Junge Erstwähler bei Berlin-Wahl - "Jetzt wird für das 'big picture' gewählt"

Fr 13.01.23 | 08:21 Uhr | Von Franziska Hoppen
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Eine junge Wählerin sitzt in der Wahlkabine (Symbolbild) (Quelle: imago images/photothek)
Bild: imago images/photothek

Bei der Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar dürfen viele Jugendliche erstmals ihre Stimme abgeben. Doch die Wahlbeteiligung ist bei jungen Menschen meist geringer als bei Älteren. Woran das liegt und was sich ändern müsste. Von Franziska Hoppen

So etwas ist eigentlich nicht erlaubt. Nicole Kleeb hat mal eben diverse Stimmzettel selbst ausgefüllt und mischt sie nun mit anderen, die gerade frisch aus einer aufgebrochenen Urne geflattert sind. "Wir machen mal etwas, das eigentlich illegal ist. Damit ihr was zu zählen habt."

Zum Glück sind die Stimmzettel nicht echt. Und das hier ist kein Wahllokal, sondern ein umfunktionierter Raum in der Landeszentrale für politische Bildung. Um Kleeb herum sitzen etwa 20 Jugendliche, gerade volljährig. Sie wollen am 12. Februar nicht nur zum allerersten Mal wählen - sie lassen sich gleich noch als Helfer für die Wahllokale ausbilden.

Erstwähler als Wahlhelfer

Kleeb ist ihre Trainerin beim eintägigen "Erstwahlprofis"-Workshop, einem gemeinsamen Projekt von der Bertelsmann-Stiftung und Haus Rissen [erstwahlprofis.berlin]. Morgens Theorie, Nachmittags Rollenspiel für den Ernstfall. Wer hier mitmacht, hat die Zusage von Landeswahlleiter Stephan Bröchler, bei der Wiederholungswahl oder spätestens dem Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral" im Wahllokal arbeiten zu können. Auch Erfrischungsgeld wird es geben am 12. Februar, sogar 240 Euro.

Und der Kurs hat noch ein Ziel: "Die Wahlbeteiligung junger Menschen liegt üblicherweise deutlich unter dem Durchschnitt", sagt Kleeb. "Mit diesem Projekt wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen sich für die Demokratie begeistern und Botschafter der Demokratie werden, ihre Peer Groups, Bekannten, Freunde und Familien mit begeistern, wählen zu gehen", erklärt Trainerin Kleeb.

Das ist irgendwie cool, direkt so einen Einfluss zu haben auf das Abgeordnetenhaus.

Gabor Gothe (18), Erstwähler

Niedrige Wahlbeteiligung bei Jugendlichen

Denn tun sie das nicht, entsteht eine Art demokratische Schieflage. Auch wenn es bei der AGH-Wahl 2021 eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung unter den Jüngeren gab [download.statistik-berlin-brandenburg.de]: Grob gesagt nimmt mit zunehmenden Alter die Wahlbeteiligung zu [bnp.de]. Zudem gibt es in Deutschland - auch in Berlin - immer mehr ältere Menschen. 2021 lebten in der Hauptstadt laut Statistischem Bundesamt fast 50.000 60-Jährige, aber nur rund 30.000 18-Jährige.

Werden alle Stimmen zusammengezählt, gehen die wenigen Stimmen der wenigen Jugendlichen in der Masse unter. Dabei sind - logisch betrachtet - gerade die Jugendlichen die Zukunft der Demokratie.

Bei den angehenden "Erstwahlprofis" ist die Motivation deshalb umso größer. "Ich freue mich, dass ich das erste Mal selbst auch aktiv Einfluss auf die Politik haben kann", sagt Ole Sturm, 18 Jahre alt. Und auch Gabor Gothe, ebenfalls 18, findet: "Das ist irgendwie cool, direkt so einen Einfluss zu haben auf das Abgeordnetenhaus."

Mit 16 Jahren konnte Gabor schon für seine Berliner Bezirksverordnetenversammlung wählen, jetzt wähle er für das "big picture", wie er sagt. Denn für die Wahl zum Abgeordnetenhaus oder zum Bundestag muss man volljährig sein.

Besonders wichtig, da scheinen sich im Kurs alle einig: die Klimapolitik. Gegen die Klimakrise werde momentan noch nicht genug getan. Aber auch Wohnungs- und Familienpolitik wollen die Jugendlichen in Berlin aufmischen. Dieses Mitbestimmen, für Selma Boudjeema ist es auch "ein ganz neuer Schritt ins Erwachsenenleben."

