Bundestagswahl 2025 - Was bedeutet das neue Wahlrecht für Berlin und Brandenburg?

Mo 13.01.25 | 18:10 Uhr | Von Juan F. Álvarez Moreno
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Symbolbild: Handwerker montieren die Sitzreihen im Plenarsaal im Bundestag am 17.10.2017. (Quelle: picture allaince/Florian Gaertner/photothek.netr)
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Bei der kommenden Bundestagswahl gilt ein neues Wahlrecht. Das Parlament wird kleiner, die Erststimmen unwichtiger. Eine Partei dürfte am Wahlabend deshalb wohl zittern. Und: In der Region könnten mehrere Wahlkreis-Sieger leer ausgehen.

Rund 4,5 Millionen Menschen in Berlin und Brandenburg sind bei der Bundestagswahl 2025 am 23. Februar wahlberechtigt. Für sie bleibt am Wahltag alles beim Alten: Ein Kreuz für die Erststimme, eines für die Zweitstimme, fertig. Doch ihre Stimmen könnten die Zusammensetzung des Parlaments anders als bisher beeinflussen, denn die Bundesrepublik hat ein neues Wahlrecht.

Bundestag wird auf exakt 630 Sitze verkleinert

Eines steht vor der Wahl bereits fest: Im neuen Bundestag werden exakt 630 Abgeordnete sitzen. Das neue Bundeswahlgesetz, das der Bundestag 2023 verabschiedete, sieht eine faktische Verkleinerung des Parlaments vor und legt eine feste Anzahl an Abgeordneten fest. Denn in der Vergangenheit hatte sich der Bundestag durch sogenannte Überhangs- und Ausgleichsmandate immer wieder vergrößert – zuletzt auf 736 Abgeordnete und damit mehr als in Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt.

Die Wahlreform hat die Erst- und Zweitstimme beibehalten. Mit ihrer Erststimme wählen Bürgerinnen und Bürger einen Direktkandidaten oder eine Direktkandidatin in ihrem Wahlkreis, die Zweitstimme geht an eine Partei. Im neuen Wahlrecht ist allein die Zweitstimme maßgeblich für die Zusammensetzung des Bundestages. Überhang- und Ausgleichsmandate wurden nämlich abgeschafft. Die entstanden, wenn eine Partei durch gewonnene Direktmandate mehr Abgeordnete erhielt, als ihr entsprechend dem Zweitstimmenergebnis zustand.

Ein Wahlkreissieger kann leer ausgehen

"Zweitstimmendeckungsverfahren" ist das Wortgeschöpf, das eine zentrale Änderung des Bundeswahlgesetzes beschreibt [bundeswahlleiterin.de]. Demnach werden künftig Direktmandate aus den 299 Wahlkreisen nur zugeteilt, wenn sie durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sind. Das bedeutet: Ein Wahlkreissieger oder eine Wahlkreissiegerin zieht nicht zwingend in den Bundestag ein.

Konkret sieht der Ablauf so aus: Die 630 Abgeordneten werden proportional nach dem Zweitstimmenanteil auf die Parteien verteilt. In einem zweiten Schritt werden die Sitze der jeweiligen Partei auf ihre Landeslisten verteilt – basierend auf den Wahlergebnissen in den einzelnen Bundesländern. So wird die Zahl der Sitze ermittelt, die einer Partei in einem Bundesland zustehen.

Bevor die Kandidaten auf der Landesliste dran sind, werden diese Sitze zunächst den Wahlkreissiegern – also den Direktkandidaten mit den meisten Erststimmen – der Partei zugeteilt. Dabei werden die Sieger nach dem höchsten Erststimmenanteil gereiht. Ist die Zahl der Wahlkreissieger einer Partei größer als Zahl der Abgeordneten, die der Partei nach dem Zweitstimmenanteil zustehen, erhalten die Letztplatzierten dieser Reihung kein Direktmandat. Ein Wahlkreissieger kann also leer ausgehen.

