Interview | Anlagenbauer aus Köpenick und der Krieg - "Wir hatten Kunden im Donbass, denen schlicht die Fabriken kaputtgebombt wurden"

Di 10.05.22 | 06:26 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
Ein Arbeiter entlädt einen Container in Kyiv (Bild: imago images/Ying Tang)
Bild: imago images/Ying tang

Matthias Voigt ist Geschäftsführer eines Berliner Unternehmens, das seit Langem Geschäfte mit russischen, aber auch ukrainischen Firmen macht. Im Interview beschreibt er die wirtschaftlichen Probleme durch den Krieg - aber auch die privaten.

Das Berliner Unternehmen Geconatec arbeitet seit Langem in Russland und in der Ukraine. Es beschäftigt Mitarbeiter in und aus beiden Ländern und erwirtschaftet dort einen Großteil seines Umsatzes. Das Geschäft lief gut bis sehr gut - bis zum 24. Februar 2022 und dem Angriff Russlands auf die Ukraine, wie geschäftsführer Matthias Voigt schildert.

rbb|24: Herr Voigt, Sie leiten ein Unternehmen in Berlin, genauer Köpenick. Womit beschäftigen Sie sich da gerade?

Matthias Voigt: Zwei Tage war ich jetzt in Düsseldorf und in Hamburg. Eines unserer Geschäfte ist die Teeindustrie, und wir haben aktuell auch große Anfragen aus China und aus Russland, und da habe ich mit Kunden gesprochen, die in Zukunft Teefabriken aufbauen wollen.

Zur Person

Geschäftsführer der GeconaTec, Matthias Vogt (Bild: Privat)
Privat

Matthias Voigt

Geboren und aufgewachsen im Erzgebirge, Studium in Leipzig. Geschäftsführer der GeconaTEC GmbH, ein Unternehmen mit 40 Mitarbeitern und einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro mit dem Hauptgeschäftsfeld "Bau von Komplettanlagen für die Lebensmittelindustrie".

Sie sprechen von Teeindustrie, Teefabriken - was genau heißt das? Was genau machen Sie?

Wir sind Anlagenbauer. Wir bauen komplette Linien für die Lebensmittelindustrie zur Verarbeitung von Rohstoffen bis hin zu Fertigprodukten und zwar so verpackt, wie sie dann später im Laden stehen - meist in der Tüte. Oder anders: Wir sind spezialisiert auf die Verarbeitung der Rohstoffe - so heißt das für uns - Kakao, Kaffee und Tee.

Die Kunden unserer Anlagen verarbeiten, nur als Beispiel, Tee: Der kommt bei ihnen an, und mit unseren Anlagen wird dann der Tee gereinigt, aufbereitet, gemischt, unter Umständen aromatisiert und am Ende verpackt. Und von uns kommen die Anlagen für diese Prozesskette. Wir schließen die Verträge, konzipieren, sind Generalunternehmer, kaufen Komponenten von Maschinenherstellern weltweit und bauen die dann zu einer funktionierenden Linie zusammen.

Sie erwähnten bereits China und Russland als Herkunftsländer Ihrer Auftraggeber. Sie haben Kunden ausschließlich dort?

Wir sind hervorgegangen aus dem DDR-Kombinat Nagema - das stand für Nahrungs- und Genussmittel-Maschinen. Dieses Kombinat hat zu DDR-Zeiten in Länder des RGW [Anm. d. Red.: Rat für Gegenseitige Wirtschafthilfe, das Äquivalent der Ostblockstaaten zur OECD], also des osteuropäischen Wirtschaftsraums, wo die sozialistischen Länder zusammengeschlossen waren, die fast gleichen Dienstleistungen erbracht, die wir - grob gesagt - auch heute noch erbringen: Projektierung von kompletten Fabriken und Produktionsanlangen, die Komponenten dafür herstellen lassen, liefern, montieren, in Betrieb nehmen und übergeben. Hauptabnehmer damals: die Republiken der Sowjetunion. Nach der Wende dann hatte unser Unternehmen als Hauptabnehmer Russland und die Nachfolgeländer der ehemaligen Sowjetrepubliken: Belarus, Ukraine, Kasachstan, Usbekistan, Armenien, Aserbaidschan und so weiter. Und in den 2000er Jahren kam China dazu.

