Analyse | Deutschland-Trend zur Berlin-Wahl - Wahl als Wundertüte

Do 02.02.23 | 18:51 Uhr | Von Jan Menzel
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Eine Radfahrerin fährt an Wahlplakaten von SPD, Grünen und CDU für die Wiederholungswahl in Berlin vorbei. (Quelle: imago-images/Political-Moments)
Audio: rbb24 Inforadio | 02.02.2023 | Nachrichten | Jan Menzel | Bild: imago-images/Political-Moments

Lange sah es so aus, als würden sich CDU, Grüne und SPD ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Doch zehn Tage vor der Wiederholungswahl sortiert sich das Feld. Trotzdem: Dem Wahlsieger winkt nicht automatisch das Rote Rathaus. Von Jan Menzel

Man würde in diesen Tagen gern Mäuschen in der Parteizentrale der Berliner CDU sein, um zu erfahren, ob dort schon der Sekt kaltgestellt oder ob doch eher Selters geordert wird. Für den Fall, dass auf das Wahlergebnis schlagartig die Ernüchterung folgt.

Denn laut aktueller Umfrage zur Berlin-Wahl im Rahmen des ARD-Deutschland-Trends setzen die Christdemokraten unmittelbar vor der heißen Wahlkampfphase zu einem kleinen Höhenflug an. Mit 25 Prozent liegt die CDU mit sechs bzw. sieben Prozentpunkten deutlich vor den beiden nächstplatzierten Parteien SPD und Grüne. Schaut man sich diesen Vorsprung, die Dynamik der vergangenen Wochen und die politische Großwetter-Lage an, lässt das eigentlich nur den Schluss zu: Der Wahlsieg ist der CDU kaum noch zu nehmen. Und doch wird ihr Spitzenkandidat Kai Wegner wohl kaum nächster Regierender Bürgermeister werden.

Der Pfad in Richtung Rotes Rathaus

Das liegt zum einen an der FDP, die mal wieder um den Wiedereinzug ins Parlament kämpft, sich dieses Mal aber besonders geschickt als Schutzpatron der Autofahrer und als einziger Garant dafür inszeniert, dass die Grünen nicht das Rote Rathaus erobern. Eine FDP, die wieder ins Abgeordnetenhaus einzieht, dürfte mit großer Sicherheit dafür sorgen, dass ein Zweierbündnis wie Schwarz-Grün rein zahlenmäßig nicht machbar sein wird. Ganz abgesehen von massiven Hürden und politischen Differenzen zwischen Schwarzen und Grünen bedeutet das für Wegners CDU: Eine Option fällt weg.

Auch der vermeintlich zweite Pfad in Richtung Rotes Rathaus wird für die CDU im Lichte der Umfrage einer, der eher nicht zum Ziel führt. Zwar trommelt die FDP seit Wochen eifrig für die so genannte Deutschland-Koalition, also ein Bündnis von CDU, SPD und FDP. Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey befeuert mit ihrem wiederholten Nein zur Enteignung großer Wohnungskonzerne und ihrer Pro-Auto-Politik diesbezügliche Hoffnungen. Doch warum sollte Giffey ihre Partei in dieses ungeliebte Bündnis zwingen, dazu noch als Juniorpartner unter einem Regierenden von der CDU, wenn sie das Bürgermeisteramt verteidigen kann?

Umfragewerte zur Abgeordnetenhauswahl 2023

Giffey im persönlichen Direktvergleich vorn

Genau darauf deuten die Zahlen zur Berlin-Wahl im Rahmen des ARD-Deutschland-Trends ganz zaghaft hin. Langsam aber beharrlich scheint sich die SPD in der Wählergunst wieder vor die Grünen zu schieben. Nach wie vor liegt die SPD-Spitzenkandidatin im persönlichen Direktvergleich vor ihren Mitbewerbern. Franziska Giffey wirft ihr Amt und ihre Bekanntheit in die Waagschale und kann damit möglicherweise zögerliche Wählerinnen und Wähler doch noch für sich gewinnen. Auch wenn sie damit längst nicht die Werte wirklich beliebter Ministerpräsidenten erreicht, steckt Giffey CDU-Mann Wegner und vor allem die Grünen-Frau Jarasch in die Tasche.

