Bundestagswahl - SPD stärkste Kraft, Union mit historisch niedrigem Ergebnis
Bei der Bundestagswahl wird die SPD nach einer rasanten Aufholjagd stärkste Kraft. Die Union stürzt auf ein Rekordtief. Auf Platz drei schaffen es - laut vorläufigem Ergebnis - die Grünen, gefolgt von FDP und AfD. Die Linke bleibt unter 5 Prozent.
Die SPD hat die Bundestagswahl knapp gewonnen. Nach dem vorläufigen Ergebnis wurden die Sozialdemokraten mit Olaf Scholz am Sonntag stärkste Partei. Die CDU/CSU stürzte nach 16 Jahren Regierung von Kanzlerin Angela Merkel mit Armin Laschet auf ein Rekordtief. Trotzdem reklamierte am Wahlabend nicht nur Scholz, sondern auch Laschet den Auftrag zur Regierungsbildung für sich. Beide streben eine Koalition mit Grünen und FDP an. Die wollen jetzt erst einmal untereinander reden.
Nach dem vorläufigen Ergebnis verbessert sich die SPD auf 25,7 Prozent (2017: 20,5). Sie schafft damit einen steilen Aufschwung, noch im Frühsommer hatte sie in Umfragen mit rund 15 Prozent auf Platz drei gelegen. Die Union dagegen erlebt ein historisches Debakel, sie kommt nur noch auf 24,1 Prozent (32,9). Die Grünen erzielen mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ihr bislang bestes Ergebnis im Bund, bleiben mit 14,8 Prozent (8,9) aber hinter den Erwartungen zurück. Die FDP verbessert sich auf 11,5 Prozent (10,7).
Die AfD, bisher auf Platz drei, kommt nur noch auf 10,3 Prozent (12,6). In Thüringen und Sachsen wird sie aber stärkste Partei. In beiden Ländern steht die AfD im Visier des Landesverfassungsschutzes, in Thüringen wird sie als "gesichert extremistisch" eingestuft und seit dem Frühjahr beobachtet. Die Linke rutscht auf 4,9 Prozent ab (9,2). Da sie aber drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigt, kann sie trotzdem wieder entsprechend ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag einziehen. Das legt die Grundmandatsklausel fest.
Mehrheitsverhältnisse ändern sich erheblich
Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit erheblich. Die Sitzverteilung sieht so aus: SPD 206 (2017: 153), CDU/CSU 196 (2017: 246), Grüne 118 (67), FDP 92 (80), AfD 83 (94), Linke 39 (69). Der Südschleswigsche Wählerverband, als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit, zieht mit einem Abgeordneten in den Bundestag ein. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,6 Prozent auf dem Niveau der vergangenen Wahl (76,2).
Deutschland steht nun vor einer schwierigen Regierungsbildung. Einzig mögliches Zweierbündnis wäre eine neue große Koalition, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es zum ersten Mal seit den 1950er Jahren ein Dreierbündnis im Bund geben.
Sowohl Scholz als auch Laschet wollen Regierung bilden
Scholz sieht einen klaren Auftrag für die SPD. Viele Wähler hätten deutlich gemacht, dass sie einen "Wechsel in der Regierung" wollten und der nächste Kanzler Olaf Scholz heißen solle, sagte er. Und mit Blick auf die Union: Einige Parteien hätten Zuwächse erzielt – andere nicht. "Auch das ist eine Botschaft." Es gilt als wahrscheinlich, dass der bisherige Vizekanzler und Finanzminister ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP anstrebt, wie es in Rheinland-Pfalz seit 2016 regiert.
Aber auch Laschet will trotz seiner Niederlage versuchen, sich mit Grünen und FDP auf eine Koalition zu verständigen. Die CDU/CSU werde alles daran setzen, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden, sagte der CDU-Chef. "Deutschland braucht jetzt eine Zukunftskoalition, die unser Land modernisiert." CSU-Chef Markus Söder sagte: "Wir glauben fest an die Idee eines Jamaika-Bündnisses."
Im Wahlkampf hatte er noch massive Bedenken dagegen geäußert, dass die Union wieder den Regierungsanspruch erhebt, wenn sie nicht stärkste Kraft wird. Nun sagte er: "Wir wollen gemeinsam in diese Gespräche gehen mit dem klaren Ziel, den Führungsauftrag für die Union zu definieren, dass Armin Laschet dann der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird."
In Brandenburg konnte die SPD alle zehn Direktmandate gewinnen und lag auch bei den Zweitstimmen vorn. Auch in Berlin landeten die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl vorn, gefolgt von den Grünen.
Abschluss der Verhandlungen "auf jeden Fall vor Weihnachten"
Union und SPD warben zudem dafür, ihre jeweiligen Koalitionsverhandlungen über eine neue Bundesregierung vor Weihnachten abzuschließen. Es müsse alles dafür getan werden, "dass wir vor Weihnachten fertig sind", sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Sonntagabend in der ARD- und ZDF-Sendung "Berliner Runde". "Ein bisschen vorher wäre auch noch gut", fügte Scholz hinzu.
