Juristisches Gutachten - Alle Gremien im Abgeordnetenhaus müssen zweites Mal gewählt werden

Fr 20.01.23 | 15:55 Uhr
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Symbolbild:Berliner Abgeordnetenhaus.(Quelle:dpa/Bildagentur-online/Joko)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.01.2023 | Sabine Müller | Bild: dpa/Bildagentur-online/Joko

Die Wiederholungswahl bedeutet juristisches Neuland für Berlin. Das bestätigt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Abgeordnetenhaus. Darin äußern sich die Gutachter dazu, was etwa mit Ausschüssen und Gesetzesvorhaben passieren soll.

  • Ältestenrat des Berliner Parlaments hat juristisches Gutachten beauftragt
  • Demnach müssen nach Wiederholungswahl sämtliche Gremien neu gewählt werden
  • Senat bleibt auch nach Wahl vorerst geschäftsführend im Amt

Nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar müssen alle Gremien im Parlament neu gebildet werden. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD) des Abgeordnetenhauses hervor, das dem rbb exklusiv vorliegt. Das gelte auch, wenn die im Jahr 2021 begonnene Legislaturperiode weiterläuft.

Wie weiter mit laufenden Gesetzesvorgängen?

Beauftragt hatte das Gutachten der Ältestenrat des Parlaments. Die Juristen erklären darin, dass sich das Parlament und die Fraktionen neu konstituieren müssen. Auch alle Ausschüsse müssen neu eingesetzt und neue Mitglieder gewählt werden.

Weniger eindeutig ist die Aussage der Juristen zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner (SPD), und seinen Stellvertretenden. Hier fehlen laut WPD-Gutachten klare rechtliche Vorgaben: So einen Fall gab es noch nie. Die Gutachter des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes plädieren dafür, das gesamte Präsidium des Parlaments neu zu bestimmen.

Auch noch nicht erledigte Gesetzesvorgänge haben die Juristen unter die Lupe genommen, also die Gesetze, die bis zur Wiederholungswahl noch nicht endgültig beschlossen sind. Wenn das Abgeordnetenhaus danach inhaltlich mit den Gesetzesvorhaben weiterarbeiten will, empfehlen die Experten, die parlamentarische Abstimmung nochmal mit der ersten Lesung zu beginnen. Das würde das jeweilige Gesetzgebungsverfahren rechtssicher machen. Die Parlamentsgutachter halten es außerdem für nötig, dass sich das Abgeordnetenhaus in seiner ersten Sitzung eine neue Geschäftsordnung gibt oder die bisherige bestätigt.

Senat bleibt auch nach Wahl erstmal geschäftsführend im Amt

Nicht untersucht hat das Parlamentsgutachten, wie es nach der Wiederholungswahl mit dem Senat weitergeht. Hier gelten andere Rechtsregeln als beim Parlament, wie der Verfassungsrechtler Ulrich Battis dem rbb auf Nachfrage sagte. Denn die rechtliche Begründung, warum im Abgeordnetenhaus nach der Wiederholungswahl Ämter neu gewählt werden, basiere auf dem sogenannten Grundsatz der Diskontinuität, so Battis.

Vereinfacht gesagt, werde die Arbeit des Parlaments mit einer Wahl wieder auf Anfang gestellt. Dieser Grundsatz gelte aber ausschließlich für das Parlament (die Legislative) und nicht für den Senat (die Exekutive), so Battis. Das bedeutet: Nach der Wiederholungswahl ist die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) mit ihren Senatorinnen und Senatoren weiter geschäftsführend im Amt. Sie kann entweder freiwillig zurücktreten oder müsste per Misstrauensvotum aus dem Amt gewählt werden.

Das Berliner Landesverfassungsgericht hatte die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 für ungültig erklärt. Die Legislaturperiode soll aber ungeachtet der Wiederholungswahl weiterlaufen. Der nächste reguläre Wahltermin wäre dann wie ursprünglich vorgesehen im Jahr 2026.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.01.2023, 14:00 Uhr

3 Kommentare

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  1. 3.

    Schön, dass der wissenschaftliche Dienst das Offensichtliche festgestellt hat: dass nach einer Wahl alle Gremien, Kommissionen und Ämter neu besetzt bzw. gewählt werden müssen…

  2. 2.

    Ich finde in Anbetracht der immer zunehmenden Folgen und Unwägbarkeiten im Prozedere dieser Wahlwiederholung, wäre eine richtige Neuwahl die bessere Lösung gewesen.

  3. 1.

    Es muss auch persönliche Konsequenzen haben, wenn so ein großer materieller und immaterieller Schaden entstanden ist. Die Gerechtigkeit verlangt das dieses außergewöhnliche Desaster so behandelt wird, dass es nicht noch einmal passiert. Die Scham ist einfach viel zu groß...und einfach eine schlechte Nachricht für Erfolglosigkeit zu viel.

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