Auswirkung der Wiederholungswahl - CDU meldet Ansprüche auf Bezirksrathäuser an

Di 14.02.23 | 12:13 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Symbolbild:Blick auf das Alte Rathaus Reinickendorf.(Quelle:dpa/A.Karpe-Gora)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.02.2023 | Sebastian Schöbel | Bild: dpa/A.Karpe-Gora

Während die CDU nach der Wiederholungswahl realistische Chancen aufs Rote Rathaus hat, sieht es in den Bezirken ganz anders aus: Hier verhindert das Beamtenrecht, dass die Bezirksverwaltung die neuen Mehrheiten widerspiegelt. Von Sebastian Schöbel

  • Nach der Wahlwiederholung in Berlin ist unklar, wer künftig die Bezirke regiert
  • Nach geltendem Recht sind die Bezirksbürgermeister und Bezirksstadträte 2021 zu Beamten auf Zeit geworden
  • Sie sind damit Beamte bis zum Ende der Wahlperiode 2026
  • Ein freiwilliger Verzicht auf den Posten wäre nicht unmöglich.
  • Auch dann hätten die Bürgermeister und Stadträte Anspruch auf ein Ruhegeld

Was auf der Berliner Landesebene gerade Gegenstand hitziger Debatten über demokratischen Anstand und Moral ist, gehört auf Bezirksebene längst zur politischen Normalität: Wahlgewinner besetzen nicht immer auch den Posten des Regierungschefs. Zählgemeinschaften in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) haben schon viele lokalpolitische Ambitionen zunichte gemacht.

Die CDU musste das 2021 zum Beispiel in Reinickendorf erleben. Damals gewann die Partei mit Spitzenkandidat Michael Wegner 29 Prozent der Stimmen, mehr als alle Mitbewerber. Doch SPD, Grüne und FDP bildeten eine Zählgemeinschaft, um Sozialdemokrat Uwe Brockhausen zum Bürgermeister zu wählen.

Was damals keiner wusste: Etwas mehr als ein Jahr später würde Wegner eine zweite Chance bekommen, durch die Wiederholungswahl. Am Sonntag gewann die CDU sogar 40 Prozent der Stimmen. Doch ob Wegner nun auch das neobarocke Rathaus am Antonyplatz übernimmt, ist unklar.

Gesetz sieht Wiederholungswahl nicht vor - viele Jobs sind sicher

Denn während sich die Bezirksverordneten in ganz Berlin am Sonntag erneut zur Wahl stellen mussten, hatten die Bezirksbürgermeister und Bezirksstadträte ihre Jobs bereits weiterhin sicher. Der Grund: Sie wurden nach der Wahl 2021 zu Beamten auf Zeit, und zwar bis zum Ende der Wahlperiode. So will es das Gesetz. Dass sie durch eine Wiederholungswahl frühzeitig abgewählt werden, ist schlicht nicht vorgesehen. Vorzeitig abgewählt werden können Bürgermeister und Stadträte in Berlin nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in der BVV. Zuletzt ist das dem grünen Bürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel passiert.

"Da schlägt das Beamtenrecht das Demokratieprinzip", erklärt Parteienforscherin Julia Reuschenbach in der rbb24 Abendschau. "Man müsste jetzt zu einem gemeinsamen Konsens kommen, dass man angesichts komplett neuer Mehrheiten eine Regelung findet, um das auszubessern."

Eine Pflicht, jetzt neue Bezirksämter zu wählen, gibt es nicht. Zu diesem Schuss kommt auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Abgeordnetenhaus, das die AfD in Auftrag gegeben hat. Es liegt dem rbb vor. Demnach sind die Mitglieder der Bezirksämter "rechtmäßig ernannte Beamte auf Zeit" für die Dauer der gesamten Wahlperiode.

Die werde durch die Wiederholungswahl nicht beendet, so die juristischen Experten des Abgeordnetenhauses. Das habe auch der Verfassungsgerichtshof so geurteilt. Deswegen haben zum Beispiel auch Entscheidungen der Bezirksämter, die seit der Wahl 2021 gefällt wurden, ebenso Bestand wie Entscheidungen und Gesetze von Senat und Abgeordnetenhaus, unabhängig von der Wiederholungswahl.

Die Bezirksämter nun einfach neu zu wählen, verletzte das Beamtenrecht, "widerspricht dem Gebot von Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit und wäre mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden", so das Gutachten.

AfD droht mit Klage

Berlins AfD-Chefin Kristin Brinker will das nicht akzeptieren und droht bereits mit einer Klage. "Fast alle bestehenden Bezirksämter haben ihre politische und moralische Legitimation verloren", so Brinker. Daran ändere auch das Beamtenrecht nichts.

Ähnlich kritisch hatte sich vor der Wahl bereits die CDU geäußert und im Januar eine Gesetzesänderung im Abgeordnetenhaus eingereicht. Demnach müssten auch bei einer Wiederholungswahl die Bezirksämter neu gewählt werden.