Die Sowjetrepubliken früher, jetzt Russland und die Nachfolgestaaten: Das hört sich erst einmal nach Weitermachen unter neuen Voraussetzungen an. So war es aber ja wohl nicht. Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

1998/99 kamen die ersten großen Einschnitte: die große Wirtschafts- und Finanzkrise in Russland mit dem Zusammenbruch des Bankensektors und der Pleite vieler Industriebetriebe. In dieser Zeit dann kam Putin an die Macht. Wenig später wurde die wirtschaftliche Lage in Russland besser und ab 2002 begannen für Firmen im Russland-Geschäft goldene Jahre. Es entwickelten sich rasend schnell wieder funktionierende Industrien. So entstand etwa eine der fünf größten Teefirmen der Welt, in der Größe vergleichbar mit Teekanne in Deutschland.

Und eine weitere Wachstumsentwicklung gab es mit der Bekämpfung der Alltagskorruption in Russland um 2008 - vor allem auf den unteren Verwaltungsebenen. Dort wurden etwa Firmen von Behördenangestellten oder der Polizei erpresst und mussten für Fantasieleistungen ständig zahlen. Teeunternehmer schilderten uns damals: Pro Monat kommen mindestens zehn Beamte, die ein Zertifikat verlangen, und die kosten hunderte oder tausende - meist Dollar. Das fiel dann weg. Das Oligarchensystem dagegen wurde perfektioniert.

Und dann kamen die Jahre 2013 und 2014 ...

Die ersten Veränderungen kamen mit den Debatten um das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU, die Unruhen um den Maidan, dem daran anschließenden kompletten Bruch der Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland, dann kamen die Kämpfe in den südöstlichen Gebieten um den Donbas: Bürgerkrieg.

Wie waren für Ihr Unternehmen die Folgen?

Wir hatten dort im Donbass Kunden, denen schlicht die Fabriken kaputtgebombt wurden. Die Firmen verschwanden vom Markt, nichts konnte gerettet werden. Hilfen gab es auch nicht, keine Versicherungsleistungen oder Kompensationen. Oft war es schlicht so: Die Unternehmer flüchteten, und Separatisten und ihre Kollaborateure übernahmen. Punkt.

Aber noch viel schlimmer war für die Ukraine - ich spreche nur von unserem Spezialgebiet: Tee, Kaffee, Kakao -, dass viele Firmen in der Ukraine mit Russland ihren Hauptabsatzmarkt verloren. Für uns fiel genau darum dann auch die Ukraine weitgehend als Markt aus, denn die Hersteller waren pleite oder schlicht nicht mehr da. In Russland ging es für uns weiter.

Und dann kam der Einmarsch auf der Krim...

Mit diesem Einmarsch gab es dann auch Sanktionen der EU, doch waren die für uns und für unser Geschäft gar nicht spürbar. Ein paar Oligarchen waren betroffen, einige Banken, wir aber kaum.

Bis zum 24. Februar 2022: Dann war Krieg und plötzlich alles anders. Oder haben Sie schon vorher was zu spüren bekommen?

Vier Tage vor Kriegsausbruch war ich in Kiew, in Krementschuk und Charkiw. Und die Leute sprachen über die Truppenaufmärsche und es gab Hinweise und Debatten, von wegen: "Putin könnte...". Aber die Reaktion aller Ukrainer, mit denen wir gesprochen haben, oder die wir hörten und als vernünftig und abgewogen wahrnahmen, war: "Nein, das macht Putin nicht...", "Muskelspiele sind das...", "Ach, wir sind sicher...".

