Interview l Medienkonsum und Krieg in der Ukraine - "Niemand kann auf Dauer diese Masse an negativen Nachrichten verarbeiten"

Mi 02.03.22 | 20:16 Uhr
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Die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel hat mehrere Jahre als Journalistin in Afghanistan gearbeitet. (Quelle: Niklas Schenck)
Bild: Niklas Schenck

Live-Ticker, Pushnachrichten, Sondersendungen: Der russische Überfall auf die Ukraine ist in den Medien seit Tagen omnipräsent. Wie es gelingt, die Flut schlechter Nachrichten auszuhalten, erklärt die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel im Interview.

In ihrem Buch "Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien" beschreibt die frühere Afghanistan-Korrespondentin Ronja von Wurmb-Seibel, wie sich Medienkonsum in Krisenzeiten auswirken kann.

rbbl24: Ronja von Wurmb-Seibel, seit Tagen dringen aus dem Internet, Radio, Fernsehen und Zeitungen furchtbare Meldungen über den Krieg in der Ukraine auf uns ein. Überfordern die Medien Menschen mit dieser Berichterstattung?

Ronja von Wurmb-Seibel: Grundsätzlich ist das natürlich eine sehr individuelle Frage. Was ich aber auf jeden Fall sagen kann ist, dass viele in der letzten Zeit viel mehr Nachrichten konsumieren, als ihnen eigentlich guttut. Nachrichten sind heutzutage nichts, was wir extra suchen müssen, sondern sie kommen zu uns, über Social-Media, im Radio, über Pushnachrichten oder auch, wenn man den Fernseher einschaltet. Dadurch werden wir eigentlich den ganzen Tag mit Nachrichten überschüttet, ganz besonders in der jetzigen Situation.

Was dann hilft, ist dass wir uns erstmal selbst beobachten und fragen, tut mir das gerade gut. Die Allermeisten, die ich kenne, sagen, es geht ihnen im Moment eher nicht gut und dann muss man eben sagen, okay, dann reduziere ich den Konsum.

Wenn man nicht wegschauen will, kommt es also darauf an den Nachrichtenkonsum zu bündeln?

Genau, anstatt dass die Nachrichten den ganzen Tag meinen Alltag durchlöchern und immer wieder reinplatzen, nehme ich mir ein oder zweimal am Tag dafür Zeit, zehn, zwanzig oder dreißig Minuten, so lange wie das eben gewünscht ist und informiere mich da dann auch innerlich etwas ausgeruhter.

Ich kann nur allen empfehlen, die nicht von dem Konflikt unmittelbar betroffen sind, sich nicht minütlich über den Krieg zu informieren und auch die Pushnachrichten von den Handys zu nehmen, sonst macht man es sich schwer, denn Eilmeldungen verbreiten auch Extrastress und Adrenalin. Auch den Fernseher ständig nebenbei laufen zu lassen oder Live-Ticker zu verfolgen, würde ich niemandem raten. Die Situation ist in so einem Krieg ohnehin so unübersichtlich, dass wir sie nie ganz überblicken können. Deswegen verpassen wir auch nichts, wenn wir sagen, wir konsumieren Nachrichten nur ein bis zweimal am Tag.

Wie kann man es in dieser Zeit hinkriegen, nicht zu sehr an den negativen Schlagzeilen hängen zu bleiben?

Innerhalb dieser Kriegsberichterstattung sollte man auch immer wieder schauen, wo sind Nachrichten, die einem wenigstens ein ganz kleines bisschen Hoffnung und Mut geben können. Das kann sowas sein, wie der zivile Widerstand in Russland oder die Menschen, die in der Ukraine helfen, die Ärzte, Hebammen und Feuerwehrleute, die vor Ort sind. Oder wir schauen uns die Solidarität mit den Geflüchteten in den Nachbarländern an.

Das führt alles am Ende nicht dazu, dass wir sagen können, der Krieg ist weniger schlimm, aber es führt dazu, dass wir Hoffnung schöpfen können und Ansätze sehen, wie wir da wieder rauskommen.

