Besuch beim SPD-Ortsverband Schillerpark - "Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera"

Mi 15.03.23 | 18:19 Uhr | Von Leonie Schwarzer
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Archivbild: Delegierte verfolgen den Landesparteitag der SPD Berlin. (Quelle: dpa/C. Koall)
Audio: rbb24 Inforadio | Leonie Schwarzer | 15.03.2023 | Bild: dpa/C. Koall

SPD und CDU stecken gerade mitten in den Verhandlungen. Doch ganz am Ende hat es die SPD-Basis in der Hand - denn sie muss anschließend über den Koalitionsvertrag abstimmen. Beim Ortsverein Schillerpark gehen die Meinungen auseinander. Von Leonie Schwarzer

Taverna Hellas im Wedding. An einer langen Tafel sitzen rund 20 SPD-Mitglieder aus dem Kiez am Schillerpark. Im Hintergrund läuft griechische Musik, doch die Stimmung war bei den Genossinnen und Genossen schon mal besser.

Es ist Jahreshauptversammlung, das bedeutet: Viele Formalitäten, der Kassenwart legt seinen Bericht vor und die Vorsitzenden halten Reden. Doch es gibt wohl kein SPD-Treffen, bei dem es in diesen Tagen nicht um die Koalitionsverhandlungen geht, die "Gesamtwetterlage", so nennt es der Co-Vorsitzende Guido Rohmann.

Erstmal abwarten

Bis Ende März treffen sich verschiedene CDU- und SPD-Arbeitsgruppen, um einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Danach sollen dann die knapp 19.000 Mitglieder der Sozialdemokraten darüber abstimmen. Guido Rohmann will sich den Entwurf des Koalitionsvertrages anschauen, bevor er sich festlegt. Was aber jetzt schon klar ist: "Für mich ist das eine Auswahl zwischen Pest und Cholera." Schwarz-Rot, die Weiterführung von Rot-Grün-Rot und auch der Gang in die Opposition - er schaue bloß, was das geringere Übel sei.

Auch Uwe Schulz-Hofen will die Verhandlungen abwarten. Seit 50 Jahren ist er SPD-Mitglied, früher einmal war er Juso-Vorsitzender im Wedding. Er verstehe sehr gut, dass die Landesführung in der derzeitigen Situation mit der CDU spreche. Es gehöre zur demokratischen Pflicht, auszuloten, mit welcher Partei welche Positionen am besten durchsetzbar seien: "Ich bin da ergebnisoffen, warte die Ergebnisse ab und werde dann entscheiden", so Schulz-Hofen.

Wegner ist "trojanisches Pferd"

Sein Genosse Uli Dalibor ist auch schon seit vielen Jahrzehnten in der SPD, doch er sieht die Sache ganz anders: "Der Vertrag, der da zustande kommt, der interessiert mich nicht." Er sei absoluter Gegner von Schwarz-Rot - nicht wegen Kai Wegner persönlich, sondern weil Wegner ein "trojanisches Pferd" sei: "Merz ist die CDU, mit Söder im Hintergrund, und mit denen können wir nicht koalieren."

Uli Dalibor gegenüber sitzt Julia Landgraf. Auch sie weiß jetzt schon, dass sie nicht für Schwarz-Rot stimmen wird. "Wir haben auf Bundesebene zwar keinen CDU-Finanzminister, aber einen FDP-Finanzminister", sagt sie, "daran kann man gut sehen, dass die schönsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag nicht umgesetzt werden, wenn jemand auf der Kasse sitzt, der das nicht möchte." Und die Chancen seien eben hoch, dass es eine schwarze Finanzverwaltung gebe.

Opposition kein Mist

Doch was ist die Alternative zu Schwarz-Rot? Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat schon durchblicken lassen: Sollte die SPD-Basis dem Vertrag nicht zustimmen, dann sieht sie ihre Partei in der Opposition. Wulf Bickenbach fände diese Option gar nicht so schlimm. Er bezieht sich auf den bekannten Ausspruch "Opposition ist Mist“", den einst der SPD-Politiker Franz Müntefering sagte. Gerade jetzt sei Opposition eben kein Mist, sagt Bickenbach, die nächste Legislaturperiode dauere ja nur noch drei Jahre. Die Genossinnen und Genossen lachen.

