Irritation beim Start der Arbeitsgruppen - Die Lobby und die Koalitionsverhandlungen

Mi 15.03.23 | 13:29 Uhr | Von Franziska Hoppen
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Archiv: Stefan Evers (CDU, l-r), Generalsekretär Berlin, Kai Wegner (CDU), Spitzenkandidat und Landesvorsitzender Berlin, Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und Raed Saleh (SPD), Landesvorsitzender Berlin. (Foto: dpa)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.03.2023 | Thorsten Gabriel | Bild: dpa

Den Fahrplan der künftigen Berliner Regierung verhandeln nicht nur gewählte Politiker, sondern auch Interessenvertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialverbänden. Ist der Vorwurf der Einflussnahme gerechtfertigt? Von Franziska Hoppen

Unruhig sind die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD gestartet. Tanja Böhm sollte für die CDU die Fachgruppe für Digitalisierung voranbringen - und strich kurzfristig die Segel. Die Leiterin von Microsoft Berlin wollte dem Verdacht eines Interessenkonflikts vorbeugen. Und hat damit eine Debatte über zu viel Einfluss von Lobbyisten in Koalitionsverhandlungen ausgelöst.

Die CDU kann die Aufregung nicht verstehen: Durch die Wiederholungswahl ist die Regierungszeit auf nur dreieinhalb Jahre verkürzt. Die politischen Aufgaben sind dennoch riesig: Bauen, Verkehr, Verwaltungsreform. Da helfe es, wie man auf Nachfrage in Parteikreisen hört, Experten mit an Bord zu holen.

Hauptberuflich: Lobbyistin

In der Verkehrs-AG zum Beispiel soll Alexander Kaczmarek die Expertise liefern, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG für die Region. Dass die Deutsche Bahn an Ausschreibungen von Teilen des S-Bahn Rings beteiligt ist, findet Kaczmarek unproblematisch. Auf Nachfrage des rbb teilt er mit, mögliche Interessenkonflikte geprüft zu haben und an keinen Diskussionen teilzunehmen, die seine Geschäftsinteressen betreffen.

Auch die Personalie Delia Strunz fällt auf. Sie ist nicht nur CDU-Mitglied und im Landesfachausschuss Gesundheit und Pflege. Sie ist auch "Director Government Affairs and Policy" beim Pharma-Riesen Johnson und Johnson. Zu Deutsch: Strunz ist hauptberuflich Lobbyistin. So wie sie sitzen viele in den 13 Arbeitsgruppen, die aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden kommen - vor allem auf Seite der Christdemokraten, dort auch teilweise ohne Parteimitgliedschaft.

"Es fließen keine Positionen ein"

Die CDU betont, dass die Verhandlungs-AGs bewusst nach Kompetenz besetzt sind. "Alle berufenen Persönlichkeiten bringen ihr Fachwissen ausschließlich im Rahmen ihres bürgerschaftlichen Engagements mit", sagt CDU-Generalsekretär Stefan Evers. "Es fließen keinerlei Positionen von Verbänden, Einrichtungen oder Unternehmen in die Verhandlungen ein."

Experten mit an Bord zu holen ist auch "grundsätzlich wichtig und legitim", sagt Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin. Gerade in Berlin, einer Metropole und Bundeshauptstadt, die Brennglas für komplexe gesellschaftliche Probleme sei. Parteien zeigen sich damit offen für Fachkenntnisse, so Reuschenbach.

Riskant werde es aber, wenn in erster Linie Unternehmensangehörige beraten, die eigene Interessen verfolgen könnten. Es sei daher entscheidend, dass CDU und SPD nun nach außen glaubhaft machen, dass es wirklich nur um Beratung gehe. "Wenn das nicht aufrichtig und glaubhaft rüberkommt, verspielt man wertvolles Vertrauen, welches in Berlin ja ohnehin leider nur sehr gering vorhanden ist", so Reuschenbach. Für das neue schwarz-rote Bündnis hätten die Wählerinnen und Wähler keinen Vertrauensvorschuss übrig.

