75. Jahrgang - Historischer Rückblick - Prunk, Politik, Potsdamer Platz: die Geschichte der Berlinale

Mi 29.01.25 | 10:07 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Berlinale 1980, Preisverleihung. (Quelle: dpa/Sammlung Richter=
Bild: dpa/Sammlung Richter

Die Berlinale feiert 75. Jubiläum. Wie sich das "Schaufenster der freien Welt" vom Image der Cannes-Resterampe emanzipierte und was Gary Cooper mit dem Arbeiteraufstand von 1953 zu tun hat: Ein Blick in Geschichte und Gegenwart des Festivals. Von Fabian Wallmeier

Das Festival-Jahr 2025 beginnt mit einem Jubiläum: Im Februar startet die 75. Ausgabe der Berlinale - und das mit der neuen Leiterin Tricia Tuttle.

Das Groß-Event Berlinale zieht sich heute in alle Himmelsrichtungen durch die Stadt. Dennoch hat das Festival ein klares Zentrum mitten in Berlin, am Potsdamer Platz - wenn es auch durch Umbauten und Schließungen in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren hat.

Nicht immer fand die Berlinale in so zentraler Lage statt. Ihren Anfang nahm sie 1951 weiter außerhalb, rund sechs Kilometer Luftline entfernt: Die erste Ausgabe des Festivals fand im Titania-Palast in Steglitz, einem traditionsreichen Kino, das damals zu den bedeutendsten der Stadt zählte.

Archivbild: Berlinale Spielorte - Stars auf dem roten Teppich der Berlinale vor dem Berlinale Palast am Potsdamer Platz. (Quelle: Berlinale/Alexander Janetzko)
Berlinale/Alexander Janetzko

Thema - Berlinale 2025

Die Berlinale 2025 findet vom 13. bis 23. Februar in Berlin statt. Bei rbb|24 finden Sie Filmkritiken, Interviews, Porträts sowie aktuelle News zu Regisseuren, Stars, Programm, Jury und den Bären.

Gleich der erste Film der ersten Berlinale wurde dem selbsterklären Anspruch gerecht, ein hochkarätiges internationales Filmangebot zu zeigen: Alfred Hitchcocks US-Debüt, der Thriller "Rebecca", eröffnete die erste Berlinale. Außer Konkurrenz, wie es bis heute unter anderen Bezeichnungen (Berlinale Special) bei Eröffnungsfilmen keine Seltenheit ist.

Taufrisch war Hitchcocks Film damals allerdings nicht mehr: Schon 1940 war er in den amerikanischen Kinos gelaufen. Die Vorführung auf der Berlinale mehr als zehn Jahre später war aber immerhin die Deutschlandpremiere des Films. Hitchcock selbst ließ sich nicht blicken, aber Hauptdarstellerin Joan Fontaine kam nach Berlin.

Die italienische Schauspielerin Sophia Loren mit ihrem Ehemann, dem Produzenten Carlo Ponti, bei der Ankunft am Flughafen Berlin Tempelhof während der IX. Internationalen Filmfestspiele (Foto von 1959).(Quelle: dpa)Die italienische Schauspielerin Sophia Loren mit ihrem Ehemann, dem Produzenten Carlo Ponti, bei der Ankunft am Flughafen Berlin Tempelhof während der IX. Internationalen Filmfestspiele.

Die "freie Welt" setzt auf internationale Stars

Die erste Berlinale stand unter dem Motto "Schaufenster der freien Welt" – und setzte damit auch ein Zeichen im Kalten Krieg. Sechs Jahre zuvor hatte der amerikanische "Film Officer" Oscar Martay mit den Vorbereitungen begonnen. Er wollte mit dem Festival auch anknüpfen an die deutsche Filmtradition der 1920er Jahre.

US-Schauspieler Gary Cooper und die Schweizer Schauspielerin Lilli Palmer zeigen sich bei der Eröffnung der Internationalen Filmfestspiele. (Quelle: dpa/Günter Bratke)Star-Rummel 1956: US-Schauspieler Gary Cooper und die Schweizer Schauspielerin Lilli Palmer zeigen sich bei der Eröffnung der Internationalen Filmfestspiele.

Die "freie Welt" präsentierte sich in den Anfangsjahren der Berlinale aber nicht primär mit neuen deutschen Filmen, sondern vor allem mit dem Glanz und Glamour westlicher internationaler Großproduktionen. So kamen dann auch die Stars des europäischen Films und aus Hollywood nach Berlin: unter anderem Gina Lollobrigida, Jayne Mansfield, Henry Fonda und Gary Cooper. Letzterer reiste 1953 demonstrativ nach Berlin, um ein Zeichen gegen die Kommunistenhetze des US-Senators McCarthy zu setzen – und wurde im Osten der Stadt zufällig Zeuge der Arbeiteraufstände am 17. Juni.

