arbeitsbedingungen, fortschrittlicher", sagt Politikwissenschaftlerin Theresa Gessler von der Europa-Universität in Frankfurt (Oder). Viele Erfahrungen, die die weibliche Sozialisation ausmachten, würden nun im Brandenburger Landtag nur noch wenig vertreten sein, so ihre Vermutung.

Der Frauenpolitische Rat hat sogar konkrete Sorgen, dass frauenbezogene Themen im neuen Landtag in den Hintergrund treten könnten. "Wenn in den frauenpolitischen Gremien fast nur Männer sitzen, sehen wir uns benachteiligt", sagt Hella Hesselmann vom Frauenpolitischen Rat. Viele Projekte könnten - mangels Sensibilität für die Themen - nicht weiterfinanziert werden, befürchtet sie.

Im Frauenpolitischen Rat selbst werden zum Beispiel Projekte zu besonderen Frauenorten, Frauengesundheit, Mädchenarbeit realisiert. Hier hofft Hesselmann, dass diese trotz der Repräsentanz-Lücke weiterfinanziert werden. Schon in den Wahlprogrammen habe man Themen wie die Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vermisst. Auch zur Finanzierung von Frauenhäusern oder Familien-, Frauen- und Queer-Verbänden sei vielfach nichts zu lesen gewesen.

"Frauen müssen Frauen sehen"

Nach Ansicht von Hesselmann brauche es nach den Erfahrungen aus dieser Wahl einen neuen Anlauf für ein Paritätsgesetz, das eine gleichmäßige Aufstellung von männlichen und weiblichen Kandidaten für die Wahllisten der Parteien vorschreibt. Ein erster Versuch für ein solches Gesetz war vor vier Jahren krachend am Brandenburger Verfassungsgericht gescheitert. Das Gericht hatte klargemacht, dass man Parteien nicht vorschreiben könne, wer aufgestellt werden darf und wer nicht.

Für die CDU-Abgeordnete Kristy Augustin kommt es deshalb nun umso mehr auf die wenigen Frauen an, die im neuen Landtag vertreten sind. Das Netzwerk will sie mit neuem Leben und neuen Abgeordneten füllen. "Es ist für Frauen wichtig, dass sie auch Frauen im Landtag sehen." Das habe auch Auswirkungen darauf, ob sich zukünftig wieder mehr weiblicher Parlaments-Nachwuchs finden wird.

Beitrag von Ismahan Alboga und Markus Woller

109 Kommentare

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  1. 109.

    Schon lustig, wie Sie aus meinem Kommentar auf Frau Baerbock schließen, hab ich mit keiner Silbe benannt. Frei nach dem Motto "Was ich denk und tu,das traue ich auch Anderen zu " Nun ja! Musste doch schmunzeln!

  2. 108.

    Die deutsche Wirtschaftslage wird in erster Linie schlecht geredet. Man kann sich über die desaströse Außenwirkung und die Auftritte von Habeck trefflich streiten aber die absichtlich herbeigeführte Verteuerung von Energie haben andere herbeigeführt.

    Hätte Altmaier nicht als Lakai der Großindustrie eine ganze zukunftsfähige Industrie nach China vergrault stünden wie besser da.

    Gestern, ZDF "Heute Show". Lutz van der Horst bei der cSU zum Thema Koalition mit den Grünen: "Sie hätten vier Jahre einen Sündenbock, sie könnten alles verbieten und dann auf die Verbotspartei schieben".

    Ernst gemeinte Antwort der leider unbekannten cSU Dame: "Das machen wir doch sowieso".

    Das sind so Lacher die einem im Halse stecken bleiben.

  3. 107.

    Ein "Schmarn" steht im dieser Antwort geschrieben, und darüber hinaus ist er keine Antwort auf den Kommentar #99.
    Ergo, was soll das?.
    Es ging wohl nur um Unterstellungen zu verbreiten, fern ab der Meinung von @ es nervt!, und das nur, weil diese Meinung nicht passt, schade.

  4. 106.

    Haben Sie das Thema verfehlt oder große Angst vor starken Frauen? Was lässt Sie zu dieser unpassenden Aussage kommen?

  5. 105.

    "Sahra Wagenknecht hat aufgrund ihrer Kompetenz und Beliebtheit eine eigene Partei gegründet, die natürlich nach ihren Vorstellungen ausgerichtet sein soll."

    Da mußte ich herrlich lachen. Die glühende Stalinbewunderin hat sich auch den Personenkult von ihrem Vorbild abgeguckt. Da muß halt alles nach ihrer Pfeife tanzen. Die ganze Staffage und Statisten dürfen höchstens vom Blatt ablesen was die große Vorsitzende diktiert hat.

