Abgeordnetenhauswahl in Berlin - Angriffe gegen Parteien und Politiker gehen im Wahljahr zurück

Mi 22.09.21 | 19:14 Uhr
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Mit rosa Farbe ist am 19.07.2018 das Bürgerbüro von Berlins Innensenator Geisel in Berlin-Karlshorst in der Döhnhoffstraße beschmiert. (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
Audio: Fritz | 23.09.2021 | Anja Haufe | Bild: dpa/Jens Kalaene

Im Jahr 2020 hatten Angriffe auf Politiker und Parteien in Berlin einen Höchststand erreicht. Dieser Trend ist im Wahljahr rückläufig, auffällig sind aber Brandanschläge auf Autos von AfD-Politikern. Von Olaf Sundermeyer

In einer Sache sind sich die im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien vor der Wahl weitgehend einig: dass es weniger Angriffe auf Parteieinrichtungen und Politiker gab, als es die Rekordzahlen im vergangenen Jahr vermuten ließen. Bundesweit hatte die politisch motivierte Kriminalität (PMK) im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht.

CDU: Keine nennenswerten Angriffe auf Parteimitglieder

Dagegen hat sich die Situation in der Hauptstadt unmittelbar vor den Wahlen entschärft: "Die Gefährdungslage ist im Wahlkampf 2021 nach unserem Eindruck bisher sehr gering, es gab glücklicherweise keine nennenswerten Angriffe", teilt der Landesverband der Linken über seinen Sprecher Martin Bialluch auf Anfrage von rbb24 Recherche an die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien mit. Demnach fänden Angriffe, Hetze und Fake News gegenüber der Linken am ehesten online, in den sozialen Medien statt.

Ähnlich die Auskunft von CDU-Sprecher Thorsten Schatz: "Nach aktuellem Stand können wir Ihnen glücklicherweise von keinen nennenswerten Angriffen auf Parteimitglieder berichten." Gleichwohl habe es noch vor dem Wahlkampf einige Farbanschläge auf CDU-Büros gegeben. Tatsächlich war die CDU im Zuge der Mietenproteste im Frühjahr ins Visier politischer Straftäter geraten. Auch die Räumung des Obdachlosencamps in der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg zu Beginn des Jahres gilt als Tatmotiv für Angriffe sowohl gegen das Rathaus, als auch gegen Parteieinrichtungen von SPD und Linken.

Meisten Angriffe gegen Einrichtungen der SPD

Die Zahlen der Berliner Polizei bestätigen aber den Eindruck, dass die Angriffe auf Politiker in Berlin insgesamt zurückgegangen sind. Und das in einem Wahljahr, in dem Angriffe auf Parteien in der Regel deutlich zunehmen: Bis zum 20. September hat die Berliner Polizei 42 Straftaten gegen Parteieinrichtungen erfasst (gesamt 2020: 66), die zur Anzeige gebracht worden waren, sowie 32 Straftaten gegen Politiker (gesamt 2020: 132). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich in Berlin als Hauptstadt eine hohe Zahl an Politikern und Parteieinrichtungen konzentriert.

Die meisten Angriffe richteten sich im laufenden Jahr gegen Einrichtungen der SPD (13), gefolgt von CDU (10), Grünen (7) und AfD (5). Auch im vergangenen Jahr geriet die SPD besonders häufig ins Visier (28) politisch motivierter Straftäter, damals noch gefolgt von der AfD (11). Die meisten Angriffe auf Parteieinrichtungen ordnet die Berliner Polizei der PMK links zu (29), für neun findet sie keine Zuordnung, zwei seien rechts motiviert, wiederum zwei seien durch eine "ausländische Ideologie" motiviert. Bei den Straftaten gegen Politiker verteilt sich die Tatmotivation anders: 11 werden linksgerichteten Tätern zugeschrieben, 10 rechten, nicht zuzuordnen sind 9 Taten. Einer "ausländischen Ideologie" werden 2 Taten zugeordnet.

Plakat-Beschädigungen rund um Querdenker-Veranstaltungen

Als einzige Partei blieb die FDP in diesem Jahr bislang von Angriffen verschont. Alle Parteien beklagen die deutliche Zunahme zerstörter Wahlplakate, so auch die Grünen: "Konkrete Vergleichszahlen zur mutwilligen Zerstörung, Beschmierung oder Entfernung von Wahlplakaten lassen sich schwer benennen", sagt Grünen-Sprecher Johannes Frericks. "Gerade rund um die Querdenker-Veranstaltungen kam es zu vielen Plakat-Beschädigungen." SPD-Sprecher Henrik Hamann berichtet vom Beispiel des Friedenauer Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl, Orkan Özdemir: "In seinem Fall wurden massiv Wahlplakate beschädigt und mit rassistischen Sprüchen beschmiert." Kaputte Plakate finden indes keinen Eingang in die Polizeistatistik.