17. Juni 1953: Während der 3. Berlinale kommt es zum Arbeiteraufstand in der DDR

Die Berlinale war im Jahr zuvor von Steglitz an den Kurfürstendamm gezogen – beste Lage im damaligen West-Berlin. Dort etablierte sie sich schnell auch international. Nachdem sie vom internationalen Filmproduzentenverband FIAPF den Status eines A-Festivals erhalten hatte, setzte sie erstmals eine internationale Fachjury ein. Zuvor hatte das Publikum über die Vergabe der Preise entschieden – mit Ausnahme der ersten Berlinale, bei der eine rein deutsche Jury die Preise vergab.

Vietnam-Film führt zum Berlinale-Skandal

1957 zog die Berlinale abermals um – vom Ku'damm ging es in den nahe gelegenen Zoo-Palast, der als Premierenkino für den Wettbewerb der Berlinale eigens ausgebaut worden war. Das Festival öffnete sich ab Ende der 1950er Jahre stärker dem europäischen Film, zeigte unter anderem Filme der Nouvelle Vague und des italienischen Kinos. Goldene Bären gingen unter anderem an Ingmar Bergman, Claude Chabrol, Michelangelo Antonioni und Jean-Luc Godard.

Pressekonferenz der Berlinale-Jury am 05.07.1970 in Berlin. (Quelle: dpa/Chris Hoffmann)1970: Die Berlinale-Jury unter Präsident George Stevens (stehend) tritt zurück wegen Verhoevens "o.k."

1970 produzierte das Festival einen handfesten Skandal. Michael Verhoevens Vietnam-Film "O.K." erzürnte den Jury-Präsidenten George Stevens vor allem wegen einer Szene, in der ein amerikanischer Soldat ein vietnamesisches Mädchen vergewaltigt. Stevens warf Verhoeven offenen Antiamerikanismus vor. Daraufhin trat die gesamte Jury zurück und zum ersten und bisher einzigen Mal wurden auf der Berlinale keine Goldenen und Silbernen Bären verliehen.

Proteste und politische Debatten blieben dennoch Teil der Berlinale. Anfang 2020 etwa wurde bekannt, dass der erste Leiter des Festivals, Alfred Bauer, eine bedeutendere Rolle im nationalsozialistischen Regime gespielt hatte als bis dahin bekannt. Die Berlinale gab selbst eine Studie in Auftrag, die die Recherchen in weiten Teilen bestätigte. Und der seit 1987 verliehene Alfred-Bauer-Preis wurde durch einen anderen Silbernen Bären ersetzt.

Ein besonders von politischen Kontroversen geprägter Jahrgang war die Berlinale 2024: Erst gab es ein Hin und Her um die Einladung oder Nicht-Einladung von AfD-Politker:innen zur Eröffnungsfeier. Und zum Abschluss lösten pro-palästiinensische Statements bei der Preisverleihung eine Debatte über politische Leitlinien des Festivals und die Meinungsfreiheit der eingeladenen Künstler:innen aus. Ohne klares Ergebnis.

Cannes-Resterampe? Dann lieber frieren!

Aber zurück in die Geschichte des Festivals: Obwohl nach dem Eklar von 1970 eine Zeitlang das Ende der Berlinale zumindest möglich erschien, erholten sich die Filmfestspiele von diesem Schock. 1971 nahm – auch als Reaktion auf den Verhoeven-Skandal - das Internationale Forum des jungen Films seine Arbeit auf, um im Rahmen des Festivals eine Plattform für experimentellere, kleinere, jüngere Filme zu bieten. Bis heute ist das Forum Teil der Berlinale.

Auch der Wettbewerb öffnete sich weiter: Das Weltkino rückte stärker in den Blick. Filme aus international bislang weniger stark vertretenen Filmländern wie dem Iran, Mexiko oder China erhielten Einladungen.

(Quelle: dpa)Zoopalast - viele Jahre lang das Berlinale-Premierenkino

Ein großes Problem hatte die Berlinale aber weiterhin. Weil sie im Juni lief, wurde sie oft als Anhang, als Resterampe der Filmfestspiele in Cannes wahrgenommen, die im Mai stattfinden. 1978 fand die Berlinale deshalb erstmals im Februar statt. Seither müssen Filmfreunde und Stars in Berlin zwar frieren, doch für das Selbstbewusstsein des Festivals war dieser Schritt wichtig. Bis heute gilt die Berlinale, trotz kleinerer und größerer Krisen, als eines der großen Drei unter den internationalen Filmfestivals: neben Venedig – und neben Cannes. Ob sie nicht nur nominell, sondern auch künstlerisch mit diesen beiden in einer Liga spielt, darüber lässt sich sicherlich streiten, je nachdem, welche Maßstäbe man ansetzt.