Wir hatten Mitarbeiter in der Ukraine, denen wir trotzdem sagten: "Kommt nach Deutschland!" Und die fragten: "Warum?" Und wir dachten: "Die wissen das besser als wir." Aber die haben sich genauso geirrt wie wir.

Am 24. Februar früh um fünf kam der erste Anruf - und sehr schnell viele weitere. Meist ging es darum: "Wie kriegen wir unsere Frauen und Kinder hier raus, also etwa nach Deutschland."

Zunächst riefen die Mitarbeiter an - aber dabei blieb es nicht?

Wir waren die Verbindung nach Deutschland, und bei uns kamen die Anrufe an: "Können wir kommen? Wie funktioniert das?" Mit Freunden und Ukrainern hier haben wir dann die Erstversorgung organisiert: Wohnung und Unterkunft, Behördengänge, meist für Frauen und Kinder.

Und die Arbeit? Wie haben Sie da weitermachen können?

Sehr schnell kamen die Ansagen von scharfen Sanktionen, Strafen und massiven Einschränkungen.

Strafen? Wie genau sah das aus?

Ein Beispiel: Zu genau diesem Zeitpunkt hatten wir zur Auslieferung und zum anschließenden Aufbau eine kleine Kaffeerösterei für eine große russische Supermarktkette fertig: Rösterei, Mahlanlage, Verpackung und das Drumherum. Auslieferung erste Märzwoche. Dann hieß es: Es kommen Sanktionen. Die aber noch nicht beschlossen oder verkündet waren. Aber der Zoll sagte: kein Start der Verzollung, denn wer weiß, was hier gilt. Die Banken nahmen dann auch von russischen Banken kein Geld an, denn auch russische Banken sollten auf die Sanktionslisten. Der Kunde konnte nicht bezahlen, wir konnten nicht liefern und die Ware stand.

Die Lieferung ist möglich, etwa eine Kaffeeanlage nach Lwiw, aber im Moment will auch keiner nach Lwiw, um etwas zu montieren.

Keine Warenlieferungen nach Russland bis heute?

Nach einem Monat ging es: Unsere Ware stand nicht auf der Sanktionsliste, die Bank nahm das Geld aus Russland und das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle gab den Bescheid: "Das darf exportiert werden."

Für Sie und Ihre Mitarbeiter also ist die Arbeit weiter möglich?

Nur eingeschränkt. Wir können für diese Anlage keine Monteure nach Russland schicken, denn sie dürfen nicht rein nach Russland über die Grenze, und es gehen auch gar keine Flüge. Naja, und die Monteure wollen im Moment auch nicht so gerne nach Russland. Das gleiche gilt für Projekte in der Ukraine: Die Lieferung ist möglich, etwa eine Kaffeeanlage nach Lwiw, aber im Moment will auch keiner nach Lwiw, um etwas zu montieren.

Erst in der Ukraine montieren und dann weiterreisen zur nächsten Baustelle nach Russland - das geht nicht mehr?

...das gab es seit 2014 schon nicht mehr – aus verschiedenen Gründen, die sehr kompliziert sind. Aber Corona hat uns für die jetzige Lage recht gut präpariert, auch wenn es sich komisch anhört. In der Pandemie haben wir angefangen, die Montagen online durchzuführen – mit Laptops und Headsets über Teams oder Zoom: Vor Ort arbeitet einer mit Helmkamera und Schraubenzieher und hier sitzt einer am Bildschirm und gibt Hinweise oder korrigiert. Das hat natürlich auch seine Grenzen, aber hilft enorm. In den zwei Jahren mit Corona haben wir auf diesem Weg Anlagen montiert und in Betrieb genommen, und die laufen.

Wie geht es jetzt weiter für Ihr Unternehmen?

Wir denken, oder vielmehr hoffen, dass der Krieg schnell beendet wird. Aber die Sanktionen und Einschränkungen durch den Krieg werden weiter bestehen. Es gibt Organisationen, die Hilfe leisten - für die Ukraine, aber eben auch für uns: Das ist unser Verband der Maschinen- und Anlagenbauer, wo sich Mitarbeiter und Juristen damit beschäftigen, außerdem der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft mit wöchentlichen Online-Meetings, oder das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle mit seinen aktualisierten Sanktionslisten.