Laschet sprach sich in der Sendung gegen eine lange Phase von Sondierungen vor eigentlichen Koalitionsverhandlungen aus. "Ich finde, dafür haben wir nicht die Zeit", sagte der CDU-Chef. Er verwies darauf, dass Deutschland kommendes Jahr die Präsidentschaft der Gruppe großer Industrieländer (G7) habe. Auch deshalb müsse "die neue Regierung sehr zeitnah ins Amt kommen" und es einen Abschluss der Koalitionsverhandlungen "auf jeden Fall vor Weihnachten geben".
Lindner präferiert Jamaika-Bündniss
FDP-Chef Christian Lindner bekräftigte am Abend seine Präferenz für eine Koalition mit Union und Grünen. "Die inhaltliche Nähe zwischen Union und FDP ist die größte", sagte er. Zugleich betonte er, demokratische Parteien sollten Gespräche nie ausschließen.
Die Bildung eines Jamaika-Bündnisses, wie es in Schleswig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP gescheitert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klimapolitik sind die Differenzen zwischen Grünen und FDP groß.
Lindner schlug vor, dass sich die Liberalen vorab mit den Grünen treffen, um Schnittmengen und Streitpunkte auszuloten. Grünen-Chef Robert Habeck hielt seiner Partei alle Optionen offen. Man habe "gute Chancen, stark in die nächste Regierung zu gehen", sagte er. "Wir wollen regieren." Baerbock sagte: "Es geht ja nicht um die Mittel, sondern es geht um das Ziel, was am Ende erreicht werden muss."
Woidke: "Wir sind wieder da, Freunde!"
Der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) leitete für die SPD kurz nach der nach Bekanntgabe der Prognose um 18 Uhr bereits einen Auftrag ab. "Wir sind wieder da, Freunde!", sagte der SPD-Landesvorsitzende am Sonntag bei der Wahlparty seiner Partei in Potsdam.
Es gehe darum, dass sich die Menschen auch in Zukunft eine Wohnung leisten könnten, von ihrer Rente leben können müssten und dass das Klima geschützt werde, aber mit sozialem Augenmaß. "Deswegen wird unser Auftrag sein jetzt in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten dafür zu sorgen, dass in der nächsten Bundesregierung diese Themen umgesetzt werden und dass wir Deutschland zusammenhalten. Das ist der Auftrag der Sozialdemokratie."
Brandenburger AfD zufrieden mit Ergebnis
Die Brandenburger AfD zeigte sich zufrieden über die Hochrechnungen zur Bundestagswahl. Der Verlust sei verkraftbar, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Dennis Hohloch, am Sonntag dem rbb. "Wir sind jetzt mit derselben Anzahl Abgeordneter nach jetzigem Stand im Bundestag vertreten wie jetzt aktuell auch in der Fraktion." Das bestätige den Kurs der AfD der vergangenen Jahre.
Wahlbeteiligung in Deutschland ähnlich hoch wie 2017
Die Wahlbeteiligung war Schätzungen zufolge ein ähnlich hohes Niveau wie im Jahr 2017. Laut Infratest dimap gaben 76,0 Prozent der rund 60,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland ihre Stimme ab. Das entspricht einem leichten Rückgang um 0,2 Prozentpunkte im Vergleich zur vorigen Wahl.
Am Wahlsonntag waren zwischen 8 Uhr und 18 die Bürgerinnen und Bürger in 2.257 Wahllokalen in Berlin und 3.011 in Brandenburg aufgerufen, ihre Stimmen für die Bundestagswahl 2021 abzugeben.
Neben der Bundestagswahl fanden in Berlin auch die Wahlen zum Landesparlament, dem Berliner Abgeordnetenhaus, statt sowie die Abstimmung über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co enteignen" und über die Zusammensetzung der zwölf Bezirksparlamente.
In Berlin gab es Schwierigkeiten bei der Stimmabgabe. Die Landeswahlleiterin Petra Michaelis bestätigte dies am Sonntagnachmittag dem rbb. Einige Wahllokale öffneten zum Beispiel später als geplant, andere musste zeitweise schließen. Hinzu kam, dass wegen der Corona-Pandemie in den Wahllokalen besondere Hygienemaßnahmen galten, etwa die Pflicht zum Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes.
Neuer Bundestag voraussichtlich in einem Monat
Der neue Bundestag kommt voraussichtlich am 26. Oktober erstmals zusammen. Das hat nach Angaben der Bundestagsverwaltung der Ältestenrat einstimmig beschlossen. Der 26. Oktober ist der letzte mögliche Tag für diese erste Sitzung. Denn nach Artikel 39 des Grundgesetzes tritt der neu gewählte Bundestag spätestens 30 Tage nach der Wahl erstmals zusammen.
Die Fraktionen werden sich bereits in der kommenden Woche konstituieren. Üblicherweise sind anfangs auch die ausgeschiedenen Abgeordneten nochmals dabei, anschließend dann nur noch die neu gewählten. Ihre erste Aufgabe ist es, die Fraktionsführungen zu wählen. Den Auftakt will bereits an diesem Montag die FDP machen, die anderen Fraktionen folgen ab Dienstag.
Sendung: Inforadio, 27.09.2021, 6 Uhr