Für die Ökopartei ist die Bewegung in den Umfragen zu allererst bitter, aber nicht nur. Wieder einmal gerät das Ziel, stärkste politische Kraft zu werden, außer Reichweite je näher der Wahltermin rückt. Einmal mehr scheint sich zu bestätigen, dass die Grünen eher Umfragen als Wahlen gewinnen. Für Bettina Jarasch, die von vielen schon als nächste Regierende Bürgermeisterin gehandelt wurde, ist diese Schubumkehr auf den letzten Metern persönlich schmerzhaft. Politisch könnte sie ihr und den Grünen aber in die Karten spielen.

Einfacher als andere Regierungsvarianten

Denn mit einer SPD, die nur in einem rot-grünen-roten Bündnis das Rote Rathaus verteidigen kann, steigen auch die Chancen, dass genau diese Koalition nach der Wiederholungswahl fortgesetzt wird. Einfacher als andere Regierungsvarianten wäre es ohnehin. Ein Koalitionsvertrag müsste nicht komplett neu verhandelt werden und die Koalition könnte sich schneller wieder ans Regieren machen.

Außerdem gibt es trotz aller Konflikte, die im Wahlkampf noch einmal aufgebrochen sind, und allem Verdruss in der Zusammenarbeit zwischen Berliner Grünen und Berliner Sozialdemokraten mehr Übereinstimmungen als mit der Berliner CDU. Der Preis für das von Jarasch so offen präferierte Bündnis von Grünen, Sozialdemokarten und Linken könnte somit der dritte Platz hinter CDU und SPD sein.

Umfragen nur Momentaufnahmen

Allerdings hat gerade die letzte Abgeordnetenhauswahl überdeutlich gezeigt, dass Umfragen nur Momentaufnahmen sind und zum Teil beträchtlich vom Wahlergebnis abweichen können. Manchmal legen Parteien auf den letzten Metern noch einmal einen echten Spurt hin. Anderen geht zum Schluss die Puste aus. Alles hängt davon ab, wie es den Parteien gelingt, die eigenen Anhänger und Sympathisanten zu mobilisieren.

Sicher kann sich also zehn Tage vor der Wahl keiner der Spitzenkandidaten und - kandidatinnen sein. Zumal der eigentliche Koalitions-Poker erst beginnt, wenn die Wahllokale geschlossen haben und die erste Hochrechnung über die Bildschirme flimmert. Die Wahlkampfstrategen aller Parteien sind daher gut beraten sein, wenn sie für alle Fälle vorsorgen, also Sekt kaltstellen und Selter ordern.

Sendung: rbb24 Abendschau, 02.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

55 Kommentare

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  1. 55.

    Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Menschen in der Stadt keine Lust mehr auf Rot-Rot-Grün haben. Schwarz-Rot-Gelb wäre meine erste Wahl!

  2. 54.

    Ich habe schon vor über zwei Wochen Briefwahl gemacht. Aufgrund der aktuellen Umfragen würde ich heute eine andere Partei wählen. Mein Kenntnisstand ist heute ein anderer.

  3. 53.

    Das ist das schöne an der Demokratie das jeder seine eigene Meinung äußern kann. Ich würde niemals die grünen wählen. Dem Volk das fliegen madig machen aber selber Vielfleger Partei sein. Und dann Sympathie für Kleblinge zu haben, die wegen CO2 vorschreiben wollen Tempo 100 zu fahren, aber in ihrer Freizeit nach Thailand/Bali fliegen. Dazu hab ich keinen Kommentar der grünen gelesen.

  4. 52.

    Ein Veröffentlichungsverbot von Umfragen kurz vor den Wahlen (z. B wie in Frankreich, Italien oder Spanien) wäre ein echter Fortschritt für die Demokratie in Deutschland.

  5. 51.

    Wer nicht weiß, was "reißerisch aufbereitete Umfrageergebnisse" sind, sollte anderen besser keine Dummheit unterstellen.

  6. 50.

    Wegen der Gleichheit der Wahlbedingungen müssten eigentlich alle Umfragen während des Zeitraumes der Briefwahl verboten sein. Aktuell geben die Briefwähler ihre Stimme unter ungleichen Bedingungen ab. Sehr bedenklich!

  7. 49.

