Berlin-Wahl | Serie "Endstation Demokratie?" - "Die Kids machen Party in der Sparkasse, weil es sonst hier nix mehr gibt"

Di 14.03.23 | 09:14 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
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Eine Mitarbeiterin der Sportsbar Helle in Hellersdorf (Quelle: rbb/Haluka Maier-Borst)
Bild: rbb/Haluka Maier-Borst

Nicht mal die Hälfte der Wahlberechtigten ist in Hellersdorf zur Wahl gegangen. Wie kommt es, dass so viele Menschen nicht mehr an die Demokratie glauben? Es hat wohl auch mit einem Gefühl von fehlender Fairness zu tun. Von Haluka Maier-Borst

Berlin hat gewählt. Und trotzdem sind viele Menschen nicht im neuen Abgeordnetenhaus repräsentiert. Weil sie nicht zur Wahl gegangen sind. Weil sie ihre Stimme einer Partei gegeben haben, die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Oder weil sie gar nicht wählen durften.

Es gibt viele Faktoren, wieso Menschen aus einem Teil der Stadt unzureichend im Parlament vertreten sind. In der Serie "Endstation Demokratie?" fahren wir in die Extrembeispiele für diese Faktoren und reden mit den Menschen vor Ort. Fragen, wie es dazu kommt, was das mit ihnen macht und was sich aus ihrer Sicht ändern müsste.

1. Folge: Hellersdorf, Hochburg der Nicht-Wähler:innen

Nach mehr als zwei Stunden in Hellersdorf fällt der Satz, der wohl unvermeidlich ist. "Die meisten in Hellersdorf, die haben sich irgendwie aufgegeben", sagt Romy und kramt in ihrer Kippenschachtel, während sie hinter dem weißen Tresen der Sportsbar Helle sitzt.

Hinter ihr stehen Wodka- und Rum-Flaschen in Glas-Vitrinen und ein Bildschirm für die Überwachungskamera. Links ist eine kleine Lounge-Ecke mit dunklen, ausgeschalteten Flachbildschirmen. Hier und da steht noch eine Pflanze. Hinten in der Ecke ist ein Spielautomat und wieso auch immer eine Karte von Thailand. Im Kühlschrank stehen Bierflaschen, Cola, Limo und von irgendjemandem abgepacktes Hackfleisch.

Es riecht nach Rauch und da es früher Mittag ist, gibt es keine Kunden. Nur Romy, ein Kumpel von ihr und ich sitzen am Tresen und reden. Reden darüber, wie es dazu kam. Dass man sich in Hellersdorf aufgibt. Dass hier so wenige Menschen wählen, wie nirgendwo anders in Berlin. Und in den zwei Stunden zuvor habe ich eine Ahnung über das Wieso bekommen, während ich durch Hellersdorf gegangen bin.

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Nicole, 39, steht an einer zugigen Kreuzung. Sie erzählt, wie immer mehr gebaut – und zugleich nie etwas für die Allgemeinheit gemacht werde. "Das neue Schwimmbad kommt jetzt erstmal nicht, die Grünflächen verschwinden. Es gibt immer weniger Orte hier, wo man noch sein will", sagt sie. Entsprechend sehe sie keinen Sinn im Wählen, denn nichts verändere sich hier zum Guten. "Meine Eltern waren nicht wählen und ich gehe auch nicht wählen. So ist das hier", sagt sie und erzählt dann davon, dass sie sich gerade wieder um einen Zwei-Euro-Job bemühe, um es über die Runden zu schaffen.

Eine halbe Stunde später erwische ich vor einer Haltestelle Jan, 56. Ja, früher habe er noch gewählt, aber dieses Mal habe er es gelassen. "Die waren in der letzten Regierung mit dabei und haben versprochen, dass es gerechter zugeht. Gesehen habe ich davon nix", sagt er. Ihm selbst gehe es ja gut, sein Job am Flughafen BER sei nicht schlecht bezahlt, er persönlich wolle nicht jammern. Aber zu wenig würde für die Obdachlosen getan. Zu wenig für die Alten. Fair sei das alles nicht mehr.