Ist der Konsum von Texten über den Krieg tendenziell schonender als sich Videos anzusehen, die die Gewalt in Bildern zeigen?

Das Wichtigste ist eigentlich, dass die Quellen seriös sind. Aber auch bei seriösen Quellen sollte man sich nicht jedes Video anschauen, in dem die Zerstörung zu sehen ist. Das braucht man auch gar nicht unbedingt, um zu verstehen, was passiert.

Es kommt bei der Auswahl der Nachrichten ansonsten aber sehr stark auf den Inhalt an und weniger darauf, ob es sich um Videos handelt oder um Text. Ein Artikel kann Grausamkeit in einem Krieg auf eine sehr eindrückliche Art beschreiben und Videos können andererseits auch positive Geschichten von Hilfsbereitschaft oder Engagement erzählen und uns dann nicht mit einem solchen Gefühl der Ohnmacht zurücklassen. Das geht natürlich viel weniger, wenn ich nur Nachrichten über die politische Ebene konsumiere, also mich nur mit den Machthabern selber beschäftige.

Du hast selbst über zwei Jahre als Reporterin in Afghanistan gearbeitet. Was macht eine gute Berichterstattung zu einem so harten Thema aus?

Ich finde es wichtig, die menschliche Seite der Ereignisse mitzuberichten, um zu vermitteln, wir können auch helfen. Sonst kann sich ein Ohnmachtsgefühl einstellen, das auf Dauer auch dazu führen kann, dass Menschen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Medien können im positiven Sinne auch einen Handlungsspielraum aufzeigen und den Menschen vorführen, was sie selbst ganz konkret machen können. Wir können zwar die Ereignisse in der Ukraine nicht direkt beeinflussen, aber wir können sehr viel dafür tun, die Folgen des Krieges für Menschen abzuschwächen.

In Deinem neuen Buch beschäftigst Du Dich auch mit der Frage, wie sich der Konsum schlechter Nachrichten auf die Gesundheit auswirken kann, zu welchem Ergebnis kommst Du darin?

Es gibt Nachrichten die uns total fertigmachen können. Es ist inzwischen erforscht, dass es so etwas gibt, wie eine prätraumatische Belastungsstörung. Anders als bei einer posttraumatischen Belastung, die entsteht, wenn Menschen vielleicht Krieg erlebt haben, meint prätraumatisch, dass wir diese Symptome haben, bevor ein Erlebnis eintritt, in vielen Fällen sogar, ohne dass es überhaupt eintritt. Von vielen negativen Nachrichten kann ich eben traumähnliche Symptome entwickeln, das sind wirklich gesundheitliche Folgen, die da entstehen können und es ist wichtig, dass wir uns davor schützen.

Auf welche Warnsignale sollte man dabei achten?

Wenn ich eine sehr große Hilflosigkeit empfinde, oder wenn ich denke, oh mein Gott, die ganze Welt ist schlecht, wie soll nur die Zukunft werden, wenn ich diese Art von Gedanken habe, dann würde ich auf jeden Fall empfehlen, in dem Moment aufhören Nachrichten zu konsumieren und eine Pause einzulegen, wenigstens für einen Tag, wenn das eben möglich ist.

Niemand kann auf Dauer diese Masse an negativen Informationen verarbeiten. Wir kommen dann leicht in eine Spirale. Ein Thema macht uns Angst, also suchen wir uns Informationen. Was wir dann finden, macht uns aber teilweise noch mehr Angst. Und wenn wir merken, wir wollen immer mehr und immer mehr wissen, dann sollten wir das unterbrechen für den Moment und auch versuchen, da wieder rauszukommen.

Es hilft aber auch, andere Menschen aktiv nach Tipps zu fragen, wie sie das Ganze bewältigen. Im Moment sind wir ja alle in einer ähnlichen Situation aber wir müssen da nicht alleine durch.