Auch der Verein Lobbycontrol sieht es kritisch, wenn Interessenvertreter bei Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen. Das Argument von Stefan Evers, Teilnehmer seien nur für ihr bürgerschaftliches Engagement ausgewählt worden, hält Timo Lange von Lobbycontrol für Augenwischerei. "Die Verbands- und Konzernvertreter wurden ja gerade auf Grund ihrer Positionen dort eingeladen. Nun zu behaupten, es würden keine Positionen ihrer Arbeitgeber einfließen, überzeugt nicht." Zwar gehört es dazu, dass Interessenvertreter in einer Demokratie Einfluss auf die Politik nehmen. Aber gerade Koalitionsverhandlungen seien sensibel, denn es werden die Grundsätze für die kommende Legislaturperiode gelegt. Aus Sicht von Lange sollten die Verhandlungen deshalb rein von den Fachpolitikern der Parteien geführt werden, die dafür einen klaren Auftrag von den Wählerinnen und Wählern haben.

"Es geht nicht um Lobbyarbeit"

Anders als bei der CDU sitzen bei der SPD ausschließlich Funktionsträger der Partei am Verhandlungstisch. Aber auch hier sind einige hauptberuflich keine Politiker. Zum Beispiel Kai Gudra-Mangold aus der Vorstandsabteilung der Krankenkasse Barmer, der zur AG Gesundheit gehört. Für die AG Forschung sind ein Kanzler und eine Vizepräsidentin von Universitäten mit dabei. Für die noch-Regierende Franziska Giffey eine Selbstverständlichkeit, dass sie mitverhandeln: “Wir haben alle ein gemeinsames Verständnis, dass es hier nicht um Lobbyarbeit geht”, betonte sie am Rande der Senatspressekonferenz am Dienstag. Es sei nicht verwerflich, durch Experten mehr Sachverstand hinzuziehen. Und nicht zuletzt werde die Dachgruppe alle Ergebnisse der Fachgruppen auf Ausgewogenheit überprüfen.

"Privilegierter Zugang"

Aus Sicht von Lobbycontrol besteht die Gefahr weniger darin, dass Interessenvertreter in den kommenden Wochen konkrete Vorteile etwa für die Pharmaindustrie oder die Deutsche Bahn in den Koalitionsvertrag hinein verhandeln. Vielmehr könnten sie grundsätzlich Einfluss auf Themen und Zugang zu Informationen haben, die im späteren Regierungsverlauf von Vorteil sein könnten. "Die Interessenvertreter können den Verhandlungsverlauf beeinflussen, verfügen über Insider-Kenntnisse und können nebenbei Kontakte mit der künftigen Regierung knüpfen", sagte Timo Lange. Denn das wiederum sei eine klare Bevorteilung von Einzelinteressen gegenüber allen anderen. Wobei auch gilt: Interessengruppen werden so oder so auf die neue Regierung wirken.

Aus SPD-Kreisen ist teilweise Verwunderung über die CDU-Auswahl der Experten zu hören, jedoch keine offene Kritik, zumal die Gespräche und das Kennenlernen gerade erst begonnen haben. Die SPD selbst setzt bei Vor- und Nachbereitung der Koalitionsverhandlungen auf Beratung durch Verbände.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.03.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

67 Kommentare

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  1. 67.

    Wer CDU wählt, bekommt soziale Kälte und Druck von Wirtschaftslobbyisten geliefert. Schön, dass das bereits bei den Koalitionsverhandlungen deutlich wird. Soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst. Die Microsoft-Frau mit CDU-Parteibuch ist nur die Spitze des Eisbergs. Und die SPD trägt das ganze auch noch mit. Die Genossen sind in drei Jahren dann komplett weg vom Fenster. Reine Steigbügelhalter für die CDU. Es ist nicht zuu glauben.