    "Vergangene Wahlen zeigen deutlich, wie in der heutigen Zeit reißerisch aufbereitete Umfrageergebnisse auch unmittelbare Auswirkungen auf das Wahlverhalten zeigen. Das sollte jeden echten Demokraten alarmieren!"

    Was bitte, sind "reißerisch aufbereitete Umfrageergebnisse"? Und ja, solche dummen Kommentare sollten jeden echten Demokraten alarmieren!

  8. 48.

    Nicht ohne Grund ist in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, Ungarn ist die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen ein bis zwei Wochen vor der Wahl untersagt.

  9. 47.

    Ja, Umfragen wenige Tage vor der Wahl sind sogar sehr manipulativ, da es erwiesen ist, dass Wähler sich
    eher Parteien anschließen, die in Umfragen erfolgreich sind.

  10. 46.

    Vergangene Wahlen zeigen deutlich, wie in der heutigen Zeit reißerisch aufbereitete Umfrageergebnisse auch unmittelbare Auswirkungen auf das Wahlverhalten zeigen. Das sollte jeden echten Demokraten alarmieren!

  11. 45.

    Ein Neuanfang? Sie meinen wohl eher eine Neuauflage von Senat Wowereit IV und Senat Müller I. d.h. Vetternwirtschaft, Affären und Umverteilung von arm nach reich. 8 Jahre Stillstand.

    Nee, danke.

  12. 44.

    Ich kenne viele, die sich von Umfragen beeinflussen lassen und schließlich dann doch eine der großen Parteien wählen, weil sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen darin abzeichnet. Und das, obwohl sie eine kleinere Partei präferieren würden.

  13. 43.

    "Dem Wahlsieger winkt nicht automatisch das Rote Rathaus."
    Tja das ist nun mal so, Bremen hat es gezeigt.
    Das Zünglein an der Waage könnte die SPD werden: entweder weiter im Chaos mit den grünen oder ein Neuanfang mit der CDU. Bin gespannt.

  14. 42.

    CDU auf Platz 1, SPD auf Platz 2, Grüne auf Platz 3, Linke auf Platz 4. Der Inhalt der Wundertüte ist damit erkennbar: Weiter so schlecht wie bisher mit RGR. Dabei macht Lederer als Clubbürgermeister eine gute Figur. Aber die Dame aus Augsburg ...

  15. 41.

    Wer afd wählt wählt 1945-2.0
    Wer cdu und fdp wählt wählt die Klimakatastrophe - das soll der neue "kick" sein.
    Wer linke wählt wählt DDR-3.0
    wer spd wählt wählt die Fahne im Wind.

  16. 40.

    Von welchen demokratischen Wahlen wird hier eigentlich diskutiert?
    Alle die hochgehandelten verschaukeln uns seit Jahren und die Bevölkerung hat nicht den Mut die einzig richtige Entscheidung zu treffen.
    Das wäre eine Partei zu wählen die so nicht an die Macht kommt und damit meine ich die Partei Alice Weidel.
    Eine kluge Frau und sie würde endlich eine Änderung bringen.
    Aber sie dürfen gewählt werden aber keiner will ein Büdnis mit Ihnen aber Demokratie uns erzählen. Heh also verstanden?

  17. 39.

    "Ich gehe wählen nur nicht die derzeitigen Parteien ." Wie wollen sie das anstellen, Kathi?

  18. 38.

    Man weiß schon garnicht mehr wen man wählen sollte!! Ewige Versprechungen mit anderen Worten Bla,bla, bla .Es sollte wirklich eine Partei geben die sich für unsere Jugend einsetzt, für das Gesundheitssystem und nicht zu vergessen für unsere Sicherheit man hat Jahrzehnte an den falschen Ecken gespart was uns jetzt auf die Füße fällt . Überall wird Geld reingesteckt nur nicht an den richtigen Stellen! Ich gehe wählen nur nicht die derzeitigen Parteien .

  19. 37.

    Schon klar. Aber um bei der CDU zu landen muss man schon sehr rechts und egoistisch denken. Auch wenn einige Fragen etwas seltsam sind, niemand sollte wählen ohne vorher den Wahlomaten getestet zu haben.

  20. 36.

    Gerade die Berliner wissen es, können sehr gut unterscheiden...
    Was eine echte "Wende" ist, was das bedeutet und auch was ein Alibi für Schulden zum "aufessen" ist.

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