"Die Rechten wähl' ich nicht und die anderen machen nicht, was sie versprechen", sagt Jan. Jan ist damit nicht der einzige und das führt zu einer absurden Situation. Obwohl bei der Wiederholungswahl weniger Menschen in Hellersdorf die AfD gewählt haben als bei der Wahl 2021, hat die Partei prozentual dazugewonnen. Eben weil so viele Menschen gar nicht mehr wählen gehen.

Und damit zurück zu Romy und der Sportsbar. Die 42-Jährige redet nicht wenig. Es sind weite Bögen, die sie schlägt, während ihr Kumpel und ich ihr zuhören. Wahrscheinlich zu weit. Mal geht es um die teuren Mieten und die Inflation, die dazu führten, dass sie drei Jobs hat. Das hängt ihrer Meinung nach auch damit zusammen, dass man sich nicht an Verträge halte und "dem Russen nicht seine Pufferzone" lasse.

Sie redet davon, dass Angela Merkel nicht ehrlich genug gewesen wäre bei der Geflüchteten-Thematik und die Politik zu wenig für die Deutschen tue. "Ich habe kein Problem mit den Geflüchteten, die sollen kommen, wenn sie in Not sind. Aber wir müssen uns genauso um die Obdachlosen hier kümmern. Da werden Container-Unterkünfte abgebaut anstatt die für Menschen in Not weiter zu verwenden", sagt Romy. Auch Romy geht es nicht um ihre persönliche Lage, sondern um das grundsätzliche Gefühl, dass die soziale Gerechtigkeit, das Maß verloren gegangen ist.

Man muss nicht, nicht jeder kann und schon gar nicht will ich persönlich Romy in dem zustimmen, wie sie die Welt erklärt. Und doch kann ich verstehen, wieso Romy zur Wahl gegangen ist, aber ihren Wahlzettel durchgestrichen hat. Und damit ihre Stimme ungültig gemacht hat. Während Politiker:innen im Berliner Wahlkampf über Fahrradwege in der Innenstadt und die Vornamen von Menschen in der High-Deck-Siedlung diskutiert haben, sehen Hellersdorfer Probleme anders aus.

Es treffen sich hier alle, die ihre Probleme haben und das macht es nicht einfacher. Vor allem wenn die Politik nichts für die Menschen tut.

Romy, Tresenkraft in Hellersdorf

Romy erzählt, dass ihre Töchter und andere Jugendliche hier kaum etwas in der Freizeit tun können. "Letztens haben hier Kids im Vorraum der Sparkasse Party gemacht, weil es sonst nix gibt und die Jugendclubs längst zugemacht haben." Sie spricht davon, wie das Gebäude der benachbarten Schule erst abgerissen und nun neu gebaut werde. Sie verstehe oft nicht, was hier gemacht werde und was nicht und vor allem wieso.

Niemand wolle hierhin und die, die trotzdem kämen, täten das eben nicht freiwillig. "Es treffen sich hier alle, die ihre Probleme haben und das macht es nicht einfacher. Vor allem wenn die Politik nichts für die Menschen hier tut." Wie schwierig die Verhältnisse sind und wie sehr die Hilfe fehlt, zeigt auch eine andere Zahl. Im Berlin-weiten Vergleich ist in Hellersdorf die Schuldnerquote mit am höchsten.

Vielleicht ist das ein Stück weit die Antwort darauf, wieso sich in Hellersdorf so viele aufgeben und noch mehr die Demokratie. Weil die Politik zuerst Hellersdorf aufgegeben hat. Weil keine der großen Parteien im Wahlkampf viel darüber gesprochen hat, was man in Hellersdorf tun wird. Weil die große und die kleine Politik zu wenig, zu schlecht oder gar nicht erklärt, was man hier bisher getan hat und tun wird. Weil am Ende das Berliner Abgeordnetenhaus weiter weg scheint als 20 Kilometer von der Sportsbar Helle.