  2. 66.

    Ihre Vorwschläge klingen wirklich sehr vielversprechend. Vielleicht kann man die Deindustrialisierung welche die Pflanzenfarbenen betreiben und Fachkräftemangel/flucht so bekämpfen und damit unseren ausgeuferten Sozialstaat retten.

  3. 65.

    Viel Spaß, liebe CDU-Wähler/innen mit einem CDU-Bürgermeister, der populistische Themen im Wahlkampf bringt (Migrantenbashing, Angstdebatte), um dann wieder schön die eigentliche Agenda zu verfolgen: den Sozialstaat in die Hand von lobbyierenden Konzernvertretern zu legen. Ein Armutszeugnis für die CDU, wenn sie selbst nicht genug Digital- und Wirtschaftsexpertise in der Partei hat und Konzernvertreter für sich Koalitionsverhandlungen führen lässt. Bekommen wir jetzt einen Microsoft-Bürgermeister, eine Anton-App-Bildungssenatorin, einen Hertha-Sportsenator, eine Mercedes-Verkehrssenatorin und einen RWE-Nachhaltigkeistminister? Welch ein Ausverkauf und eine Schande für die Demokratie! Und die Giffey-SPD macht da fleißig mit, obwohl es ein besseres RGR-Bündnis geben würde. Bravo!

  4. 64.

    Wusste gar nicht, dass Microsoft, Vodafone etc. gesellschaftliche Interessen haben. Sie meinen wohl wirtschaftliche Interessen.

  5. 63.

    Wie gesagt, Politik ist die Kunst, gesellschaftliche Interessen durchzusetzen.

  6. 62.

    Na, der Bund der Steuerzahler ist höchstwahrscheinlich an vielen politischen Entscheidungen beteiligt.

  7. 61.

    Jetzt werden wieder Steuergelder verschenkt.
    Bürgermeisterin ,der Grünen.
    Für sonst kann man sie ,für nichts zu gebrauchen.

  8. 60.

    Jetzt wo sie es sagen. Microsoft, DB und co. brauchen wirklich mal wieder ein paar Geschenke vom Volk sonst sind die ja glatt dem Untergang geweiht. //Ironie off

    Wenn überhaupt, werden die armen Großunternehmen in Deutschland in ihrer Lobbyarbeit bevorzugt - wie hieß es noch neulich: das Verkehrsministerium trifft sich 50. mal mit einer großen Firma bevor es sich mit Umwelt- oder anderen Verkehrs-Verbänden trifft....

    Ich bitte auch den Anteil von Microsoft und co. an der deutschen Wirtschaftsleistung nicht überzubewerten. Gemessen an deren Umsätzen stellen die bei weiten nicht so viele Menschen ein, wie KMUs und Verwaltung.

  9. 59.

    Nach Gesellschaftlicher Teilhabe und Gerechtigkeit rufen immer gerne diejenigen, die selbst nicht ins Risiko gehen, die sich nicht Selbstständig gemacht haben, die auf den Staats vertrauen und Umverteilung. Ja, wir brauchen Umverteilung, Teilhabe und Umweltschutz, aber irgend jemand muss das auch erwirtschaften. Man kann Solidarität auch überreizen. Es wird nie für alles Bedürfnisse genug da sein, Umweltschutz, Klimaschutz, innere Sicherheit, Infrastruktur (von den Schulen bis zur Schiene). Deshalb wäre es ganz schön, wenn auch die Interessen derjenigen berücksichtigt werden, die den Karren ziehen. Wohin sollen Steuern und Sozialabgaben denn noch steigen?!

  10. 58.

    "Im Gegenteil" Dann erklären sie mal warum Microsoft für die Verwaltung und den Steuerzahler eine Segen ist?
    Bei diesen "Koalitionsverhandlungen" hat nur die CDU das Problem mit ihrem Lobbypersonal, die SPD braucht sowas nicht.
    „Lobbyisten“ sind keine Profis, sondern Interessenvertreter der jeweiligen Unternehmen. War ihnen das nicht klar?
    Und der "Ruf" ist "schlecht oder gar schädlich". Wenn sie natürlich freie Marktwirtschaft ablehnen, dann ist klar, dass sie das Verhalten der CDU gut finden.