Auch die AfD ist von diesem Phänomen betroffen: "Bei den zerstörten Plakaten kommen wir gar nicht mehr mit dem Hängen neuer Plakate hinterher", sagt Vadim Derksen. Er ist Kandidat der AfD bei der Abgeordnetenhauswahl im Wahlkreis 5 (Marzahn-Hellersdorf). Häufig würden Plakate von CDU und FDP vor Ort gleich mit zerstört, was FDP-Sprecher Peter Kastschajew für seine Partei bestätigt: "In dieser Woche wurden Plakate von uns in Marzahn-Hellersdorf angezündet, so etwas lässt sich politisch nur schlecht zuordnen." Zu solchen Sachbeschädigungen sei es wesentlich häufiger gekommen als in früheren Wahlkämpfen, heißt es bei der FDP.

Auto bei Parteiveranstaltung ausgespäht?

2.100 Wahlplakate habe die AfD bei einem Brandanschlag gleich zu Beginn der Wahlkampfphase Anfang August verloren, berichtet Parteisprecher Ronald Gläser. Zwei Lieferwagen der AfD waren auf einem Grundstück in Lichtenberg in Brand gesetzt worden, sie gehörten der Partei. Und im September brannte dann das Familienauto von Vadim Derksen nach einem Anschlag vor seinem Wohnhaus in Mahlsdorf aus. Damit erhöht sich die Zahl der auf diese Weise seit der vergangenen Abgeordnetenhauswahl zerstörten Autos, die AfD-Politikern oder ihrer Partei gehörten, auf neun. Wie in den übrigen Fällen, geht die Berliner Polizei auch hier von einem "politischen Motivationshintergrund" aus. Dennoch kann der für politische Straftaten zuständige polizeiliche Staatsschutz dabei keine Serie erkennen, die denselben Tätern zuzuordnen wäre. Dafür würde sich die "Tatbegehungsweise zu stark voneinander unterscheiden."

Vadim Derksen hat, wie andere betroffene AfD-Politiker auch, den Eindruck, dass sein Auto und das Kennzeichen bei einer öffentlichen Parteiveranstaltung vor dem Brandanschlag gezielt ausgespäht worden war. Bis heute ist keine dieser Taten aufgeklärt worden. Nachbarn hatten ihn nachts um 1:30 Uhr geweckt, nachdem sie den Feuerschein vor dem Haus entdeckt hatten. "Unseren Kindern haben wir nicht die Wahrheit darüber erzählt." Er wollte sie nicht verängstigen. Das Auto, ein älterer Opel Kombi, sei nur Haftpflicht versichert gewesen. Der Schaden bleibt erstmal bei ihm.

Er selbst und seine Frau lebten seit dem Anschlag in einer gewissen "angespannten Lage", ein Bekenntnis der Täter oder weitere Bedrohungen habe er allerdings nicht erfahren.

Derksen plant Initiative, die Opfer linker Gewalt entschädigt

Unabhängig davon nähme er den nun ausklingenden Wahlkampf als "eher ruhig" wahr. Derksen sagt zugleich, dass er sich selbst für einen inhaltlich ruhigen Wahlkampf entschieden hat. Einen Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen, halte er auf Nachfrage "für möglich". Tatsächlich fiel die Berliner AfD in diesem Wahlkampf wenig durch Provokationen auf, wie noch vor der vergangenen Abgeordnetenhauswahl 2016.

Gemeinsam mit anderen Betroffenen der Brandanschläge, mit AfD-Parteisprecher Gläser, und mit der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, plant Derksen nun eine Initiative, möglicherwiese einen Verein oder einen Fonds, der auch Opfer linker, politisch motivierte Gewalt entschädigt.

5 Kommentare

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  1. 5.

    Wer Gewalt gegen politisch Andersdenkende benutzt um nur seine Ideologien durchzusetzen oder den "Feind" einzuschüchtern, ist kein Deut besser wie die, die er "bekämpft" und eher ein Demagoge wie ein Demokrat.

  2. 4.

    Gut das es nur das Auto war und nicht wie bei Herrn Lübcke das Leben.

  3. 3.

    Es geht hier nicht um "Streitgespräche" oder gar Demokratie.
    Es geht um Schwerverbrechen.
    Einem AfD-Abgeordneten ist dieses Jahr nachts auf seinem Grundstück das Auto abgefackelt worden, während die Familie im Haus daneben schlief.
    Nur mit viel Einsatz der Feuerwehr konnte das abbrennen des Hauses bis auf die Garage verhindert werden.

  4. 2.

    Infolge von corona gab es auch nicht den klassischen Straßen Wahlkampf und somit sehr wenig Berührungspunkte mit der Bevölkerung. Wodurch auch Streitgespräche nicht entstehen konnten, aus denen ggf ein Konflikt entsteht.

  5. 1.

    Dennoch kann der für politische Straftaten zuständige polizeiliche Staatsschutz dabei keine Serie erkennen, die denselben Tätern zuzuordnen wäre. Dafür würde sich die "Tatbegehungsweise zu stark voneinander unterscheiden."
    Das ist Preisgabe von ermittlungstaktischen Erkenntnissen. Mehr Hinweise braucht man den Tätern gar nicht zu geben, damit die ihre Spuren erfolgreich verwischen können.

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