Doch es geht an diesem Abend auch schon in die Analyse - schonungslos sucht die Basis nach Antworten, wie das historisch schlechte Ergebnis der SPD zustande kam. Bickenbach glaubt, dass die SPD zu wenig Profil gehabt hat und dafür abgestraft wurde. In seinem Freundeskreis habe das Gefühl vorgeherrscht, dass sich Franziska Giffey wie ein Fähnchen im Wind drehe. Als Beispiel nennt er den umstrittenen Weiterbau der Berliner Stadtautobahn A100: Erst sei Giffey der Meinung, die Autobahn solle weitergebaut werden. Dann nach einem Parteitagsbeschluss sei sie plötzlich wieder dagegen. "Jetzt bin ich mir gar nicht mehr sicher, was sie gerade denkt – vielleicht will sie die Autobahn doch weiterbauen", sagt Bickenbach.

Wieder mehr Themen besetzen

Mehr Profil zeigen, eine Nische besetzen - die SPD-Mitglieder sind sich einig, dass das wichtig ist. Julia Keil glaubt, dass die Themen Klima und Mobilität schon von den Grünen besetzt seien. Klar, Klimapolitik müsse mitgemacht werden, das sei unabdingbar, aber der Fokus im Wahlkampf hätte auch auf andere Themen gelenkt werden sollen. "Den Menschen ist auch Innere Sicherheit wichtig", sagt Keil. Sie spreche nur für diesen Wahlbezirk, hier seien auch Drogenpolitik oder Beschäftigung Schwerpunktthemen.

Adrian Berger ist 24 Jahre alt, studiert. Auch er glaubt: Die SPD muss sich stärker abgrenzen. Für seine Generation sei das Thema Umwelt bedeutsam – der ganze Müll im Wedding, aber auch allgemein das Klima. Die SPD habe zwar auch starke Klimaziele, im Zweifel würden die Menschen aber Grün wählen. Deshalb müsste das strategische Ziel der SPD sein, auch bei anderen Themen eine Aussage zu haben.

Für ihn sind vor allem Digitalisierung und Wohnen wichtig: "Meine ganzen Freunde, Studenten überwiegend, müssen alle sechs Monate die WG wechseln", sagt Adrian Berger, "weil zu teuer, weil befristet." Das Problem werde eher schlimmer als besser – und das unter Führung der SPD.

Keine einheitliche Linie an der SPD-Basis

Außerdem sei es nach wie vor nicht möglich, beim Bäcker die Brötchen mit der Karte zu bezahlen. "Ich glaube, nur Franziska Giffey vor der Oberbaumbrücke und ein Plakat, auf dem 29-Euro-Ticket für alle steht, das reicht einfach nicht, um Leute zu bewegen", sagt Berger. Es müsse klare Kante gezeigt werden – und das bei mehreren Themen.

Dass sich was verändern muss, da sind sich die SPD-Mitglieder bei ihrem Treffen weitgehend einig. Doch was genau, ob eine schwarz-rote Koalition der richtige Weg ist, da gehen die Meinungen auseinander. Hier, in der Taverna Hellas im Wedding, zeigt sich schon im Kleinen, wie uneinig die Partei derzeit ist. Fest steht: Es warten spannende Wochen auf die SPD.

Beitrag von Leonie Schwarzer

60 Kommentare

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  1. 59.

    "29€-Ticket" Warum hat die SPD dann verloren?
    "bessere Verkehrspolitik" D.h. wieder Auto first und only.

  2. 58.

    Wenn dem so wäre, hätten die Grünen enorme Verluste und die SPD wäre weiter stärkste Kraft, weil Giffey ja so eine tolle Bürgermeisterin ist.
    Tatsächlich hat die SPD ihre Führungsrolle zugunsten der CDU eingebüßt und die größten Verluste von allen Parteien eingefahren.

  3. 57.

    Also gemäß Wahlergebnis NUR die CDU. Auch sie müssen nicht versuchen, das Wahlergebnis in Richtung SPD zu verbiegen und alles den Grünen oder Linken unterzujubeln.
    Giffey wurde sowas von glasklar abgewählt.

  4. 56.

    Das ist doch Unsinn, was Sie da behaupten. Die SPD ist m. E. die einige seriöse Partei der progressiven Mitte in Berlin und deshalb wird sie für die nächste Regierung unverzichtbar sein.

  5. 55.