Beitrag von Haluka Maier-Borst

86 Kommentare

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  1. 86.

    Nun ist Bildung Ländersache und Verteidigung Bundessache.

    Beides ist wichtig. Allerdings wird sich im Bildungssystem so schnell nichts ändern, da jede selektierung verhindert wird

    Das Problem fängt im erziehungsunfähigen Elternhaus an und setzt sich fort.

    Viele Schüler erkennen nicht. dass sie Leistungen bringen müssen und das man dafür was tun muss. Sich auf den Hosenboden setzen und lernen. Und zwar kontinuierlich

    Viele Eltern sind nicht genug dahinter.

  2. 85.

    Ja, bei mir endete mein Jugendalter mit 16, denn danach begann der Ernst des Lebens. Mit 16 absolvierte ich nach der 10. Klasse meine Lehre, für Party im Sparkassenvorraum fehlte mir schlicht die Kraft.

  3. 84.

    Das Bildungssystem kollabiert gerade. Das einzige was laut zu hören ist, wir brauchen 300 Mrd. für Rüstung.

    Dieses Land ist einfach nur noch ..... (gewünschtest Indexwort bitte selbst einfügen).

  4. 83.

    Nur gehören Aufgaben wie Jugendsozialarbeit und Jugendclubs zu den freiwilligen Aufgaben einer Kommune. Wenn Kommunen sparen, dann zuerst daran.

    Freiwillige Aufgaben sind halt nicht verpflichtend

  5. 82.

    Eve-M.:
    "Antwort auf [Wendy] vom 14.03.2023 um 13:10
    Finde ich gut, dass du die Idee unterstützt. Also ich würde ja umziehen, den Anfang machen, ..."

    Ja für Sie findet sich bestimmt auch noch eine Souterrain-Wohnung an der Autobahn. Ansonsten können Sie auch gerne die Wohnstätte mit einem Obdachlosen tauschen. Ich glaube, da gibt es großes Interesse. Ich finde es gut, dass Sie da voran gehen wollen. Ich warte derweil noch die Auswertung Ihres Feldversuches ab. Nur nichts überstürzen.

  6. 81.

    Natürlich wird es kaum zu weniger Grundsteuer kommen. Zukünftig werden Kommunen an der Stellschraube Hebesatz drehen müssen.

    Habe es selbst gerade erlebt. Meine Mieter müssen ab 2025 statt bis je 110 Eur fast 8 mal mehr pro Jahr im Rahmen der Nebenkosten zahlen. Haus steht in Schönefeld.

    Und nein, ich lege gegen den Bescheid keine Rechtsmittel ein

  7. 80.

    Daniel:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 14.03.2023 um 14:22
    Merkste selbst, oder? Ist nicht dein Thema. Aber macht ja nicht, für Berlin reicht's ja!"

    Als Antwort auf den sinnfreien Kommentar passen die eigenen Worte des Autors am besten:

    Merkste selbst, oder? Ist nicht dein Thema. Aber macht ja nicht, für Berlin reicht's ja!

  8. 79.

    Wohneigentum als Ursache des Problems zu bezeichnen ist schon sehr dreist.

    Letztlich kann man auch heute noch günstig Eigentum erwerben, wie etwa aus Versteigerungen.

    Zukünftig wird Wohneigentum als weitere Absicherung fürs Alter an Bedeutung gewinnen.

    Zumal ja die Mietpreise weiter steigen werden. Viele Vermieter, wie ich auch, vermieten nur noch per Index

  9. 78.

    Ich habe es für mein Mietshaus mit 4 Parteien in Schönefeld gerade erlebt. Grundsteuer steigt nach neuem bescheid von 440 Eur jährlich auf 3100 Eur jährlich.

    Und Schönefeld ist nun nicht gerade Innenstadt

  10. 77.

