Tote und neue Wähler:innen - Welche Parteien statistisch von der Wiederholungswahl in Berlin profitieren

Mo 06.02.23 | 08:14 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
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Junge und alte Wählerinnen gehen in oder von den Wahlkabinen. (Quelle:imago images/M.Schick)
Bild: imago images/M.Schick

Anderthalb Jahre nach der letzten Wahl hat sich nicht nur die politische Landschaft verändert. Inzwischen sind manche Wähler:innen nicht mehr unter uns und andere neu dabei. Für die "Volksparteien" könnte das ein Problem sein. Von Haluka Maier-Borst

Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und CDU-Urgestein, wird nachgesagt, auf dem Sterbebett einen politischen Sinneswandel gehabt zu haben. Seine Getrauten bat er, alles vorzubereiten, um in die SPD einzutreten.

Man tat wie geheißen und war erschüttert. So sehr, dass man sich nicht verkneifen konnte, zu fragen, wieso der Altkanzler jetzt noch seine Partei verlassen müsse. Darauf antwortete Adenauer: "Besser einer von denen stirbt als einer von uns, oder?"

Nun, wieso erzählen wir Ihnen diese wahrscheinlich erfundene Geschichte? Unter anderem, weil bei der nächsten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus CDU und SPD viele Wählerinnen und Wähler an den Tod verloren haben werden.

Nach rbb|24-Schätzungen können etwa 18.500 frühere Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz nicht mehr bei den beiden Volksparteien setzen, weil sie seit der Abgeordnetenhaus-Wahl 2021 verstorben sind.

Doch wie kommen wir zu diese Zahlen? Zunächst haben wir uns angeschaut, wie viele Berlinerinnen und Berliner 2020 und 2021 mit deutscher Staatsbürgerschaft in welchem Alter verstorben sind.

Und weiter haben wir uns angeschaut, wie Menschen in all diesen Altersgruppen gewählt haben. Zusammen genommen erlaubt das eine Abschätzung darüber, wie viele Wählerinnen und Wähler der jeweiligen Parteien inzwischen verstorben sind.

Und genau diese Kombination aus Sterbe- und altersbezogener Wahlstatistik zeigt, dass eben vor allem CDU und SPD Teile ihrer Wählerschaft verloren gehen. Mehr als 60 Prozent der Wähler:innen über 70 Jahre gaben ihre Stimme im Herbst 2021 den beiden ehemaligen Volksparteien. Die Politologin Anne Küppers von der Universität Jena sagt dazu: "Diese klare Parteientreue, von der die Volksparteien früher gezehrt haben, die ist eine Sache der älteren Generationen und stirbt tatsächlich nach und nach weg."

Berlin-Wahl live

Den Wahlabend können Sie auch live bei uns verfolgen: Auf den Social-Kanälen von rbb|24 gibt es am Sonntag ein eigenes digitales Livestream-Angebot – von 17.45 bis 20.30 Uhr – zu finden bei rbb|24 YouTube, Facebook, auf rbb24.de und hochkant in der App, wenn Sie es sich auf dem Smartphone anschauen wollen.

Potenzielle Neuwähler:innen

Mit den Daten zum Wahlverhalten nach Alter lässt sich aber auch das Gegenstück zu der Totenrechnung machen. Es lässt sich abschätzen, wie viel die Parteien dazu gewinnen, weil bei der Wahl 2021 Jugendliche noch nicht volljährig waren und wählen durften, die es nun anderthalb Jahre später können.

Was es dazu braucht, ist die letzte Bevölkerungsstatistik aus dem Juli 2022 und eine vereinfachte Abschätzung: Zum einen wird es Leute geben, die im Juli vorigen Jahres 18 Jahre alt waren, aber im September 2021 noch 17. Und zum anderen wird es Leute geben, die zum Zeitpunkt der Statistik 17 waren, aber bis zum Tag der Wahlwiederholung 18 werden.

Das sind schätzungsweise etwa 32.000 Neuwähler:innen. Geht man dann noch stark vereinfacht davon aus, dass diese Neuwählerinnen und Neuwähler genauso wählen würden wie ihre Altersgenossen, die 2021 wählen durften, so profitieren zunächst die Grünen und danach der große Block der "sonstigen" Parteien von der Wiederholungswahl.