SPD hätte in Brandenburg drei Direktmandate verloren

Genau das könnte in Brandenburg passieren: Laut einer Musterberechnung der Bundeswahlleiterin [bundeswahlleiterin.de] hätten bei der Bundestagswahl 2021 drei Wahlkreissieger der SPD kein Direktmandat erhalten, wenn damals das neue Wahlrecht gegolten hätte. Denn die Partei gewann in allen zehn Brandenburger Wahlkreisen, ihr wären aber nach dem Zweitstimmenergebnis nur sieben Sitze zugestanden. Betroffen wären die Wahlkreise Oberhavel – Havelland II, Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II und Märkisch-Oderland – Barnim II gewesen. Dort erhielten die drei siegenden Direktkandidaten der SPD die niedrigsten Erststimmenanteile im Bundesland.

Außerdem wären mehrere Ausgleichsmandate entfallen. In Berlin wäre das nicht der Fall gewesen, da es dort wie bereits bei der Wahl im Jahr 2017 keine Überhangs- und Ausgleichsmandate gab.

Grundmandatsklausel für die Linke wohl entscheidend

Das vom Bundestag beschlossene Wahlrecht sah zudem die Abschaffung der Grundmandatsklausel vor. Diese Regelung ermöglicht es Parteien, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, dennoch in den Bundestag einzuziehen – wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. In diesem Fall entsendet die Partei so viele Abgeordnete, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Ausnahmen gelten weiterhin für Parteien nationaler Minderheiten. Da das Bundesverfassungsgericht diesen Teil der Wahlrechtsreform im Juli als verfassungswidrig erklärte, bleibt die Grundmandatsklausel auch bei der Wahl im Februar bestehen.

In der Region hat diese Ausnahme besondere Bedeutung: Die Linke hofft, trotz schlechter Umfrage-Ergebnisse ins Parlament einzuziehen, indem sie wie 2021 deutschlandweit mindestens drei Direktmandate gewinnt. Bei der vergangenen Bundestagswahl sicherte sich die Linke zwei Direktmandate in Berlin (Lichtenberg und Treptow-Köpenick). Um zumindest ein Direktmandat in Berlin zu gewinnen, tritt der mittlerweile 76 Jahre alte Gregor Gysi als Teil der "Mission Silberlocke" erneut in Treptow-Köpenick an.

Ein Wahlkreis wird größer, ein anderer kleiner

Nichts mit dem neuen Wahlrecht zu tun hat eine weitere Neuerung, die zwei Brandenburger Wahlkreise betrifft. Diese werden aufgrund der Bevölkerungsentwicklung angepasst – der eine wird kleiner, der andere größer. Aus "Dahme-Spreewald – Teltow-Fläming III – Oberspreewald-Lausitz I" wird "Dahme-Spreewald – Teltow Fläming III". Der Wahlkreis "Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II" wird vergrößert und heißt fortan "Elbe Elster – Oberspreewald-Lausitz". Insgesamt gibt es in Brandenburg weiterhin zehn Wahlkreise, in Berlin sind es zwölf.

Ob all die Neuerungen im Wahlrecht auch bei der übernächsten Bundestagswahl gelten werden, ist ungewiss. Die Union hat bereits angekündigt, die von der Ampelparteien durchgesetzte Wahlrechtsreform zurückzunehmen zu wollen. Die Unionsparteien CDU/CSU und die Linke waren große Kritiker der Reform. Da die Grundmandatsklausel am Ende bestehen bleibt, hat die bayerische CSU am Wahlabend voraussichtlich wenig zu befürchten. Die Linke hingegen wird wohl mit Spannung auf das Ergebnis in Treptow-Köpenick blicken.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, dass Berlin 22 und Brandenburg 21 Sitze im neuen Bundestag bekommt. Diese Angabe stammt aus einer Musterberechnung der Bundeswahlleiterin anhand der Bundestagswahl 2021 [bundeswahlleiterin.de]. Die Zahl der Sitze für die einzelnen Bundesländer ist abhängig von der Bevölkerung und Wahlbeteiligung und letztlich den gültigen Zweitstimmen.

Beitrag von Juan F. Álvarez Moreno

27 Kommentare

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  1. 27.

    Ich verstehe ja grundsätzlich die individuellen Bauchschmerzen, was die Erststimmen anbelangt. Aber wir leben nun einmal in einer Parteiendemokratie und nicht in einer Kandidatendemokratie - oder wie auch immer das dann heißen würde. Auch wenn das regionale Abstriche bedeutet. Das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt. Vieles an dem Lamento ist aber tatsächlich nur lautstarkes Gedöns der Eitelkeiten, um Helmut Krüger zu paraphrasieren. Insbesondere bayrische Eitelkeiten.

