Analyse zum BrandenburgTrend - Der Endspurt im Wahlkampf in Brandenburg so offen wie selten zuvor
AfD und SPD legen zu, BSW, CDU und Grüne mit leichten Verlusten. Auf den ersten Blick scheinen sich die Entwicklungen der vergangenen Monate fortzuführen. Doch im Detail wird klar: Selten war der Ausgang der Wahl in Brandenburg offener. Von Oliver Noffke
- Gleich drei Parteien müssen laut BrandenburgTrend um den Wiedereinzug in den Landtag bangen
- Ihr Einzug oder Ausscheiden kann Machtverhältnisse gravierend verschieben
- Positionen zu Zuwanderung und Flucht sind für Großteil der Befragten aktuell entscheidend
Brandenburg steht ein heißer Endspurt im Wahlkampf bevor. Der aktuelle BrandenburgTrend verdeutlicht, dass am 22. September wenige Stimmen über den Erfolg oder Misserfolg von Parteien entscheiden können. Besonderheiten des brandenburgischen Wahlrechts könnten die Machtverhältnisse im Land so stark beeinflussen wie nie zuvor. Welche Koalitionen möglich oder ausgeschlossen sind, wird sich womöglich erst zeigen, wenn die letzte Wahlurne ausgezählt sein wird.
In der repräsentativen Umfrage vom Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap, die im Auftrag des ARD-Magazins Kontraste vom rbb durchgeführt wurde, erhält die AfD die höchste Zustimmung. 27 Prozent der Befragten würden die bislang größte Oppositionspartei wählen. Das bedeutet ein Plus von vier Punkten gegenüber der vorherigen Erhebung von Anfang Juli. Auf dem zweiten Platz landet die SPD mit 23 Prozent. Ebenfalls plus vier Punkte.
Linke, Grüne und BVB bangen um Einzug
Die Strategie von Ministerpräsident Dietmar Woidke scheint also aufzugehen. Er gilt als der bekannteste wie auch beliebteste Politiker in Brandenburg. Die SPD hat ihren Wahlkampf auf ihn zugeschnitten. Woidke selbst machte vor wenigen Wochen vom Ergebnis seiner Partei abhängig, ob er auch künftig Anspruch auf das Amt erheben wird. Woidke will nicht Ministerpräsident bleiben, wenn es zwar für eine Regierungsmehrheit reicht, die SPD aber nicht stärkste Kraft wird.
Die CDU verliert einen Punkt und kommt auf 18 Prozent. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) muss einen Punkt einbüßen, doch kann es nach derzeitigem Stand mit einem Ergebnis von 15 Prozent rechnen. Es wäre ein Novum. Seit der Wiedervereinigung ist in Brandenburg noch nie eine Partei mit einem solch starken Ergebnis aus dem Stand in den Landtag eingezogen.
Bündnis 90/Die Grünen verlieren zwei Punkte, liegen bei fünf Prozent und müssen damit um den erneuten Einzug bangen. Noch schlechter stehen Die Linke und BVB/Freie Wähler da. Sie erhalten in der Sonntagsfrage erneut vier, beziehungsweise drei Prozent der Stimmen. Über das Zweitstimmenergebnis also in den Landtag zu kommen, erfordert von beiden Parteien nun noch verstärkte Überzeugungsarbeit bei den Wählerinnen und Wählern.
Regierungsmehrheit mit einer Reihe aus wenn und aber...
Dieses Umfrageergebnis lässt auf den ersten Blick einen Fortbestand der Koalition aus SPD, CDU und Grünen möglich erscheinen. Gemeinsam stehen sie aktuell bei 46 Prozent. AfD und BSW liegen zusammen bei 42 Prozent. Ein solch knapper Vorsprung würde allerdings ein enormes Maß an Disziplin von einer Koalition erfordern. Für Dissens in der Regierung bliebe kaum Platz, bereits wenige Abweichler könnten Vorhaben von innen heraus torpedieren.
Bei der Landtagswahl 2019 kam die sogenannte Kenia-Koalition auf 52,6 Prozent der Stimmen, während auf die derzeitigen Oppositionsparteien im Landtag (AfD, Linke und Freie Wähler) zusammen 39,2 Prozent der Zweitstimmen entfielen. Allerdings ist es schwer, auf Basis der jetzt veröffentlichten Zahlen sichere Vorhersagen zur Zukunft der Brandenburger Regierung zu treffen.
Die dunklen Flecken der Schwankungsbreite
Zum einen liegt dies daran, dass aktuell gleich drei Parteien im Bereich der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Infratest-Dimap gibt für Werte bis zehn Prozent eine Schwankungsbreite von bis zu zwei Punkten an. Das heißt: Ja, die Grünen stehen in der Umfrage bei fünf Prozent. Die Meinungsforscher sagen aber gleichzeitig, würde jetzt gewählt werden, kann die Partei ein Ergebnis im Bereich von drei bis sieben Prozent erwarten.