    Es geht um LOKALPOLITIK, nicht BUNDESPOLITIK. Die Berliner im Artikel und den Kommentaren tun immer so, als würden Sie über große Zusammenhänge entscheiden mit dem Koalitionsvertrag. Es geht nur um die Berliner Landespolitik.

  6. 54.

    Bessere Verkehrspolitik zu machen, als RGR ist nicht so schwer. Das würde CDU/SPD schon hinkriegen. Damit wäre ja schon viel erreicht.

  7. 53.

    "Wenn man die ganzen Einschleimer der CDU hier liest, ist aufjedenfall Opposition oder RGR das Beste für die SPD."

    Nachdem man Giffey in die märkische Wüste geschickt hat, die Dame ist für alle Zeiten verbrannt. Nach dem Rücktritt als Ministerin war ihr Berlin als Resterampe gut genug. Ich würde die Dame wegen ihrer Arroganz und Unglaubwürdigkeit nicht mal den Job eines Ortsvorstehers zutrauen.

  8. 52.

    In Berlin sind die Themen Klima und Mobilität von den Grünen sehr schlecht besetzt. Hier kann sich die SPD profilieren und noch bessere Konzepte vorlegen (wie zB das 29€-Ticket).

  9. 51.

    "SPD endlich begriffen" Haben sie den Artikel nicht gelesen, mit der CDU zu koalieren ist entweder die Pest oder Cholera. Meinen sie das mit "endlich begriffen"? Wenn man die ganzen Einschleimer der CDU hier liest, ist aufjedenfall Opposition oder RGR das Beste für die SPD.

  10. 50.

    "Bedeutungslosigkeit" Ist halt ein Wunschdenken von CDU Wählern, interessiert aber keinem in der SPD.

  11. 49.

    Der Wahlerfolg der CDU basiert vor allem auf der Ablehnung des von den Grünen geführten "Kulturkampfes ums Auto". Die neue Regierung sollte das unbedingt anders machen.

  12. 48.

    Letztlich würde SPD/CDU die bessere Verkehrspolitik betreiben. Darauf kam es vielen Wählern an, die ein dauerhaftes 29€-Ticket und keine Autohasser-Politik mehr wollten.

  13. 47.

    Wenn man schon diese unnötigen Provokationen zulässt, dann auch meine Antworten. Merkwürdigerweise werden diese Provokationen nur gegen bestimmte Leute zugelassen.

  14. 46.

    Nur 24% der Wähler waren mit RGR- Regierung zufrieden, demnach wollte die überwiegende Mehrheit diese Regierung nicht.
    Auch das haben hoffentlich die SPD Mitglieder begriffen, mal sehen.

  15. 44.
    Antwort auf [fischersfritz] vom 16.03.2023 um 09:01

    "Die Ursache ist wohl die, dass ein zunehmender Teil der Bevölkerung die Sozen mit Giffey als "Pest und Cholera" empfanden und daher die CDU gewählt haben. "

    Nein, die cDU wurde gewählt weil die mit Rassismus an die niedrigsten Instinke im Menschen appelliert hatte.

  16. 43.

    Ja: Wie oft beantragen Sie einen neuen Personalausweis und wie häufig pflegen Sie Ihr Auto umzumelden? Und weshalb sind das die entscheidenden Kriterien bei der Frage, wer regieren sollte? (Nebenher: Als die CDU zum letzten Mal den Regierenden Bürgermeister stellte, hatte Berlin am Ende doch gleich wie hohe Schulden und war deshalb was für eine Sparpolitik notwendig?)

  17. 42.

    Ok, und warum ist Giffey's Partei nicht stärkste Kraft geworden und hat stattdessen von RGR die meisten Stimmen verloren und nur noch eine "50"-Stimmen-Abstand zu den Grünen. Würde man genauer zählen gäbe den wahrscheinlich auch nicht mal.
    Hätte der Wähler dies mehrheitlich so gesehen, wäre Giffey's-SPD die stärkste Kraft in Berlin und Linke und Grüne wären richtig in den Keller gerauscht.
    Ich denke jeder kann selbst Tortendiagramme lesen und weiß daher was der Berliner Wähler wirklich mehrheitlich wollte.

  18. 41.

    In Berlin sind bei einer RGR - Regierung ist nicht das Problem die SPD, sondern die Koalitionspartner.
    Das hat die SPD endlich begriffen!

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