Atomkraftwerk zu weit weg - Jodtabletten gegen Strahlung auch in Zukunft nicht sinnvoll

Sa 05.03.22 | 08:23 Uhr | Von Konrad Spremberg
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Jodtabletten auf Schild Radioaktivität (Quelle: imago/Steinach)
Bild: imago/Steinach

Nach dem russischen Angriff auf Europas größtes Atomkraftwerk steigt die Nachfrage nach Jodtabletten – aus Angst vor radioaktiver Strahlung. Sie deshalb einzunehmen, ist sinnlos bis gefährlich. Von Konrad Spremberg

Mehrmals täglich fragen Kundinnen und Kunden nach Jodtabletten in der Potsdamer Plantagen-Apotheke. Normalerweise interessiert sich kaum jemand dafür, sagt Apothekerin Antje Oesberg. Sie betont jetzt: "Das prophylaktisch einzunehmen hat keinen Sinn!"

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz warnt davor, anlasslos Jodtabletten einzunehmen oder Vorräte anzulegen. Die selbständige Einnahme berge erhebliche gesundheitliche Risiken. Sie sollte deshalb nur nach Aufforderung durch die Behörden geschehen.

Selbst wenn beim Angriff auf das Atomkraftwerk Saporischschja in der Nacht zum Freitag große Mengen Radioaktivität freigeworden wären – worauf aktuell nichts hindeutet – in Deutschland kämen Jodtabletten ziemlich sicher nicht zum Einsatz.

Sinnvoll nur bis 100 Kilometer Entfernung

Der wichtigste Grund: Das Bundesamt hält hochdosiertes Jod nur bis zu einer Entfernung von etwa einhundert Kilometern um einen Unglücksort überhaupt für sinnvoll. Vom südöstlichen Brandenburg bis zum nächstgelegenen Ukrainischen Kernkraftwerk sind es rund 800 Kilometer. Damit spielt Jod im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf absehbare Zeit keine Rolle für die Menschen in Deutschland.

Ohnehin schützen hochdosierte Jodtabletten nur vor einer ganz bestimmten Gefahr: der Aufnahmen von radioaktivem Jod in den Körper, was zu Schilddrüsenkrebs führen kann. Bei einem Atomunglück werden aber wesentlich mehr radioaktive Stoffe frei. Aus diesem Grund beobachten die deutschen Behörden die Situation der Kernkraftwerke in den Kriegsgebieten aufmerksam, die Entfernung bedeutet nicht in jeder Hinsicht Sicherheit für Deutschland

114 Messstellen in Berlin und Brandenburg

Um bei kleinsten Abweichungen sofort reagieren zu können, überwacht das Bundesamt für Strahlenschutz Radioaktivität auf deutschem Boden kleinteilig. An 114 Messstellen in Berlin und Brandenburg wird die natürliche Strahlenbelastung rund um die Uhr gemessen. Die Standorte aller 1.700 Messpunkte in Deutschland sind auf einer Karte einsehbar [odlinfo.bfs.de]. Aktuell sind keine Auffälligkeiten zu verzeichnen.

"Wir sind immer vorbereitet auf eine Situation, in der radioaktive Elemente austreten", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag bei einem Besuch im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow. Er bezog sich direkt auf den Krieg in der Ukraine: "Das ist jetzt nicht passiert. Es zeigt aber, wie gefährlich die Situation ist. Kriege führen dazu, dass Zerstörung angerichtet wird, wo sie vielleicht keine der Kriegsparteien vorhat, die aber schreckliche Auswirkungen haben kann."

Kernkraftwerke sind nicht für Krieg ausgelegt

Die unabsichtliche Beschädigung von Atomkraftwerken im Krieg ist eine realistische Gefahr, obwohl die Kraftwerke mit vielen Sicherheitsvorkehrungen versehen sind. Denn militärische Angriffe werden beim Bau von Kernkraftwerken normalerweise nicht mit eingeplant, sagt Dr. Matthias Englert, Experte für Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut e. V.

Käme es zu einem Atomunglück – in der Ukraine oder anderswo – wäre neben der Entfernung zum Unglücksort vor allem das Wetter entscheidend. Wind und Wetter beeinflussen maßgeblich, welchen Gebieten eine radioaktive Wolke gefährlich werden kann. Wäre die Bundesrepublik betroffen, würden die Katastrophenschutzbehörden die notwendigen Maßnahmen einleiten.

"Man müsste 500 Tabletten nehmen"

Bei einem Unfall in der unmittelbaren Umgebung könnte das auch die Verteilung von Jodtabletten bedeuten. Dafür werden mehr als 180 Millionen Tabletten an verschiedenen Standorten gelagert. Die Bundesländer würden ihre Verteilung bspw. über Rathäuser, Feuerwachen und Apotheken organisieren.

Diese Tabletten sind mit dem frei verkäuflichen Jod aus Apotheken aber nicht vergleichbar, sie müssen im Katastrophenfall viel höher dosiert sein. "Diese Dosierung kann man mit den normalen Tabletten, die man für die Schilddrüsenprophylaxe einnimmt, nicht erreichen", so Apothekerin Antje Oesberg. "Davon müsste man 500 Tabletten einnehmen, um die entsprechende Dosierung zu erreichen. Es macht also überhaupt keinen Sinn, mit normalen Jodid-Tabletten einen Vorrat anzulegen."

