Familienleben in der Corona-Krise - Wie Mütter und Väter zwei unterschiedliche Pandemien erlebten

Über ein Jahr schon rüttelt die Pandemie am Familienleben. Doch was Mütter und Väter erleben, unterscheidet sich erheblich – vor allem wenn es um Kinder und Haushalt geht. Eine interaktive Story von Sophia Mersmann, Sophia Bernert und Haluka Maier-Borst
Schulen geschlossen, Kitas nur mit Notbetreuung – dass Corona die letzten anderthalb Jahre das Familienleben in Deutschland vor neue Herausforderungen gestellt hat, ist klar. Aber was genau ist in den Familien passiert? Wurden Väter zu Hausmännern - oder Mütter zurück in alte Rollenbilder gedrängt?
rbb|24 hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht. Wir haben uns durch dutzende Studien und Befragungen gearbeitet, selbst Datensätze zum ersten Lockdown ausgewertet und mit Betroffenen gesprochen. Unser Hauptfokus lag dabei auf der sogenannten "Care-Arbeit", also der unbezahlten Arbeit, die für den Haushalt und die Kinder aufgebracht werden muss. Dabei zeigt sich im Großen und Ganzen: Das Mehr an Care-Arbeit war relativ gleichmäßig auf Väter und Mütter verteilt.
Wenn Sie die Grafiken nicht sehen können, bitte hier entlang.
Mütter in Partnerschaften leisteten etwa drei Stunden mehr an Care-Arbeit pro Tag, Väter zweieinhalb Stunden mehr. Bei alleinerziehenden Müttern waren es rund zwei Stunden, die während der Pandemie oben drauf kamen.
Doch da endet schon die Fairness zwischen den Geschlechtern. Denn die Ausgangslage war höchst unterschiedlich: Mütter leisteten schon vor der Pandemie doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer. Und: Das Mehr an Care-Arbeit setzte sich unterschiedlich zusammen.
Entsprechend gibt es große Unterschiede darin, wie sich das Mehr an Care-Arbeit auf den Alltag von Müttern und Vätern ausgewirkt hat. Und: Wie oft dieses Mehr an Care-Arbeit zu psychischer Überforderung führte.
Um diese Unterschiede zu zeigen, haben wir uns entschieden, drei beispielhafte Alltagsabläufe vor und während der Pandemie zu skizzieren - und zwar jeweils von Müttern und Vätern in Partnerschaften und von alleinerziehenden Müttern. Den Alltag alleinerziehender Väter skizzieren wir nicht, weil die Datenlage dafür zu dünn ist. Gleiches gilt für gleichgeschlechtliche Paare. Ferner schauen wir uns hier keine Arbeitenden in sogenannten systemrelevanten Berufen an, weil die Datenlage dort sehr komplex ist. Als systemrelevant eingestuft wurden Jobs wie der Kassierer an der Supermarktkasse, ebenso wie die Ärztin.
Bei allen verwendeten Zahlen handelt es sich um bundesweite Studien und Befragungen, detaillierte Hinweise zu den Datenquellen und zur Methodik finden sich am Ende des Textes.
Dieser Artikel nutzt Funktionen, die in der App nicht ausreichend unterstützt werden.
Falls Sie den Artikel also in der App lesen, klicken Sie bitte hier:






Belastung sehr unterschiedlich
Am Ende zeigt sich: Auch wenn das Mehr an Care-Arbeit zwischen Müttern und Vätern gar nicht so ungleich verteilt war, ist die Belastung bei Müttern und Vätern ganz unterschiedlich. Theresa Entringer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung verweist darauf, dass Frauen schon vor der Pandemie deutlich mehr Care-Arbeit übernommen haben als Männer. Und entsprechend würden drei Stunden mehr an Care-Arbeit für jeden etwas anderes bedeuten. "Wenn ich dadurch die achte, neunte oder zehnte Stunde den Haushalt schmeiße, ist das nicht das selbe, wie wenn ich jetzt mal fünf bis sechs Stunden mithelfe statt zwei oder drei Stunden", sagt die Sozialpsychologin.