"Im Kern sollen Ältere angesprochen werden"

Doch so richtig direkt werden die Jugendlichen von den Berliner Parteien im aktuellen Wahlkampf nicht angesprochen. "Das ist eben eine riesige Herausforderung, gerade jetzt", sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Der Berliner Superwahltag im September 2021 hatte die Wahlkampfkassen leergespült.

Zwar konnten die größeren Parteien in den vergangenen Monaten noch Geld organisieren, doch damit muss nun streng gehaushaltet werden. Für die Erstwählenden fällt die Kosten-Nutzen-Analyse schlecht aus, sagt Faas. Zusätzliche, professionelle Werbung auf Tiktok, Instagram und Facebook zu schalten, obwohl junge Menschen deutlich weniger wählen als alte, belaste die Kasse. "Die Gruppe der jungen Menschen ist vergleichsweise klein", sagt Faas, "die Wahlfreude ist nicht immens groß. Das erklärt, warum häufig in Wahlkämpfen zwar jugendliche Ansprache versucht wird, es im Kern aber darum geht, ältere Menschen anzusprechen, von denen es viel mehr Wahlberechtigte gibt."

Die Gruppe der jungen Menschen ist vergleichsweise klein. Die Wahlfreude ist nicht immens groß.

Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin

Dabei müsste die Politik gerade um die Jugendlichen buhlen. Denn machten ihre Eltern noch ihr Leben lang ihr Kreuz bei der einen Volkspartei, haben die Jungen heute kein Problem, flexibel auf einem Parteien-Spektrum hin und her zu springen. Wobei das ein Trend ist, den Faas zunehmend insgesamt beobachtet.

Die Zahlen zeigen auch: Wissen und das Interesse mitzuwählen ist bei Jugendlichen durchaus vorhanden. "Sie brauchen dann vielleicht ein bisschen mehr Anlass, um zur Wahl zu gehen", sagt Faas. Das Elternhaus spiele zum Beispiel eine wichtige Rolle. Ist es für die Eltern normal, wählen zu gehen, kämen die Kinder auch eher mit. Insgesamt aber ist Faas wichtig zu betonen: Erstwähler sind keine homogene Gruppe. Dafür seien die Jugendlichen dann doch zu vielfältig und vielseitig - und wählten auch mal ganz anders als links-grün. Bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus übrigens am dritthäufigsten die FDP.

Es besser machen

Die Wiederholungswahl am 12. Februar wollen die "Erstwahlprofis" definitiv besser machen. "Weil jetzt auch die ganze Republik auf diese Wahl schaut, bemühen sich die Berliner abzuliefern - und nicht nochmal als Hauptstadt blöd dazustehen", prognostiziert Gabor. "Ich denke, da wir jetzt die sehr gut ausgebildeten Wahlhelfer sind, wird es diesmal gut laufen", fügt Selma hinzu und grinst.

Sendung: rbb24 Abendschau, 13.01.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

38 Kommentare

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  1. 38.

    "big picture"

    was ist da schief gelaufen ?

  2. 37.

    Also in Anbetracht des Alters des Präsidenten der USA, wüßte ich nicht so richtig, wo ich ein Höchstwahlalter so allgemein legen sollte und mit wie man das sauber gesetzlich dann begründen sollte. Was war denn Ihre Vorstellung zur Altersgrenze?

  3. 36.

    Wir brauchen einfach ein Höchstwahlalter. Wer an der Zukunft des Landes nicht mehr beteiligt ist, weil zu alt, sollte auch nicht mitbestimmen dürfen wo die Reise hin geht.

  4. 35.

    Warum sollen junge Leute, die zwangsläufig die Zukunft dieses Landes (und nicht nur Dieses) sind, nicht über ihre Zukunft mitbestimmen können?
    Kann mir das mal ein "Contra" erklären?
    Ich meine, die Zeiten ala "Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst..." sind vorbei - glücklicherweise.

  5. 34.

    Das sind alle Anforderungen/Voraussetzungen im Berliner Wahlgesetz zur Abgrenzung und Zulässigkeit?

  6. 33.

    Zitat: "Gerade den vergangenen, jetzt älteren Generationen ist es zu verdanken, dass es überhaupt ein Gespür für Umwelt- und damit Klimaschutz gibt."

    Sie argumentieren ja richtig, dass das damals vorrangig eher junge und auch ältere "woke" Wähler waren, die andere Prioritäten setzen wollten. Nun aber meinen Sie, heutige junge Wähler sollten nicht ihren unkalkulierbaren Impulsen folgen, sondern den älteren und viel politikerfahreneren Wählern den Vortritt lassen. Das scheint mir doch etwas widersprüchlich, Steffen.