Insgesamt würden diese beiden Effekte – verstorbene und neue junge Wähler – alleine dazu führen, dass CDU und SPD verlieren und Grüne und sonstige Parteien dazugewinnen, wenn auch beides in zugegeben geringem Maße.

Die Ergebnisse der beiden Beispielrechnungen spiegeln einen Trend wieder, den auch Politologen seit einer Weile verfolgen. Ina Weigelt vom Deutsches Jugendinstitut bestätigt, dass auch im Bundestrend die Grünen bei den Jungen bislang die Nase vorne hatten. Und das habe auch mit den Themen zu tun. "Natürlich ist der Klimanwandel etwas, das den Jüngeren nahe liegt. Zudem würde ich vermuten, dass die Grünen besser auf Social Media unterwegs sind als die Volksparteien", sagt Weigelt.

Und auch ihre Kollegin Küppers erklärt, dass die Grünen aktuell bei den Jungen punkten – gerade auch nach und trotz der jüngsten Debatte um Lützerath [tagesschau.de], wo der Energiekonzern RWE nun unter dem nordrhein-westfälischen Dorf Kohle abbauen darf. "Ja, es gab Kritik am Verhalten der Grünen, weil sie nicht den Tagebau gestoppt haben. Aber wir sehen jetzt keine Anzeichen dafür, dass der Partei darum in Scharen die Wählerinnen und Wähler weglaufen", sagt Küppers.

Und was ist mit den Zugezogenen?

Die altersbedingten Zuwächse und Verluste bei den Parteien sind aber nicht die einzigen Faktoren. Gerade in Berlin, der Stadt der Zugezogenen, stellt sich auch die Frage, wie viele Leute nach Berlin gezogen sind oder aus Berlin weg. Ordnen wir hier wieder die Wählerschaft gemäß Alter zu, so sind ebenfalls CDU und SPD die Verlierer. Interessant ist aber auch, dass die FDP fast gar keine Wählerinnen und Wähler netto verliert, weil laut dieser Modellrechnung genau so viele junge wahrscheinliche FDP-Wählerinnen und -Wähler neu herziehen wie ältere wegziehen.

Die politische Grenze des Modells

Lässt sich aber nur über das Alter von Zu- und Wegziehenden ihre Parteipräferenz errechnen? Daran kann man durchaus zweifeln und insofern erreicht auch unsere Modellrechnung hier eine Grenze. Denn beim Tod kann man vereinfachend davon ausgehen, dass gleichalte Grünen-, CDU-, AfD- oder sonstige Wähler:innen ähnlich wahrscheinlich im entsprechenden Alter sterben. Auch gleichalte potenzielle junge Neuwähler:innen der SPD werden statistisch nicht langsamer 18 als die der FDP oder der Linken.

Aber wenn es um Zu- und Fortzüge geht, könnte es durchaus sein, dass die Parteipräferenz eine Rolle spielt. Wenn, um mal ein Wahlkampfthema aufzunehmen, durch steigende Mieten das Einkommen bestimmt, wer sich Berlin noch leisten kann, dann ziehen wahrscheinlich bestimmte Wählertypen weg. Oder bestimmte Wählertypen wollen lieber im Speckgürtel wohnen als in der lärmenden Stadt. Entsprechend könnte es sein, dass ein 35-jähriger Linken-Wähler eher wegzieht als eine 35-jährige FDP-Wählerin. Oder umgekehrt.

Und überhaupt geht die Modellrechnung davon aus, dass die letzte Wahl viel darüber aussagt, wie es auch dieses Mal laufen wird. Es kann aber natürlich sein, dass Themen wie Mieten, Klima, Kriminalität und dergleichen bei der Wiederholungswahl dazu führen, dass Wählerinnen und Wähler anders abstimmen als 2021, ebenso wie die Politik der letzten anderhalb Jahre. Auch Weigelt vom Jugendinstitut sagt: "Die treuen Wähler und Wählerinnen, die ein Leben lang nur eine Partei wählen, die gibt es bei den jüngeren Generationen kaum noch." Und vielleicht ist das auch ganz beruhigend für eine Demokratie. Dass mehr als nur Tod und Volljährigkeit über das Wahlergebnis entscheiden.

Beitrag von Haluka Maier-Borst

56 Kommentare

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  1. 56.

