Gesundheitssenatorin Kalayci in der Corona-Krise - Die Getriebene

Sa 07.03.20 | 08:51 Uhr
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci
Video: Abendschau | 06.03.2020 | Beitrag von Anja Herr | Bild: dpa/Britta Pedersen

Dilek Kalayci hat den Ruf, eine bisweilen nicht gerade umgängliche Persönlichkeit zu haben. Nun muss sie als Gesundheitssenatorin Berlin durch die "Corona-Krise" führen. Der Start war holprig - was allerdings nicht allein an Kalayci lag. Eine Analyse von Sebastian Schöbel

Sie hat den derzeit wohl schwierigsten Job in der Berliner Landesregierung: Dilek Kalayci, 53 Jahre alt, Gesundheitssenatorin. Der Ausbruch des Coronavirus ist die bisher größte politische Herausforderung für die SPD-Politikerin. In einer Großstadt, die zum Teil bereits fest im Griff einer beinahe hysterischen Virus-Angst ist: Menschen kaufen panisch Supermärkte leer, Desinfektionsmittel müssen nach wiederholtem Diebstahl in Spendern festgeschraubt werden, Medien betreiben atemlose Corona-Dauerberichterstattung und personell ausgedünnte Gesundheitsämter arbeiten am Anschlag.

Kalayci soll nun für Ruhe sorgen und die Reaktion auf eine Infektionswelle organisieren, von der längst klar ist, dass sie kaum aufzuhalten sein wird.

"Sie hat keine Ahnung"

Sie hätte sich den Start allerdings auch leichter machen können.

"All die Kontaktpersonen, die wir identifiziert haben bisher und noch identifizieren werden, werden alle isoliert und getestet."

Es ist dieser eine Satz zum Umgang mit dem Coronavirus, den Kalyci so vielleicht besser nicht ausgesprochen hätte. Hat sie aber – und damit verärgerte sie offenbar ausgerechnet die Menschen, die nun an vorderster Front gegen die Ausbreitung des Virus kämpfen. "Das bringt mich derart auf die Palme", klagte kurz darauf ein Berliner Amtsarzt anonym dem rbb. Die Tests seien nämlich nur sinnvoll, wenn entsprechende Krankheitssymptome bei den isolierten Kontaktpersonen auch auftreten – so, wie es das Robert-Koch-Institut auch empfiehlt, auch um wirklich valide Ergebnisse zu bekommen.

Die Zahl der identifizierten Kontaktpersonen steigt mit jeder bestätigten Infektion um ein Vielfaches: Schon beim ersten Berliner Corona-Patienten waren es 60, inzwischen sind es mehrere Hundert. "Wenn Frau Senatorin behauptet, wir ziehen los, und streichen diese Patienten ab, egal ob sie Symptome haben oder nicht", so der Amtsarzt, "dann hat sie keine Ahnung."

Kalaycis Kommunikationspanne

Kalaycis ungenaue Aussage - die sie später auf Anfrage des rbb wiederholte - sorgte zudem für Verunsicherung bei den Menschen, die bereits in Isolation sitzen: Die warteten vergeblich auf die "sofortigen Tests" und meldeten sich frustriert aus der Quarantäne, um interessierten Medien von widersprüchlichen Aussagen der Ämter und nicht erfolgten Tests zu berichten. Das Wort "Chaos" machte schnell die Runde.

Dass Kalayci in einem Treffen mit den Berliner Amtsärzten dann offenbar auch nicht den richtigen Ton fand, sorgte bei manchen für weitere Verstimmung. Teilnehmer der Sitzung berichten von einer Senatorin, die äußerst angespannt, unwirsch und beratungsresistent aufgetreten sein soll. "Das ist jetzt die Stunde der Fachleute", sagte hinterher der Amtsarzt von Reinickendorf,  Patrick Larscheid, im rbb, "nicht die Stunde der Politiker". Wem die Aussage gilt, war klar. Kalyci eilt ohnehin der Ruf voraus, eher wenig Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen zu besitzen und auch beim eigenen Personal einen hohen Verschleiß zu haben.  