    Eine eigene Meinung existiert nicht neben ihrer.

  6. 104.

    Es gab mal Zeiten, da meinte man an der Kopfform erkennen zu können, ob jemand ein Verbrecher ist. Man sagte "das liegt so in deren Natur"....
    Solche Spinner braucht keiner wieder!

  7. 102.

    Nur, weil Frauen das starke Geschlecht darstellen, müssen sie ja nicht Handwerker werden, Frauen sind oftmals feingeistiger und gebildeter als Männer, das liegt in der Natur der Frau. Wenn Sie nämlich keine Angst hätten, würden Sie auch nicht diesen Kommentar schreiben. Warum machen Ihnen Frauen derart viel Angst?

  8. 99.

    Wie oft will man denn hier noch mit irgendwelchen Quotenartikeln ankommen? Werden die Damen nicht in Handwerkerberufen gesucht?

  9. 98.

    Und glauben Sie, das ist auf dem genetischen Code verankert oder liegt es vielleicht doch eher an der Erziehung, Erfahrung oder was auch immer? Wenn es so ist, wie Sie schreiben, gibt es dafür Ursachen und es ware schön, wenn diese endlich mal verändert werden würden. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass einige Frauen die doch teilweise eher harte Rhetorik und der Umgang miteinander in der Politik mehr abschreckt als Männer. Aber das ist natürlich nur meine subjektive, persönliche Meinung, für die ich keine wirklichen Belege vorlegen könnte. Es gibt Gründe, warum es so ist, wie es ist und es wäre schön, wenn diese Gründe bzw. Ursachen angegangen werden würden.

    P.S. Ich wünsche Ihnen und allen anderen hier noch einen schönen Restsonntag :-)

  10. 97.

    Auch wenn es nicht Thema hier ist: ich kenne keine andere Partei, die nach der Gründerin benannt ist. Die "Einmischung von oben" in Entscheidungen untergeordneter Ebenen ist mir aus DDR- und SED-Tagen noch bestens bekannt. Frau W. spricht in einem Interviev selbst davon, dass sie sich zu Hause vor dem Spiegel "in die Figur S.W. verwandelt". Ihre Selbstinszenierung sucht ihresgleichen. Ich bestreite nicht ihre Kompetenz oder ihr Wissen, das kann ich gar nicht beurteilen. Es ist diese Omnipräsenz von Frau W., die mich abstößt.

  11. 96.

    „auf die Weiblichkeit degradiert, dann kommt die Wertung und das Anzweifeln der Kompetenzen“
    Da habe ich in einer Stellenanzeige genau das Gegenteil beobachtet: „Suche Küchenhilfe: 1 Frau oder 5 Männer“...

  12. 94.

    Jede Marotte eine Quote? Hat ja nicht einmal für ostdeutsche 16 Millionen Biographien geklappt...

  13. 93.

    Wenn geschlechter- und parteiunabhängig unverfälschte Qualifikationen und Referenzen vor Quote gesetzt werden würden, wäre es erstmal ein Schritt in die richtige Richtung und viel wichtiger als Röcke und Hosen zu zählen. Auf Kosmetik oder Schröderschwarz sollte eher verzichtet werden.

  14. 92.

    Oberflächliche Kritik ist natürlich nicht nur auf Frauen reduziert, wird bei ihnen aber häufiger genutzt, um zu diskreditieren. Wenn man nichts sachliches beisteuern kann, geht es schnell unter die Gürtellinie.
    Bei den Grünen kann man das auch oft beobachten. Da geht es nicht mehr um die Sachfrage an sich.

    Reflexion und Analyse kann eben auch nicht jeder oder jede.

  15. 91.

    Haben Sie die in Frage kommende Quote denn schon berechnet? Es gibt in Deutschland knapp 1000 Menschen, die ihr Geschlecht mit divers angeben. Das wären im Schnitt weniger als 30 im ganzen Land Brandenburg.
    Die Frage ist, ob Quoten zum Erfolg führen. Ich hatte einen schönen Beruf und dann bekam ich eine Frau als Chefin. Quotenregelung!
    Ein Jahr später habe ich gekündigt, mit Mitte 50 aus einer unbefristeten Stelle, wegen Ungleichbehandlung, daraus resultierenden Zickenterror und weiteren unschönen Erlebnissen, die mir als Frau unter Männern als Chef bis dahin völlig unbekannt waren. Quote, nein danke!

  16. 90.

    Muss man eigentlich den Frauenanteil bei freier Geschlechterwahl ggfs. laufend neu berechnen? Und was ist mit den "diversen" Geschlechtern?

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