    Petra:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 06.02.2023 um 18:01
    Wenn in Berlin Unzufriedenheit mit dem bestehenden Schulsystem nicht abreißt und PISA wiederholt eine deutliche Sprache spricht, dann scheint Schule in diesem Bundesland ungünstig organisiert zu sein.
    Wer ist dafür verantwortlich?"

    Das sind zum einem die Regierungen der letzten Jahrzehnte (denn Schulpolitik ist eine langfristige Politik), zum zweiten die Wähler (die wollen, dass der Staat möglichst wenig Steuern erhebt und möglichst viel ausgibt, was nicht funktuionieren kann) und zum anderem auch nicht beeinflussbare Umstände (aktuell: Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine; wobei dieser Krieg nur wenig Einfluss auf Bildungspolitik hat, außer dass das Geld knapper wird).

  2. 55.

    Tim ohne Struppi:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 06.02.2023 um 13:21
    "SIe sehen immer nur, was nicht klappt, aber nie, was klappt!"
    Wie soll man etwas sehen was es nicht gibt?"

    Achso, es gibt keine Baustellen, es gibt keine Wartelisten für Bürgeramtstermine, es gibt keine sichtbaren Baumängel in Schulen? So weit würde ich nicht gehen. Im Gegensatz zu Ihnen sage ich: Es läuft nicht alles gut, aber auch nicht alles schlecht. Ich beurteile Politik differenziert und nicht pauschal als "alles super" oder "alles schlecht". Und ich erwarte von den Politikern keine ideale Politik, die immer zu 100% meinen Vorstellungen entspricht, sondern wähle unter den Parteien, die Partei, die - trotz meiner Kritik - noch am meisten mit meinen Vorstellungen übereinstimmt.

  3. 54.

    Welche Jungen? In der Statistik werden keine jungen männlichen Menschen separat aufgeführt?

  4. 53.

    Wenn in Berlin Unzufriedenheit mit dem bestehenden Schulsystem nicht abreißt und PISA wiederholt eine deutliche Sprache spricht, dann scheint Schule in diesem Bundesland ungünstig organisiert zu sein.
    Wer ist dafür verantwortlich?

  5. 52.

    Zitat: "Leider verstehen die jungen Leute nicht . . ."

    Ja genau, Berlin sollte mal für ein Jahr die Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich gestrichen werden. Dann merken diese "jungen Leute" endlich, dass sie nicht mehr Die Grünen oder Kleinstparteien wählen dürfen, wenn ihnen "ihr Leben lieb ist"!!! Oje, Max.

  6. 51.

    "SIe sehen immer nur, was nicht klappt, aber nie, was klappt!"
    Wie soll man etwas sehen was es nicht gibt?

  7. 50.

    Lorenzo:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 06.02.2023 um 13:44
    Früher mochte ich Kohl und Diepgen nicht.
    Heute wünscht man sich Politiker wie sie zurück."

    Den Bimbes-Kohl zurück? War das nicht der, der seinen AMtseid gebrochen hat, sich an das Gesetz zu halten, als er sich weigerte, die angeblichen "Spender" zu nennen, der also ein angebliches persönliches Versprechen über seine Amtspflichtennund über das Gesetz gestellt hat? War das nicht der, der für politische Freundschaftsdienste für Leo Kirch einen Vertrag bekam, dass er Gehalt bekommt, ohne etwas leisten zu müssen (= Korruption!)? Nie wieder korrupte Politiker wie Kohl & Konsorten!

  8. 49.

    Arnold:
    "Antwort auf [cervo] vom 06.02.2023 um 12:50
    Aber viele Widersprüche hinsichtlich dem Wahlverhalten junger Menschen. Habe das Gefühl, noch nie flogen junge Menschen so viele km im Jahr."

    Vorsicht vor gefühlten "Wahrheiten", denn sie stimmen oft nicht mit der Wirklichkeit überein!

  9. 48.

    Täve:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 06.02.2023 um 13:21
    Was klappt denn in Berlin, nun werden sie doch mal konkret....sie fabulieren doch nur rum."

    Da Sie anscheinend Berlin nicht kennen, hier ein Beispiel für Sie: Die geplanten notwendigen Instandsetzungsarbeiten der BVG werden in der Regel pünktlich beendet.