Bei zwei Punkten Schwankungsbreite in einer Umfrage bedeuten fünf Prozent: Dass es die Grünen in den Landtag schaffen, ist ebenso wahrscheinlich wie ihr Scheitern. In ähnlicher Weise gilt das auch für Linke und Freie Wähler. Auch ihre Ergebnisse befinden sich innerhalb der Schwankungsbreite – ihre Chancen auf einen Einzug liegen laut BrandenburgTrend aktuell jedoch etwas schlechter.
Diese drei Parteien rechnen sich jedoch gute Chancen aus, in jeweils einem der 44 Wahlkreise die meisten Erststimmen zu erhalten. In Brandenburg dürfen Parteien, die mindestens ein Direktmandat holen, in den Landtag einziehen, auch wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde reißen. Und zwar mit so vielen Abgeordneten, wie ihnen im Verhältnis der Zweitstimmen zustehen. Ein gewonnenes Direktmandat hat 2014 den Freien Wählern drei Sitze im Landtag beschert. Dabei entfielen damals lediglich 2,7 Prozent der gesamten Zweitstimmen auf die Partei.
Ob es keine, eine, zwei oder alle drei dieser Parteien in den Landtag schaffen, wird nur scheinbar geringe Unterschiede in der Sitzverteilung mit sich bringen. Die Auswirkungen auf die Machtverhältnisse dürften jedoch gravierend sein.
Deutliche Themenverschiebung
Das drängendste Problem für viele Befragten ist Zuwanderung und Flucht. Auch wenn die Befugnisse in diesen Bereichen weitgehend beim Bund liegen und nicht bei den Ländern. 40 Prozent nannten dies als wichtigstes oder zweitwichtigstes Problem im Land Brandenburg. Vor der Landtagswahl 2019 sagten das noch 15 Prozent.
Mobilität, Bildung sowie Klima- und Umweltschutz waren den Wählerinnen und Wählern vor fünf Jahren noch deutlich wichtiger. Das hat sich geändert, profitieren kann davon offenbar die weiter erstarkende AfD. Insbesondere klassische Themen der Grünen haben hingegen an Bedeutung verloren.
Kontroverse Meinungen zu Regierungsbeteiligungen
Sollten die AfD oder das BSW an der nächsten brandenburgischen Landesregierung beteiligt werden? Diese Frage polarisiert die Bürgerinnen und Bürger. 97 Prozent aus der Anhängerschaft der AfD möchten die Partei in der nächsten Regierung sehen.
Bei den Anhängern der anderen Parteien ist dieser Wunsch nicht ausgeprägt. Am stärksten ist die Zustimmung dazu noch unter den BSW-Wählenden.
Beim BSW ist das Bild ähnlich, der Spalt ist allerdings weniger breit. Unter der eigenen Wählerschaft sind 96 Prozent für eine Regierungsbeteiligung, lediglich zwei dagegen. Geteilt ist die Meinung unter den Anhängerinnen und Anhängern der AfD, 42 Prozent fänden eine Regierungsbeteiligung des BSW gut, 44 Prozent hingegen nicht. Bei der SPD ist das Verhältnis 30 zu 55 Prozent. Bei CDU-Wählenden sind 24 Prozent dafür, 63 lehnen das ab. 13 Prozent aus der Grünen-Wählerschaft fänden das gut, 74 Prozent allerdings nicht.
Auffällig ist, dass sich viele der Befragten beim BSW offenbar nicht festlegen konnten oder wollten. Das ist verständlich. Die Partei ist vor nicht einmal einem Jahr gegründet worden, der Landesverband besteht noch keine sechs Monate. Im Gegensatz zur AfD ist die Wagenknecht-Partei nach wie vor eine große Unbekannte.
Fazit
Der aktuelle BrandenburgTrend zeigt, am Wahlabend wird das Abschneiden vieler kleiner Parteien maßgeblich über die Zusammensetzung des nächsten Landtags entscheiden. Das größte Problem für viele Wählerinnen und Wähler ist aktuell Zuwanderung und Flucht. Davon profitiert insbesondere die AfD. Von Werten wie bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen vom vergangenen Sonntag ist sie in Brandenburg nur noch wenige Punkte entfernt. Allerdings beschränkt sich der Wunsch nach einer AfD-Regierung auf die eigenen Anhänger. Weniger als drei Wochen vor dem Wahlsonntag scheint der Ausgang so offen wie selten zuvor.
Zur Umfrage: Für den BrandenburgTrend wurden vom Meinungsforschungsinstitut Infratest-Dimap 1.207 Menschen befragt, die in Brandenburg wahlberechtigt sind. Sie wurden zufallsbasiert ausgewählt. Die Befragungen fanden am 3. und 4. September 2024 statt. Im Auftrag des ARD Magazins Kontraste vom rbb.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 05.09.2024, 19:30 Uhr