Andere Gesundheitsämter in Berlin bestätigen auf rbb-Nachfrage den Eindruck, dass Kalayci mit ihrer Aussage unnötig Verwirrung gestiftet hat – und den Amtsärzten die Arbeit nur noch erschwerte. Denn die haben ohnehin schon mit Personalknappheit zu kämpfen. "Wir entscheiden, welche Abstriche wir machen", sagt die Amtsärztin von Spandau, Gudrun Widders auf rbb-Nachfrage. Kalaycis Aussage habe sie geärgert, so Widders, die zugleich auch stellvertretende Vorsitzende beim Verband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ist. Doch einen Konflikt zwischen Amtsärzten und Gesundheitssenatorin will Widders nicht herbeireden, es gebe gerade größere Probleme.

"Was uns Arbeit macht, sind aufgeregte Menschen und aufgeregte Medien."

Die Grippe wird vergessen

Denn das gestehen Kalayci sogar politische Beobachter zu, die ihr eher nicht gewogen sind: Das Umfeld, in dem sie aktuell arbeitet, ist zum Teil regelrecht hysterisch - auch wegen der intensiven Corona-Berichterstattung. Dass zum Beispiel das Coronavirus in Deutschland bislang keinen einzigen Todesfall verursacht hat, während an der gemeinen Grippe allein in dieser Grippesaison bislang schon rund 200 Menschen starben, geht derzeit völlig unter.

Genauso wie der Fakt, dass der Ruf nach Tests von allen Corona-Kontaktpersonen nicht nur von Kalayci allein kam: Auch der Amtsarzt von Berlin-Mitte, Lukas Murajda, sagte nach dem ersten bestätigten Infektionsfall über die Suche nach Kontaktpersonen: "Alle schnell finden, isolieren und testen." Dass Letzteres nur Sinn macht, wenn auch entsprechende Krankheitssymptome auftreten, erwähnte der Mediziner erst sehr viel später - als der Ärger seiner Kollegen bereits medial hochgekocht war.

Zudem hatte Kalayci durchaus Grund, umfangreiche Tests zu fordern: Schließlich arbeitete der erste Berliner Corona-Patient, ein 22-jähriger IT-Spezialist, in einem Großraumbüro, in dem er nachweislich mindestens zwei weitere Personen ansteckte. Abwegig ist ein Test "aller Personen in diesem Büro", wie Kalayci forderte, also nicht. Nur macht es medizinisch eben keinen Sinn, alle Personen "sofort" zu testen.

Die unheilbare Corona-Angst

Gänzlich untergegangen ist Kalaycis vielleicht größter Erfolg: Die Einrichtung mehrerer Corona-Anlaufzentren bei Berliner Krankenhäusern. Die Idee kam ursprünglich von der Charité, die damit vor allem verhindern wollte, dass erneut ihre Rettungsstelle wegen eines einzelnen Corona-Patienten stundenlang lahmgelegt wird. Kalayci erkannte den politischen Wert solcher Testzentren. In weniger als einer Woche waren zwei weitere beschlossen und mehr sollen folgen.

Dass diese Zentren aus Sicht von Medizinern des Linke-Gesundheitspolitikers Wolfgang Albers vielleicht gar nicht unbedingt notwendig sind, wird allerdings kaum diskutiert. Denn am ersten Standpunkt auf dem Virchow-Campus tauchen schließlich vor allem Leute auf, die nur prophylaktisch einen Test machen wollen - auch ohne Krankheitssymptome. "Unser Problem ist, dass wir uns mehr mit Menschen beschäftigen müssen, die Angst haben, krank zu sein, als mit dass wir uns um die kümmern können, die wirklich krank sind", sagt Albers. Die Schuld dafür trage aber nicht Kalayci, sagte er dem rbb. "Wenn man jeden Tag einen Countdown berichtet, wie zur Apokalypse, muss man sich nicht wundern."