  2. 26.

    Es hing mir um die Kommunistenjagd nach dem Krieg und der nachträglich anerkannten Unrechtmäßigkeit ohne Konsequenzen.

    Die jetzige Reform halte ich für ganz vernünftig, wenn auch nicht perfekt.

  3. 24.

    Die Wahlrechtsreform ist vom Verfassungsgericht geprüft worden. Lediglich die Abschaffung der Grundmandatsklausel wurde beanstandet. Folgen mussten nicht geheilt werden - es wurde ja noch keine Wahl durchgeführt.

    Die Ampel hat eine sehr sinnvolle Wahlrechtsreform durchgeführt. Es war dringend notwendig das Parlament zu verkleinern (eigentlich ist es immer noch zu groß!). Trotzdem ist es richtig, dass die Direktmandate bleiben damit sich auch hin und wieder "Nicht-Listenkandidaten" durchsetzen können. Und das es nun vielleicht 4 oder 5 von 299 Direktkandidaten nicht in den Bundestag schaffen, ist im Einzelfall sicherlich bitter aber mit Blick auf das Große Ganze sicherlich zu verschmerzen.

    Ich sehe auch nicht, worin angeblich das "Geschmäckle" liegen würde. Würde nach jeder Niederlage beim Verfassungssgericht ein Rücktritt fällig werden, hätten wir halbjährlich Neuwahlen, und die Politik würde aus Angst vor dem Gericht im Zweifel gar keine Reformen angehen.

  4. 23.

    Es hat schon ein Geschmäckle, wie der Neuberliner sagen würde.
    Die Verfassung kann also missachtet werden und keiner wird dafür zur Verantwortung gezogen und auch ev. Folgen werden nicht geheilt?

  5. 22.

    Warum stellen sich die immer alles Besserwisser nicht selbst einmal zur Wahl? Da fehlt es aber wohl am nötigen Interllekt.

  6. 21.

    Wie dem auch sei, 400 Abgeordnete wären auch genug. Das bisherige Wahlrecht hat den neuen Berufspolitiker erst erschaffen. Hochdienen und mit dem Ellenbogen sich auf der Liste vorarbeiten. Der Überzeugungspolitiker ist fast vollkommen verschwunden. Die Lobby hat nun noch mehr Möglichkeiten ihre Leute zu platzieren. Bei kleinen Parlamenten sinken die Chancen sich ohne Qualifikationen einen bequemen Sessel zu ergattern. Die AFD freut sich, ist diese doch, auch wegen so mancher fragwürdiger Galionsfigur eher ein Zweitstimmengewinner.

  7. 20.

    Kostenseitig eine gute Entscheidung. Allerdings wäre die Erststimme auch verzichtbar oder könnte auch an die 5%-Hürde geknüpft werden. Eine gefühlte Personenwahl auf Bundesebene ist obsolet, das Einsparpotential wäre deutlich höher. Der Stadtteil- oder Gemeindeprinz landet auf der Hinterbank, stellt vll. mal eine Anfrage oder atmet nur die Luft weg.

  8. 18.

    Also keine Zweitstimme für die Union

  9. 17.

    Na da bin ich froh im hier und jetzt zu leben. Nicht das noch jemanden auffällt, das Kaiser Otto mal ein Siegel falsch gesetzt hat.

  10. 16.

    Es gibt in der Tat eine BVerfG-Entscheidung von 2016, dass das seinerzeitige KPD-Verbot aus dem Jahre 1956 juristisch unzureichend gestrickt und damit faktisch nicht verfassungskonform war. Daraus allerdings zu schließen, dass alle weiteren Wahlen danach als solche verfassungswidrig seien, ist an den Haaren herbeigezogen.

    Eine Analogie ergibt sich zu den beiden BVerG-Entscheidungen von 1956 und 1969 zur Gründung des Landes Baden-Württemberg. Schon 1956 bezeichnete das Gericht das Zustandekommen des Landes 1952 als nicht verfassungsgemäß, weil die Mehrheit der Badener, die sich gegen das Land ausgesprochen hatte, überstimmt worden war und deshalb im Landesteil Baden eine erneute Abstimmung anzusetzen sei. Das wurde verschleppt, deshalb die erneute Entscheidung 1969 und die tatsächliche Abstimmung von 1970 - dann auch in Baden zugunsten von BaWü.