  11. 57.

    Eine Ungerechtigkeit wird mit einer unbegründeten Unterstellung beantwortet. Bei den Koalitionsverhandlungen von Linken, Grünen und SPD war es nicht so. Man sieht ja auch jetzt, dass die SPD es nicht nötig hat, nur die CDU betreibt diese Schmuddelpolitik. Naiv ist nur ihre Ausrede.

  12. 56.

    Also, ich lobe die hier gezeigte Transparenz. Und bei anderen Koalitionsverhandlungen anderer Couleur waren auch immer entsprechende „Lobbyisten“ bzw. Profis dabei … Und die sind übrigens auch gar nicht so schlecht oder gar so schädlich, wie ihr Ruf ... Im Gegenteil.

  13. 55.

    Und jetzt überlegen 'wir' mal, wo der Unterschied zwischen Konzerninteressen und Vereinigungen liegen könnte, denen so "linksradikale" Dinge wie gesellschaftliche Teilhabe, Gerechtigkeit, Umwelt und - ja, jetzt müssen Reaktionäre ganz tapfer sein - Klima.
    Sie finden keinen?
    Nicht verwunderlich. Denn "Wertkonservative", bzw. Reaktionäre sind Teil des Problems, nicht der Lösung.
    Allen anderen dürfte der Unterschied aber klar sein.

  14. 54.

    Also ihrer Meinung nach haben die SPD Vertreter ein "abgebrochenes Studium" und keine "Ahnung und Fachwissen". Dann lieber Microsoft, J&J, VOdafone und die Deutsche Bahn. Warum eigentlich nicht Google? Bei Google ist alles kostenlos, Datenschutz ist bei Microsoft und Google sogut wie gleich.
    Wenn einer aus "Wohlfahrtsverbände" kommt, dann soll wo das Problem liegen? Hier geht es um Wirtschaftsunternehmen, die direkt am Koalitionvertragteilnehmen und ihren Einfluss darauf ausüben werden. Sie sollte den letzten Teil des Artikels nochmal lesen.

  15. 53.

    Ist hier wirklich jemand ernsthaft der Meinung, daß war bei den Koalitionsverhandlungen von Linken, Grünen und SPD anders? Ernsthaft? Wenn ja ,dann ist das sowas von naiv das es zum lachen ist.

  16. 52.

    Whataboutism. ein argument zum vernachlässigen. Es sei denn sie können dezidert aufzeigen wo in der vergangenheit linke und grüne partei-lose lobbyvertreter in die koalitionsverhandlung aufgenommen haben.

  17. 51.

    Was für eine einseitige Sichtweise. Bei den GRÜNEN, oder der LINKEN regt sich keiner auf, wenn Gewerkschaftsfunktionäre, oder jemand aus einem der Wohlfahrtsverbände bei solchen Runde dabeisitzt. Als Bundesaußenministerin Baerbock die Greenpeace-Aktivistin Morgan als Staatssekretärin ins Auswärtige Amt berufen hat, war die Aufregung ebenfalls überschaubar. Besser jemand hat Ahnung und Fachwissen als nur ein abgebrochenes Studium.

  18. 50.

    Es handelt sich hierbei um Experten in ihren Gebieten, die in den Arbeitsgruppen sind. Die Parteien sind offen, jeder kann sich engagieren.

  19. 49.

    Na hoffentlich scheiterts!

  20. 48.

    Leider haben die Kinder und die Alten keine Lobby. Die werden dann wieder leer ausgehen. Dass die CDU nicht weiß, wo sie das Geld für Schulsanierungen hernehmen soll, konnte man ja schon lesen...

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