Wir sehen aber: Das Geschäft wird einbrechen - also für uns. In der Ukraine ist Krieg und auch nach einem hoffentlich bald kommenden Kriegsende wird das Leben, wird die Produktion und der Konsum nicht so sein, wie vor dem Krieg. Große Verarbeitungsbetriebe etwa in der Ukraine arbeiten derzeit nicht, können nicht arbeiten oder sind eingeschränkt oder gar zerstört. Und es wird Geld fehlen - überall. Für Russland gilt eher: Haben jene Firmen, die unsere Anlagen brauchten, noch einen Markt und wenn ja: Dürfen wir überhaupt dorthin liefern?

Gibt es Hilfen für Sie als Export-Unternehmen mit Schwerpunkt in der Kriegsregion?

Ich kenne kein Programm. Hilfsangebote werden angekündigt, etwa Überbrückungskredite über die KfW-Bank. Aber Hilfen oder einen Ausgleich für diese ersten zehn Wochen Krieg und Ausfälle gibt es bislang nicht, also nichts, was ich kenne oder was wir nutzen könnten oder können. Wenn es dann Hilfen gibt, werden die sicher eher für die Großen sein, die dort produzieren und tausende Mitarbeiter haben.

Und wir haben noch ein anderes Problem: Wir haben russische und wir haben ukrainische Mitarbeiter. Und die müssen wir jetzt trennen.

Was bedeutet das etwa für Ihr Unternehmen?

Direkte Schlussfolgerungen aus unserer Auftragsliste können wir derzeit noch nicht ziehen. Wir haben vor allem Großprojekte, von denen schon oft - ähnlich wie jetzt - durchaus auch mehrere Monate keine neuen kamen. Aber die Anzeiger und Prognosen für neue Aufträge, die wir vielleicht erwarten können, sind dünn. Wir rechnen für die nächsten drei bis fünf Jahre mit einem Drittel oder sogar 40 Prozent weniger Umsatz, also ein Rückgang von zehn bis zwölf Millionen Euro Umsatz pro Jahr für uns.

Das heißt, Sie müssen Mitarbeiter entlassen?

Dauerhaft werden wir Stellen reduzieren, also Stellen nicht wieder besetzen, wenn Arbeitnehmer in Rente gehen. So denken wir, können wir das regulieren. Und wir haben noch ein anderes Problem: Wir haben russische und wir haben ukrainische Mitarbeiter. Und die müssen wir jetzt trennen. Wir hatten etwa den tragischen Fall, dass eine Kollegin aus der Ukraine hier in Deutschland bei uns gekündigt hat, weil sie - wie sie sagte - nie wieder in ihrem Leben mit einem Russen sprechen wolle. Wir können unsere Mitarbeiter aus Russland und aus der Ukraine nicht so einfach trennen. Und da hat sie gekündigt.

Geht das Russland-Geschäft für Ihr Unternehmen weiter?

Nicht oder kaum. Die eine Frage ist der Status, der hier möglich ist: Wann darf man wie weiter mit Russen Geschäfte machen? Und die andere Frage lautet: Wollen die Russen überhaupt noch Geschäfte mit Deutschland und Europa machen? Es gibt Gegensanktionen und Hinweise, dass man in Russland Firmen aus "nichtfreundlichen" Staaten - wie sie das dort nennen - rausdrängt und ersetzt mit Firmen aus China, Indien, der Türkei. Und wir hoffen, dass es aber in der Ukraine wieder vorwärts geht, denn dort gibt es fast so etwas wie eine Bewegung: "Jetzt erst recht. Wir machen weiter!" Wichtig aber wäre erstmal ein Ende des Krieges.

Herr Voigt, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Ruwoldt für rbb|24.

 

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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