    Dass bei befristeten Mietverträgen die Menschen alle 5 Jahre aus ihrem sozialen Umfeld und entsprechenden Nachbarschaftsbeziehungen gerissen werden, finden Sie wohl gut? Trägt zur Atomisierung und Beziehungslosigkeit bei, die ja manchen Arbeit"gebern" entgegenkommt - da kann man die Leute schön flexibel einsetzen. Aber menschliches Verhalten, Rücksichtnahme, Zuwendung auf Grund von Vertrautheit wird damit nicht gefördert. Nur noch mehr Einsamkeit. Und bei jedem Mieterwechsel kann man "schön" die Miete erhöhen...

  11. 75.

    Merkwürdig, ich kann keinen "sozialistischen Einheitsbrei" erkennen, eher das Hohelied auf den entfesselten Raubtierkapitalismus der die Welt zwei Mal in einen Weltkrieg gestürzt hat. Heute sind es keine Weltkriege mehr, dafür aber Bankenzusammenbrüche und milliardenschwere Rettungsschirme.

    Wer den sozialen Wohnungsmarkt mit dem der DDR vergleicht hat den Knall noch nicht gehört. Der hat einen. Es wird niemals Wohneigentum für alle geben.

  12. 74.

    Interessant ihre Antwort. Da ist es also dann der Bauplanung geschuldet, dass er so öde ist, der damalige „moderne“ sozialistische Baustil. Die Plätze und Freizeitaufenhalte für die Jugendlichen fehlen aber auch in anderen Bezirken.

  13. 73.

    Von Ihrem großen Umverteilungs-Märchen wird nichts wahr werden.
    Die Ampel wird Arme noch ärmer machen und Reiche noch reicher.
    Lassen Sie uns 2025 Bilanz ziehen!
    Oder schon jetzt.
    Neuer Rekord-Stand bei Armen.
    An die Superreichen hingegen trauen die sich doch gar nicht ran!

  14. 72.

    Klar, dass das Geld für die Menschen in Hellersdorf nicht mehr reicht.
    An anderer Stelle sprudelt es wie aus einer Fontäne.
    Da gibt es weder Millionen- noch Milliarden-Begrenzungen.

  15. 71.

    "Immanuel" Wieder dieses sozialistische Einheitsbrei von Ihnen. Ist es Ihnen nicht peinlich, immer wieder Ihr sozialistische Gedankengut hier kund zu tun. Nichts gelernt aus der Vergangenheit der " DDR " . Willkürlichkeit und Unterdrückung. Genossen Gehorsam bis zum abwinken. Zuerst die treuen Genossen !!! Wohnungseigentum ist die Lösung. Sie scheinen zu den Menschen zu gehören, die sich auf den Staat verlassen. Hier ist Eigenverantwortung gefragt. Denn der Staat sind wie alle.

  16. 70.

    Ach Köpenickerin, Sie sind nur noch langweilig mit Ihren Äußerungen.... Sie haben doch diesen nichtlebenswerten Zustand der Welt mit zu verantworten, gehören Sie doch zu den Babyboomern und Älteren. Die letzte Generation, die das Ruder noch herum reißen kann, macht es goldrichtig. Weiter so!

  17. 69.

    Das Hohelied auf die Errungenschaft der DDR, den Sie als „unseren Staat“ bezeichnen. Sie scheinen es wohl nie verkraft zu haben, dass Ihr Staat eben am Wohnungsbauprogramm oder den Subventionen wirtschaftlich zu Grunde gegangen ist. Sie scheinen wohl nicht zu akzeptieren, dass zB die Ostrenten alleine durch den Westen geschultert wurden. Ja die D-Mark in der Tasche haben, aber trotzdem dass alte despotische Regime der SED und seine Verschwendung!

  18. 68.

    Finde ich gut, dass du die Idee unterstützt. Also ich würde ja umziehen, den Anfang machen, aber es funktioniert nur, wenn der Wohnungsmarkt in Bewegung ist. Sehen Sie, woran es hängt? Na, an der zähen Masse der nicht-Umzugswilligen. Deswegen ist Mitleid hier immer nur Heuchelei. Ist klar, oder?

  19. 67.

    Merkste selbst, oder? Ist nicht dein Thema. Aber macht ja nicht, für Berlin reicht's ja!

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