Dazu kommen Probleme, für die Kalayci keine Schuld trägt. Dass die niedergelassenen Ärzte zu wenig Corona-Schutzausrüstung haben, wertet die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) als Versäumnis der Gesundheitssenatorin. Doch die hat Recht, wenn sie sagt: Zuständig für die Ausstattung der Ärzte ist ihre Vertretung - die Kassenärztliche Vereinigung. Von den Amtsärzten wiederum erfuhr der rbb, dass die KV sich gerade sehr schwer tue, zum Beispiel Kontaktdaten ihrer Ärzte an die Ämter zu schicken. In einem Bezirk etwa warte man seit Tagen auf die angeforderten Fax- und Telefonnummern.

Personalvertretung verhindert Fachkräfteanwerbung

Auch für den Personalnotstand der Gesundheitsämter ist Kalayci nicht verantwortlich. Sie hatte sich schon vor Jahren dafür ausgesprochen, medizinisches Fachpersonal mit der nötigen Zusatzausbildung für den öffentlichen Dienst anzulocken, indem man ihnen mehr Gehalt in Aussicht stellt, als der Tarifvertrag hergibt. Verhindert wurde das lange von den Gewerkschaftern in der Personalvertretung - weil nur die neu eingestellten Mitarbeiter davon profitieren würden. Das "würde Ungerechtigkeiten schaffen", sagt Amtsarzt Larscheid. Erst seit Februar ist die außertarifliche Bezahlung für neu gewonnene Fachkräfte in der Verwaltung möglich.

Für die Corona-Krise kommt das freilich zu spät. Zumal die benötigten Mediziner mit entsprechender Ausbildung für den Verwaltungsdienst ohenhin rar sind. "Die Universitäten nehmen ihre Aufgabe, dieses Personal auszubilden, nur sehr eingeschränkt wahr", sagt Larscheid.

Dass sie am Anfang der Corona-Welle nicht die richtigen Worte wählte und unnötigen Konflikt mit den Amtsätzten schuf, bleibt bislang Kalaycis größter Fehler. Bleibenden Schaden hat sie damit allerdings wohl nicht geschaffen: Bei den Medizinern in der Verwaltung sind längst andere Themen wichtiger. Gudrun Widders jedenfalls fordert einen konstruktiven und geduldigen Umgang mit der Situation, in der man jeden Tag "etwas Neues über das Virus lernt". Man werde noch mehrere Wochen mit Corona leben müssen, sagt sie. "Wenn sich solch ein Erreger ausbreitet, ist niemand daran schuld." Sie habe zwar das Gefühl, so Widders, dass die Politik auf die anfänglichen Einwände der Ärzte gehört habe. Nun sei es aber wichtig, gut zusammenzuarbeiten.

Es wird schlimmer, bevor es besser wird

Was von nach der ersten Woche mit dem Coronavirus in Berlin von Dilek Kalayci bleibt, ist das Bild einer Politikerin, deren Verwaltung unter Hochdruck versucht, die Kontrolle über etwas zu gelangen, das kaum zu kontrollieren ist. Und gemeint ist damit nicht nur das neue, bisher wenig bekannte Virus, sondern auch die diffuse Angst davor, die bisweilen hysterische Züge trägt. Das Schwerste steht ihr wohl noch bevor: Dutzende oder gar hunderte weitere bestätigte Infektionen, möglichwerweise auch Todesfälle, und beinahe unerfüllbare Erwartungen durch eine verunsicherte Bevölkerung.

Dass ihr die Medien bei der Bewältigung dieser Herausforderung nicht unbedingt helfen werden, weiß Kalayci inzwischen schon. Doch die deutlich wichtigere Unterstützung hat sie sich - nach anfänglichen Problemen - offenbar gesichert: die der Amtsärzte und Krankenhäuser in Berlin.

Sendung: Inforadio, 09.03.2020, 6:00 Uhr

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