    Selbstverständlich sind sämtliche Abstimmungen zwischen 1952 und 1970 in BaWü verfassungsgemäß gewesen.

  11. 15.

    Parteien stellen unbeliebte Kandidaten wie Scholz & merz auf. Damit die gleichen Gesichter wieder im Bundesland landen, werden die meisten über listenplätze abgesichert. So ändert nach wahlen sehr wenig.

    Die Parteien verhalten sich so demokratieschädigend. Warum darf der Wähler nicht entscheiden, wer direkt in den Bundestag kommt?

  12. 14.

    Ich erachte die Erststimme für viel wichtiger und gewichtiger als die Zweitstimme. Ja, wie bisher auch legt der Zweitstimmenanteil den Proporz fest. Jedoch kommt die Zweitstimme nun noch deutlicher den Parteisoldaten zugute. Die Erststimme, die Stimme für meine Region verliert an Bedeutung. Kandidaten sollten sich also fortan auch immer mit den Parteioberen für einen guten Listenplatz gutstellen, da der Rückhalt unter den Parteifreunden im Wahlkreisgebiet nicht mehr ausreicht. Eine Aufteilung 299 Sitze für die Wahlkreise und 299 Sitze für die Parteilisten hätte mir eher zugesagt.
    Im Übrigen erachte ich auch den bisherigen Bundestag als nicht zu groß. 733 Abgeordnete für 59,2 Mio Wahlberechtigte scheint mir nicht zu groß. Nehmen wir mal Norwegen. Das norwegische Parlament hat 169 Sitze (ui, wie herrlich klein); hat aber nur 3,89 Wahlberechtigte. Dieses Verhältnis auf den Bundestag übertragen ergäbe 2572 Abgeordnete. Am wenigsten kostet ein Parlament da, wo es keines gibt.

  13. 13.

    Ich frage mich , warum es überhaupt zwei Stimmen gibt .
    Eine reicht doch , denn man sieht doch die Wahlliste einer Partei und das muss reichen.
    Weniger Mandatsträger und massig Papier gespart .

  14. 12.

    Gut so, mit dem Wahlrecht.
    Also keinen von denen, und schon garnicht Merz und Söder, machen die doch ihre Spendenbereischaft für Kinder an den Wählerprozenten fest. Pfui Teufel , da weiß man ja was dann nach der Wahl kommt. Wählen oder verhungern.

  15. 11.

    Aber er hat sich doch für diesen möglichen Fall schon den Listenplatz 1 bei nur 8 Gegenstimmen von der Brandenburger SPD absichern lassen.

  16. 10.

    >"Das kann Herr Gysi, sollte er es so gesagt haben, gar nicht beurteilen, denn die ersten freien Wahlen hat er doch wie alle anderen ehemaligen DDR Bürger erst nach dem Ende des DDR Regimes erlebt."
    Lesen Sie ihre Kommentare eigentlich auch mal? Sie unterstellen Herrn Gysi hier eine Aussage, die er so nie getätigt hat und greifen ihn wegen dieser Aussage, die er so nie getätigt hat, auch gleich an. Unlogischer von der Argumentation her gehts gar nicht. Das ist wie vor Gericht stehen und verurteilt werden für eine Tat, die man nie gemacht hat und somit auch nicht bewiesen werden kann.

  17. 9.

    Das kann Herr Gysi, sollte er es so gesagt haben, gar nicht beurteilen, denn die ersten freien Wahlen hat er doch wie alle anderen ehemaligen DDR Bürger erst nach dem Ende des DDR Regimes erlebt. Alles vorher war fingiert.

  18. 8.

    Angeblich soll die Personenwahl (Erststimme) unwichtiger sein, aber in den Medien wird uns eine "Führerwahl" präsentiert, wo Alice, Christian, Friedrich, Olaf, Robert oder Sahra um die Gunst der Wählenden bitten und nicht die Inhalte der Wahl- beziehungsweise der Parteiprogramme im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen.

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