SPD, Grüne und Linke kritisierten den Vorstoß als Alleingang, abschließend beraten muss ihn nun ein neues Parlament. Verändert werden müsse der Zustand aber sofort, sagt CDU-Politiker Falko Liecke. "Ansonsten bekommt man Demokratie nicht mehr erklärt", sagt der Sozialstadtrat, der sich Hoffnungen auf den Bürgermeisterposten in Neukölln macht.

Freiwilliger Verzicht? Bitte um Entlassung?

Ein Rücktritt vom Bürgermeisterposten scheint für die bisherigen Amtsinhaber jedenfalls keine Option zu sein. "Einen Rücktritt gibt es für Bezirksbürgermeister nicht", sagt Oliver Igel von der SPD, der das Rathaus in Treptow-Köpenick leitet. "Das ist auch technisch nicht möglich."

Mit Blick auf das Bezirksverwaltungsrecht stimmt das – doch ein freiwilliger Verzicht auf den Posten ist nicht völlig unmöglich. Genau darüber müsse man nun sprechen, räumt Mittes Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) nun im rbb ein. "Ich möchte, dass wir uns da überbezirklich auf eine Linie verständigen, sowohl die SPD als auch wir, die Grünen."

Könnte also sein, dass demnächst ganze Bezirksämter inklusive Bürgermeister um Entlassung bitten, um sich danach erneut einer Wahl in ihren jeweiligen Bezirksverordnetenversammlungen zu stellen. "Dass die CDU da ein legitimes Interesse hat, ist doch klar", so Remlinger.

Hohe "Kosten der Demokratie"

Sollte es die Beamten auf Zeit allerdings nicht schaffen, wären sie zumindest finanziell abgesichert. "Im Fall einer solchen vorzeitigen Abberufung erhält das Bezirksamtsmitglied Ruhegehalt nach beamtenversorgungrechtlichen Regeln", heißt es im Gutachten des Abgeordnetenhauses, und zwar "bis zum Ablauf der Amtszeit."

Sprich: Wer nach der Wiederholungswahl seinen Posten als Bezirksstadtrat oder Bürgermeister verliert, erhält noch bis 2026 rund 71 Prozent seines Gehalts ausgezahlt. "Das sind dann Kosten der Demokratie", so CDU-Politiker Liecke.

Update

Nach der Wiederholungswahl in Berlin wollen einige Bezirksbürgermeister und Stadträte trotz neuer Mehrheiten im Amt bleiben. Sie sind von den Bezirksverordnetenversammlungen für eine Wahlperiode gewählt. Trotz der fast 15.000 Stimmen Vorsprung der CDU will unter anderem die amtierende Spandauer SPD-Bezirksbürgermeisterin Carola Brückner weitermachen.

Aber auch der jetzige stellvertretende Bezirksbürgermeister Frank Bewig (CDU) erhebt Anspruch auf das Amt. Er hat am Dienstag im rbb24 Inforadio eine Verwaltungsreform gefordert, um das Problem zu lösen. Bewig ruft die amtierende rot-grün-rote Koalition auf, einen Gesetzentwurf zu unterstützen, den die CDU dazu im Abgeordnetenhaus vorgelegt hat.

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.02.23, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

101 Kommentare

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  1. 101.

    Der Vorgänger von Oliver Igel war Klaus Ulbricht. Sein Ziehsohn. Sein Vorgänger verlor ebenfalls im Alter Bodenhaftung. Daran ändert auch nichts sein Bundesverdienstkreuz. „Wer hat Deutschland verraten - die Sozialdemokraten“ Lars Düsterhöft SPD im Abgeordnetenhaus findet die Karriereleiter von Oliver Igel richtig.
    Claus Bubolz Vorsitzender der Jusos in Treptow Köpenick a.D. trotzdem voller Stolz. GENAU DESHALB

  2. 100.

    Das Wahlvolk ist mündig und der Souverän. Die Wahlen aus 21 wurden für nichtig erklärt. Alles andere als eine Umsetzung des Wahlergebnisses in den Bezirksämtern ist ein Betrug am Wähler. Den Personen, die durch eine irreguläre Wahl in ihr Amt gekommen sind, wollen es behalten.

  3. 99.

    Ich möchte hier mal einen Artikel aus FOCUS online einfügen, der durchaus lesenswert ist und zum Nachdenken über unsere derzeitige Politikerkaste ist:
    https://www.focus.de/politik/deutschland/kolumne-von-ulrich-reitz-in-wahrheit-hat-es-giffey-schon-geschafft-mit-diesen-elf-tricks_id_185810441.html

  4. 98.

    Dazu "passt", dass folgende lokalen Spitzenpolitiker in ihren Wahlkreisen nicht gewählt wurden: Giffey, Saleh, Geisel und Jarasch. Sie kommen über eine Liste, die von der jeweiligen Partei bestimmt wurde, auf den Abgeordnetenhaus-Posten.