Berlinale 1978: Eröffnungsempfang mit Romy Haag, Regisseur Robert van Ackeren und Barbara Valentin

Vom Ku'damm an den Potsdamer Platz

Ebenfalls 1978 führte die Berlinale eine weitere Sektion ein: Generation, in der Kinder- und Jugendfilme aus aller Welt gezeigt werden. 1986 folgte das Panorama, das seither eine Mischung aus (in Welt- oder Europapremieren gezeigten) neuen Filmen bekannter Regisseure und Neuentdeckungen bietet.

Traditionell stark vertreten sind im Panorama auch Filme mit LGBTQI*-Bezug. Ein Jahr später wurde erstmals der Teddy Award vergeben, ein Preis für die besten Filme des Festival-Programms, die sich mit queeren Themen befassen. Seit 1992 ist er auch als offizieller Preis der Berlinale anerkannt.

Berlin 1989: Julia Roberts und Sally Field auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor mit zwei DDR Soldaten. (Quelle: IMAGO/HEINRICH)Die Schauspielerinnen Julia Roberts und Sally Field am Rande der Berlinale 1990 auf der Berliner Mauer

Einige Monate vor der Wiedervereinigung, im Februar 1990, war die Berlinale erstmals ein Festival für ganz Berlin: Auch im Ostteil der Stadt liefen Filme des Programms. Mit dem Zusammenwachsen der beiden Berlins entstand in den folgenden Jahren auch eine neue Stadtmitte: der Potsdamer Platz. Dort fand die Berlinale erstmals im Jahr 2000 statt – mit neuem Hauptspielort für den Wettbewerb: dem Theater am Potsdamer Platz, das in der Zeit des Festivals zum Berlinale-Palast wird.

Stars in zugigen Häuserschluchten

Der große Star-Rummel zieht auch 25 Jahre später weiter die Massen in die zugigen Häuserschluchten des unwirtlichen Versuchs, ein Stück amerikanische Großstadt auf dem ehemaligen Mauerstreifen zu errichten. In den vergangenen Jahren allerdings war am Potsdamer Platz ein Schwinden der Film- und Kinokultur zu betrauern - das Kino im Sony-Center machte dicht, das Cinemaxx wird seit seinem Umbau nur noch für Presse- und Industrie-Screenings genutzt - und das Filmhaus schloss seine Pforten, einzig das darin gelegene Kino Arsenal wird für die Berlinale 2025 noch ein letztes Mal geöffnet.

Dem Niedergang der Filmkultur am Potsdamer Platz will das Festival in diesem Jahr etwas entgegensetzen: Eine neue Spielstätte soll die neue Debütfilm-Sektion der neuen Leiterin Tricia Tuttle beherbergen. Die "Perspectives" finden ihren Dreh- und Angelpunkt im "Stage Bluemax Theater", in dem seit 20 Jahren die Blueman Group ihre Show zeigt. Wie geeignet der Bau für Kinovorführungen ist, wird sich zeigen. Die Nutzung von Spielstätten wie dem Friedrichstadtpalast oder der Uber Eats Music Hall (ja, die heißt wirklich so) als Berlinale-Spielstätten rechtfertigt eine gewisse Skepsis.

Überhaupt all die Sektionen, mit denen die Leiter:innen der Berlinale ihr Glück versuchten. Dieter Kosslick etwa, von 2001 bis 2019 im Amt, erfand längst vergessene Reihen wie das Kulinarische Kino oder eine eigene Sektion für das indigene Kino. Auch die von seinem so ambitionierten wie glücklosen Nachfolger Carlo Chatrian (2020 bis 2024, zusammen mit Mariette Rissenbeek) ins Leben gerufenen "Encounters" etablierten sich nicht und weichen nun den "Perspectives".

Aber ist es nicht am Ende eigentlich ganz schön, wenn ein Festival nicht primär dafür bekannt ist, dass es jedes Jahr verlässlich gleich abläuft? Dass der Wandel ein wichtiger Bestandteil der Berlinale ist, hat sie in den vergangenen 74 Ausgaben bewiesen. Und auch nach der 75. Ausgabe wird damit nicht Schluss sein.

Sendung: rbb24 Abendschau, 09.02.2025, 19:30 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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