Aline Zucco, Sozialforscherin bei der Hans-Böckler-Stiftung sieht zudem in Studiendaten Hinweise darauf, dass vor allem Mütter Haushalt, Kinder und Job parallel jonglieren mussten. Das ist etwas, das uns verschiedene Eltern auch in der Recherche schilderten und wie wir es in den beispielhaft skizzierten Alltagsabläufen darstellen. "Fakt ist, dass die Arbeitszeit im Job nicht in dem Maße abgenommen hat, wie die Care-Arbeit zugenommen hat", betont die Sozialforscherin Zucco. "Das deutet darauf hin, dass Eltern eben viel parallel gemanagt haben oder Nachtschichten eingelegt haben. Und das sorgt natürlich für Stress."
Wie Müttern in dieser Dauerstress-Situation zu helfen ist, dazu gibt es verschiedene Meinungen. Entringer plädiert für das Ausweiten von Psychotherapie-Angeboten, indem auch Therapeuten, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen sind, zumindest zeitweilig über die Krankenkasse abgerechnet werden können. Zucco fokussiert sich dagegen eher darauf, wie man die Auslöser der Stresssituationen verringert. Sprich: Kitas und Schulen müssten nach mehr Alternativen zur kompletten Schließung schauen – wenn die Inzidenzen wieder steigen.
Beide sind sich aber in einer Sache einig: In diesem Herbst und Winter müssen die Eltern und vor allem Mütter mehr Hilfe bekommen. Denn sonst droht der psychische Burnout.
Quellen:
Genutzt für diese interaktive Darstellung haben wir folgende Datenquellen:
Soep-Cov-Erhebung des Deutschen Institut der Wirtschaftsforschung
Theresa Entringer und Hannes Kröger (2021): Psychische Gesundheit im zweiten Covid-19 Lockdown in Deutschland. SOEP Papers, Nr. 1136.
Michaela Kreyenfeld, Sabine Zinn et al. (2021): Coronavirus & Care: How the Coronavirus Crisis Affected Fathers’ Involvement in Germany. SOEP Papers, Nr. 1096.
Sabine Zinn und Michael Bayer (2021): Subjektive Belastung der Eltern durch die Beschulung ihrer Kinder zu Hause zu Zeiten des Corona-bedingten Lockdowns im Frühjahr 2020, Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, Nr. 24
Annelies Blom, Ulrich Krieger et al. (2021): Mannheimer Corona Studie (MCS)
Stefan Munnes, Mareike Bünning, Lena Hipp (2020): Corona-Alltag. WZB Berlin-Erhebung
Forsa: Veränderung von Lebensstil und Ernährung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie
Methodik:
Für das Zusammenstellen des Datensatzes, auf dem die drei Alltage basieren, haben wir teils Studienergebnisse übernommen, teils Datensätze selbst ausgewertet mit Skripten, die hier zu finden sind. Darauf basierend haben wir aus den Stundenangaben für Arbeitszeit im Job und im Haushalt prototypische Alltagsverläufe kreiiert.
Weil die Zahl der alleinerziehenden Väter sehr gering war, haben wir uns dagegen entschieden, einen typischen Tagesablauf hier zu skizzieren. Selbiges gilt für gleichgeschlechtliche Paare.
Einzelne Aspekte wie die Schulfächer oder welcher Sport betrieben wird, ist Teil der erzählerischen Freiheit. Hier waren Gespräche mit Eltern und ihren Erlebnissen in der Pandemie die Inspiration. Um unsere Narration nicht noch komplexer zu machen, haben wir uns für eine Ein-Kind-Familie entschieden, wenn gleich die durchschnittliche deutsche Familie bei 1,5 bis 1,8 Kindern liegt.
Zur Care-Arbeit kann grundsätzlich auch die Pflege von Familienangehörigen zählen. Allerdings ist hier die Datenlage komplex. Der Durchschnittswert für das Pflegepensum ist gering, aber es gibt erhebliche Ausreißer nach oben und unten. Entsprechend wäre es schwierig gewesen, einen wirklich prototypischen Familienalltag mit Pflege vor und mit Corona darzustellen, weswegen wir hier – auch aufgrund der geringen Unterschiede zwischen den Geschlechtern – auf das Abbilden dieses Aspektes in der Story verzichten.
Danksagung:
Wir möchten für das Bereitstellen von Daten und für die wissenschaftliche Beratung danken: Theresa Entringer, Laura Buchinger, Sabine Zinn (alle DIW), Aline Zucco (Hans-Böckler-Stiftung), Martin Bujard (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung), Stefan Munnes, Mareike Bünning, Lena Hipp (WZB), Ulrich Krieger (Universität Mannheim).
Und den Kolleg/innen von rbb|24 für ausgiebiges Feedback.
Sendung: Abendschau, 08.09.2021, 19.30 Uhr