  5. 97.

    Es ist eine Fehlkonstruktion, dass die Bezirkspolitiker plötzlich "Beamte" sind und nicht den aktuellen Wählerwillen repräsentieren und an ihren Versorgungsposten sich dauerhaft ankleben können. Das fördert nicht gerade das Ansehen des Politikbetriebes in der Bevölkerung. Zur Erinnerung:

    #Berlinwahl2023 in absoluten Zahlen.

    Nichtwähler 37,00%
    CDU 17,77%
    SPD 11,59%
    Grüne 11,59%
    Linke 7,69%
    AfD 5,73%
    FDP 2,90%

  6. 95.

    @ Mobby, würde mich schon interessieren, welche zwei Angaben dies waren.

  7. 93.

    @ Sven, BVV ist dahingehend etwas anderes als Senat. Da ist die Besetzung der Posten auch anders geregelt. Bitte nicht alles durcheinanderwürfeln.

  8. 91.

    @ Frau B., ich kenne aus der Vergangenheit nur sehr, sehr wenige Politiker aus allen(!) Parteien, die ihren Stuhl geräumt haben obwohl sie es nicht zwingend hätten tun müssen. Ich glaube auch nicht, dass sich das in Zukunft ändert. Nun sagen Sie mir bitte, welche Partei nach diesem Kriterium noch wählbar ist. Und mal ehrlich, würden Sie es tun? Im übrigen gilt dies für alle Lebensbereiche.

  9. 90.

    Ich denke auch an fünf Jahre Kaffeekränzchen für einen nicht barrierefreien WC-Container am Kotti, der -bääm- stolz in den Marsch gestellt wurde und nach nur einer Woche schon zu 2/3 kaputt war, dem Verbot des Einbaus von Aufzügen sogar bei der U-Bahn und die DIESE eG, den Gesprächsbedarf zum Ausbau der Tram, den Bezirksfürsten nach jahrelanger Diskussion noch sehen, obwohl die eigentlich weniger Autos wollen. Viele scheinen nicht zu wissen, dass Berlin größer ist als Bullerbü.

  10. 89.

    Das Problem ist nur, dass Politiker keine Moral haben und ein Rückgrat schon gar nicht. Wäre es anders, gäbe es die Diskussion gar nicht. Dann würden sie das Wahlergebnis akzeptieren und respektieren und zurücktreten

  11. 88.

    Nur reicht im Abgeordnetenhaus eine einfache Mehrheit zur Abwahl, während es bei den auf Zeit verbeamteren Bezirksfürsten einer 2/3-Mehrheit bedarf. Damit sind wir bei dem Thema, dass die sich oft wie der Steuermann geben, eigentlich aber nur Steuerrad sind sind, an dem andere drehen.

  12. 87.

    Das gebietet der Anstand, dass in einer repräsentativen Demokratie auch die Repräsentanten regieren. Vom Souverän geht alle Macht aus, nicht vom Beamtenrecht. Alles andere ist unerenhaft.
    Wer nicht freiwillig geht, der muss eben abgewählt oder in den Ruhestand versetzt werden.
    Wie verhält sich das eigentlich mit der Neutralitätspflicht von Beamten wenn diese quasi Parteivertreter sind. Das ist doch nicht miteinander vereinbar.

  13. 86.

    Die Idee "Beamtenrecht schlägt Demokratieprinzip" ist einer Demokratie unwürdig. Parteifunktionäre, die solches für richtig halten, fügen der Demokratie Schaden zu.

  14. 85.

    ??? das die SPD nach der Wahl etwas anderes macht wie vorher artikuliert haben wir doch bereits 2021 gelernt. In diesem Fall muss man aber festhalten dass Frau Giffey vorher gesagt hat dass sie sich an R2G fest klammert. Das sie sich und auch der Partei damit keinen Gefallen tut scheint in der SPD niemand zu interessieren. Machterhalt um jeden Preis !

  15. 84.

    das kann doch nicht sein und das soll Demokratie sein ? bin sprachlos - warum haben wir dann gewählt ?????

  16. 83.

    Sollen wir jetzt bei jemandem mit 18,4% Stimmen den Rücktritt erbetteln?
    Wären alle anderen Parteien hinter der SPD, dann könnte die SPD einen Regierungsauftrag ableiten.
    Aber bei 10% hinter der CDU???
    Man stelle sich vor, die CSU in Bayern erreicht 18,4% und die Grünen 28,2%.
    Dann sagt Söder: er macht weiter.
    Na ich möchte nicht wissen, was dann in den Medien los sein würde.

  17. 82.

    Die CDU hat deutlich in vielen Bezirken gewonnen und sollte natürlich auch die Bezirksbürgermeister stellen. Giffey sollte zurücktreten und die SPD sollte nit der CDU eine GROKO bilden für die Stadt. Die stadt muss wieder sicher werden.

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