Radioaktivität betrifft die Landwirtschaft unmittelbar

Nach einem Unglück viel wahrscheinlicher wären in Deutschland Folgen für Ernährung und Landwirtschaft. Das könnte bedeuten, dass Felder abgeerntet und Vieh fest in Ställe verlegt werden müsste. Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung könnten die Folge sein. So ein Szenario wäre durchaus denkbar, würde in der Ukraine tatsächlich radioaktive Strahlung frei. Das bestätigt der Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz, Achim Neuhäuser, dem rbb.

Engpässe gibt es aber heute schon, und zwar für Menschen, die auf Jodtabletten angewiesen sind. Sie bekommen in vielen Apotheken, auch online, ihre Präparate gegen Jodmangel und Schilddrüsenerkrankungen nicht mehr. Der Grund: Menschen horten niedrig dosierte Jodtabletten aus Angst vor radioaktiver Strahlung – emotional nachvollziehbar vielleicht, sinnlos in jedem Fall.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 04.03.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Konrad Spremberg

11 Kommentare

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  1. 11.

    Es ist zwar in Ansätzen richtig was sie hier schreiben, aber das alles hat immer noch nichts mit der Einnahme von Jodtabletten zu tun. Die braucht man für solche von ihnen geschilderten Szenarien nicht.

  2. 10.

    Die meisten Jodisotope aus Kernkraftwerken haben eine Halbwertszeit von ein paar Tagen. Bis so eine Wolke uns erreicht ist ein guter Teil also schon wieder zerfallen. Jodverbindungen sind auch meist gut wasserlöslich, so dass sie sich gar nicht so lange in der Luft halten, sondern abregnen. Darum spielt Job bei weit entfernten Reaktorunglücken keine große Rolle. Es sind die ganzen anderen Elemente, die einem Sorgen machen müssen. Deretwegen dürfen Sie in Deutschland auch mancherorts keine Pilze sammeln, nicht wegen des Jods. Da helfen aber natürlich auch keine Tabletten dagegen.

  3. 9.

    Zu weit weg, so so...

    Tschernobyl war ja auch 1.200 km weg und was darf man südlich von Berlin, in Bayern, Hessen, teilen von Niedersachsen und auch anderen Bundesländern bis jetzt, fast 50 Jahre danach immer noch nicht? Pilze, Wildtiere, teilweise Milch oder andere Produkte wie Holz und so weiter nutzen/verzehren.

    Ja warum darf man das denn nicht? Wegen zu hoher Strahlung. Jodtabletten sollten soweit möglich bereitgehalten werden. Die Erfahrung vom 26. April 1986 zeigt: Es ist ja soooo weit weg, ja denkste. Sobald sowas in den Jetstream kommt oder höheren Luftmassen, ist nichts mehr soooo weit weg.

    Fukushima ist ebenfalls ein Beispiel: Teile der USA und auch großflächig in Japan sind stark belastet. Also nicht mutmaßen, Fakten zeigen es.

  4. 8.

    Dummheit kennt keine grenzen!erst klopapier und nudeln,jetzt jodttabletten...ohne worte.
    Der deutsche michel lässt grüssen!

  5. 7.

    Eine Atombombe die auf ein AKW fällt ?
    Explodiert die Bombe?
    Welche Probleme gibt es dann dort noch ?

  6. 6.

    Der Hetze wegen verunsichern Sie uns. Das gibt ein typisches Bild des Westens ab. Er kann uns nicht mal mit einem funktionierenden Kathastrophenalarmsystem warnen, aber uns verängstigen wollen. Schweigen Sie zu diesen Vorgängen, das ist besser.

  7. 5.

    Erst Toilettenpapier jetzt Jodtabletten.
    Die Dummheit stirbt nicht aus.

  8. 4.

    Es gibt kein anderes Volk wie das der Deutschen, das so eine irrationale Angst vor Atomkraft hat.
    Weder die Ukraine noch Japan haben die Kernkraft trotz der Vorfälle in ihrem Land abgeschafft.
    Doch der Deutsche Michel verfällt sofort in Hysterie so bald irgendeine Schlagzeile "AKW" erwähnt und schluckt Jodtabletten bis ihm Schlecht wird.
    Dass weltweit an den Folgen des CO2, mitunter von deutschen Braunkohlekraftwerken, in einem Jahr mehr Menschen sterben als bei Tschernobyl und Hiroshima zusammen, interessiert ihn hingegen nicht.
    Deutschland macht sich weltweit mit dem Hals über Kopf Atomausstieg lächerlich und wird sich in 10 Jahren moralisch nur mit dem Zeigefinger nach Frankreich zeigen, wo die Industrie wegen der günstigen Energiepreise umziehen wird.

  9. 3.

    Jetzt sind Jodtabletten offenbar das neue Klopapier. Fatal für die, die diese Tabletten aus gesundheitlichen Gründen benötigen . Herr, lass Hirn vom Himmel regnen.

  10. 2.

    Allgemeinbildung scheint in Deutschland keine Rolle mehr zu spielen.

  11. 1.

    Wird jetzt der 50er Jahre Idiotismus recyceld ? Gegen Atomare Bedrohung hilft nur AKWs abschalten und Atomwaffen verschrotten.

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