Vielen Dank für das Gespräch.

16 Kommentare

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  1. 16.

    genau das denke ich auch seit 2 Tagen, dass mit den Hilfen sehr große Unterschiede gemacht werden.
    Warum müssen syrische Flüchtlinge jetzt umziehen? Man kann doch die ukrainischen Flüchtlinge dort direkt unterbringen, wo die syrischen hinziehen sollen?

  2. 15.

    ..na dann werden ja Ihre Kommentare immer durchgewunken werden.

  3. 14.

    Gut, es ist eine Meinung einer Autorin und keines Profis. Das Ausschalten ist praktisch schwierig. Ist es da nicht besser sachlicher zu werden und damit die Anzahl und Länge der "Kriegsbeiträge" zu begrenzen? So ist der Verzicht von "Heldentaten" aus immer nur einer Richtung und Füllhalbsätze wie, "Hätte (Putin) nicht gedacht" (wer will das wissen?), "Analysten mutmaßen", "Das und Das wirkt" (wie gemessen?) usw. anzuraten. Schon deshalb, weil es seriöser wirkt, kürzer wird. Ellenlange tendenziöse Berichte vor Ort informieren nicht, sie bewirken: "Die armen Leute, zum Glück geht es mir da noch gut... " Sollte man da nicht drauf verzichten, also mind. halbieren?

  4. 13.

    Es ist leider wahr, zur Zeit werden wir mit negativen Nachrichten von morgens bis abends buchstäblich bombardiert. Vor allem das ZDF sendet ein Spezial nach dem anderen und tagelang ständig die selben Bilder und Beiträge. Deswegen ist bei mir der Fernseher aus und meine Infos hole ich bei rbb24.

  5. 12.

    Menschen sind sehr unterschiedlich.;- auch darin wieviele Informationen bzgl. besorgniserregender Tatsachen sie vertragen.
    Sofern sich jemand dadurch vollkommen erschlagen und hilflos fühlt, und ihn dies lähmt,- ist es produktiver die Nachrichten zu dosieren und auszuwählen;- nur die seriösen zur Kenntnis zu nehmen,- die bei uns z.B. durch die öffentlich rechtlichen Medien gesendet werden.-
    Andere Menschen fühlen sich wohler je mehr sie über das Besorgniserregende wissen,- und dies dann besser einordnen können,- und so handlungsfähiger sind.-
    In jedem Fall kann es nur sinnvoll sein sich durch seriöse Nachrichten zu informieren.-
    Ein Problem ist oft die Medienkompetenz;- da haben auch Erwachsene Lernbedarf.-
    Kindern sollte sie in der Schule gelehrt werden.-

  6. 11.

    Mir ist auch schon aufgefallen, dass von der Berichterstattung und der Hilfsbereitschaft ein wesentlicher Unterschied zu den Flüchlingen 2015- 2021 gibt. Erst vor ein paar Monsten hat Polen syrische Flüchtlinge an der belarussischen Grenze erfrieren und verhungern lassen. Jetzt werden die Flüchlinge mit Arbeitserlaubnis und unkomplizierter Aufnahme begrüßt ( was ich natürlich gut finde) aber es kommt mir vor wie Flüchtlinge 1. Und 2.Klasse.

  7. 10.

    Schwierig. Tatsachen müssen wir zur Kenntnis nehmen, auch wenn sie nicht gefallen. „Das Leben ist wie Feuer - es brennt und es wärmt“ singt jemand.
    Das muss man eben aushalten.

    Ich wünsche mir auch mehr gute Nachrichten - manchmal mag ich die Zeitung gar nicht aufschlagen - aber was ist eine schlechte Nachricht gegen ein zerschossenes Wohnzimmer?

    Hätte ich alles so niemals für möglich gehalten.

  8. 9.