    Ein 2. Beispiel: 29-Euro-Ticket klappt super!

    Nicht alles ist perfekt, aber das ist es in keiner Großstadt in Europa.

  10. 47.

    Erich:
    "Am Wahlverhalten der Jungwähler wird deutlich, wie diese Menschen in den Schulen beeinflusst werden."

    Es wäre schlimm, wenn die Schule keinerlei Einfluss auf die Schüler hätte, keine politische und keine Sozial-Kompetenz vermitteln würde.

  11. 45.

    na also - klappt doch RRG oder RGR bleibt bzw Karlsruhe kippt das Theater und die afd mit ihrer 10jährigen negativen Mißerfolgssstory kriegt die A-Karte (bzw. die rote).

  12. 44.

    "Das wissen wir alle, das ändert aber nichts daran dass die Grünen eben die federführende HartzIV-Partei sind, und nicht die sozial-liberale menschenfreundliche Knuffelgruppe. "

    Wer das behauptet, der lügt bewußt. Der Ursprung der Agenda 2010 geht aus einem Sondergipfel in Portugal im Jahr 2000 hervor, die europäischen Staats- und Regierungschefs haben beschlossen Europa zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ umzugestalten.

    Weder daran, noch an der sogenannten Hartz-Kommission waren die Grünen federführend beteiligt. Das Reformkonzept wurde von der Bertelsmann Stiftung maßgeblich geprägt.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Hartz-Konzept#Zusammensetzung

    Allerdings wurde ein Leitantrag zur Agenda 2010 auf dem Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am 14./15. Juni 2003 mit etwa 90-prozentiger Mehrheit angenommen.

  13. 43.

    Genau das Gegenteil ist der Fall.
    Aber man sieht wieder wie gut sich die Grünen Wähler auskennen mit der Natur nämlich gleich null.
    Fragen sie jeden Bauer oder Imker oder sonst wen…..

  14. 42.

    Der Bankenskandal von 2001 wirkt immer noch nach (Diejenigen die das Gegenteil behaupten haben den Unterschied zwischen Immobilienfond und Gesamtschaden nicht verstanden).

    Das war eben nicht nur die Landesbank. Ironischerweise wollen die Grünenhasser die Resultate ausgerechnet den Grünen anhängen. Kaputter ÖD, fehlendes Personal, bezahlbarer Wohnraum usw.

  15. 41.

    "Früher mochte ich Kohl und Diepgen nicht.
    Heute wünscht man sich Politiker wie sie zurück."

    Der war echt gut. Ihr Humor rettet mir den Tag. Vielen Dank!

  16. 40.

    Profitieren wird wohl nur das absurd übersteigerte Ego der Kandidaten. Vorbei an der Realität, in der Wahlkampf-Phrasendrescher-Phase, da erleben sie sich selbst und vor allem beeindruckt von sich selbst. Bspw. nie mehr als in dieser Phase, kann man die plärrende, unangenehm durchdringende Stimme von Jarrasch hören, wie sie ihren Autowahn auslebt. Da ist sie dann ganz sie selbst und findet sich wahnsinnig aktiv.

  17. 39.

    Berlin wird laufend von der Opposition heruntergewirtschaftet, so ist dieser Kommentar zu verstehen.
    Das wird auch weiterhin behauptet, sofern diese Regierung an der Macht bleibt.

  18. 38.

    "Sie wissen aber schon dass die Agenda 2010 Umsetzung von allen Parteien beschlossen wurde"
    Das wissen wir alle, das ändert aber nichts daran dass die Grünen eben die federführende HartzIV-Partei sind, und nicht die sozial-liberale menschenfreundliche Knuffelgruppe.

  19. 37.

    Die Grünen auf Landesebene Berlin kann man mit den Grünen auf Bundesebene nicht vergleichen. Die Grünen auf Bundesebene sind zukunftsorientiert, die Grünen auf Landesebene Berlin sind egoistisch, selbstherrlich, diktatorisch und nicht zukunftsorientiert. Sie beteiligen die Bevölkerung nicht, bevor sie eine Entscheidung treffen ( siehe Friedrichstraße). Das Auto verpönt, aber selbst mit Dienstwagen fahren, weil man ja ansonsten zu spät zu einem Termin kommt. HA HA HA.

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