    "Man versetze sich mal in einen Bewohner von Kiew oder Charkiw hinein, der diesen Artikel liest."
    Man versetze sich mal in einen Bewohner von Kabul oder Damaskus hinein, der diesen Artikel liest. Die mediale oder humantitäre Hilfe war nicht annähernd so schnell und groß. Bleibt die Frage, haben "wir" endlich gelernt oder ist es die "Haustürnähe".
    Das Thema ist angebracht und notwendig. Wie soll der "Normalo" sonst so schnell wissen, wo und wie er helfen kann. Nicht jeder hat Zugang zu NGOs.

  9. 8.

    Viele Menschen scheinen zu glauben, durch massiven Konsum negativer Nachrichten Situationen positiv beeinflussen und Opfern helfen zu können. Dem ist nicht so. Sich regelmäßig Überblick zu verschaffen ist gut und richtig. Wer aber wirklich helfen will, sollte sein Hauptaugenmerk auf konkrete Möglichkeiten hierzu richten, statt sich durch das Aushalten von immer mehr schlechten Nachrichten zu kasteien - und sich womöglich am Ende gar zu erschöpfen oder abzustumpfen.

  10. 7.

    Guter Beitrag, der bestimmt auch einigen hilft.
    Ich lese seit Samstag nur noch rbb.
    Fernseher aus.

  11. 6.

    Ja, der Konsum von Nachrichten ist im Vergleich zum Leid von Kriegsopfern immer ein "Luxusproblem". Aber dennoch ist es meines Erachtens vollkommen legitim, zu erfahren, wie ich mich als Nachrichtenkonsument empathisch informiere, aber dabei nicht ständig überfordere. Dafür fand ich dieses Interview sehr gut, weil es sicher das derzeitige Gefühl vieler LeserInnen und Leser dieser Seite trifft. Denen dieses Gefühl vorzuwerfen, hielte ich wirklich für moralisch überhöht.

  12. 5.

    Die Überschrift zum Beitrag ist zutreffend. Man muss auch mal Luft holen können.
    Heute kam tv-total. Sogar diese Sendung auf diesen Krieg ausgerichtet, was zum Abschalten führte, woran auch die drei Obenohne - Frauen anfangs nichts ändern konnten.
    Wenn die Öffentlichkeit übersättigt wird leidet das Interesse.

  13. 4.

    " Es gibt im Moment schlimmere Nöte, als unseren Konsum der Nachrichten. "

    erst 2 Jahre andauernde Coronaängste und nun noch der Krieg in der Ukraine, der Corona in den Hintergrund rückt, all das schlägt aufs Gemüt , hinzu kommen die Sorgen der explodierenden Energiekosten und die Befürchtungen, dass der Konflikt sich über die Ukraine hinaus ausweiten könnte . Es geht also nicht nur um das zeitliche Ausblenden der Nachrichten aus der Ukraine

  14. 3.

    Ich frage mich was dieses: "Es gibt im Moment schlimmere Nöte..." soll?
    Häufig lese ich diese unsachliche und absurde Relativierung.
    Weil man das eine tut MUSS man ja wohl das Andere nicht lassen.
    (Wenn es danach ginge sind einem die eigenen Nöte immer näher und "schlimmer" als die Anderer.)
    Und was ist schon ein Artikel im Vergleich zu einer ganzen Sparte zur Ukraine.
    Schließlich wird keiner gezwungen diesen Artikel zu lesen.

  15. 2.

    Da muss ich als rbb-Kollege sagen: ich halte dieses Thema gerade nicht für angebracht. Es gibt im Moment schlimmere Nöte, als unseren Konsum der Nachrichten. Man versetze sich mal in einen Bewohner von Kiew oder Charkiw hinein, der diesen Artikel liest.

  16. 1.

    Ein toller Beitrag. Vielen, vielen Dank!

    Jedoch hat der private Medienkonsum wohl schon bei vielen Mitmenschen zu einer Verrohung diesbezüglich geführt.
    Wenn schon in Whatts-App-Gruppen von Schulkindern IS-Proganda-Videos und andere Abscheulichkeiten versendet werden, dann graust mir vor der Zukunft.

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