  7. 32.

    "Wenn die Wahlhelfer lernen sollen, wie man Stimme auszählt, dann müssen doch ausgefüllte Wahlzettel zum zählen da sein. Da grade keine Wahl ist, müssen sie - was normalerweise illegal ist - von einer Person vorausgefüllt werden." Das wird auch so gemacht, die "Übungswahlscheine" werden eindeutig gekennzeichnet und sind somit für nichts anderes als zum Üben brauchbar.

  8. 31.

    Wie kann es denn eine Neuwahl im Sinne seiner eigentlichen Bedeutung sein, wenn diese Wahl an bestimmte Randbedingungen gemäß Urteil des VerfGH Berlin geknüpft ist?

  9. 30.

    Eine Wiederholungswahl grenzt sich dadurch von der Neuwahl ab, dass sie die Legislaturperiode nicht beeinflusst. Sie ist eine Korrekturwahl. Bei einer Neuwahl würde sich das korrekt gewählte Parlament selbst auflösen.

  10. 29.

    Was ist dann an meiner Aussage angeblich falsch? Eine Technologie, die nicht in der Praxis zur Verfügung steht, ist nicht vorhanden. Und selbst die theoretischen Lösungen, die derzeit heiß gehandelt werden, reichen im notwendigen Umfang nicht einmal ansatzweise aus, um Flauten über mehrere Tage und Wochen (durchaus im Bereich des Vorkommenden) zu überbrücken. Die Wasserstoffwirtschaft ist zwar ein sehr guter und wichtiger Anfang, es gibt aber keine geeigneten Großspeicher, die die nötigen Mengen langfristig halten können, weil die Verluste schlicht zu hoch sind. Selbst wenn es die gäbe, fehlt es an den gigantischen Überkapazitäten aus Ökostrom, um diese Speicher erst mal zu füllen. Wir haben aktuell nur kurzfristige Lösungen, nicht die langfristigen und für die Lösungen, die langfristig funktionieren (e-Fulls z.B.) mangelt es an Stromüberschüssen, um diese zu generieren.

  11. 28.

    Sie haben recht: Nachdem, was die Alten alles verbaselt haben, sind die Lebensbedingungen im heutigen Deutschland absolut unerträglich. Deshalb möchte auch kaum jemand hierherkommen. Und die Insassen der Bundesrepublik fliehen in Scharen. Das Leben ist zu einem täglichen Kampf ums Überleben geworden. Die Bevölkerungszahl schrumpft rapide.

  12. 27.

    Rechtlich gesehen beharrt aber Berlin nach eigenen Angaben darauf, das es sich nicht um eine Neuwahl, sondern um eine Wiederholungswahl handelt.

  13. 26.

    "Man hatte aber noch gar nicht die technischen Möglichkeiten für eine tiefgreifende Dekarbonisierung. Wir haben sie ja heute noch nicht mal."

    Das ist schlichtweg falsch. Technologien existieren genug, nur sind diese noch nicht rentabel umsetzbar. Noch nicht!

    Zum Beispiel lassen sich durch Pyrolyse aus Kunstoffen, Altreifen ect. diverse Prozessgase wie H2, Elektrizität und Wärmeenergie herstellen. Diese Technologie existiert bereits seit vielen, vielen Jahrzehnten. Lohnt sich aber nicht, wenn das Barrel Rohöl 80$ kostet...

  14. 25.

    Nö, der Denkansatz ist völlig falsch. Es ist zwar eine Wiederholungswahl, richtig. Trotzdem treten im Februar auch Erstwähler an. Die werden ja nicht von der Wiederholungswahl im Februar mit der Begründung ausgeschlossen, dass sie bei der Erstwahl im September '22 noch nicht volljährig waren.

  15. 24.

    Wenn dem so ist, kann man eigentlich später als 6 Monate nach einer Wahl keine wirkliche Wiederholung machen und muß streng genommen immer eine komplette Neuwahl durchführen. Sind denn im Berliner Wahlgesetz die Begriffe Neuwahl und Wiederholungswahl sauber definiert und strikt abgegrenzt?

  16. 23.

    Wiederaufbau der Wirtschaft und des Staates nach dem Krieg und das mit sehr wenig Schulden bis Brandt?

  17. 22.

    Es dürfte so meine 8-9 Wahl sein. Ich kann mich nicht erinnern, jemals „das selbe“ gewählt zu haben. Jedesmal mache ich mir umfangreiche Gedanken zur Wahl, dem Status, der Zukunft und dem Gemeinwohl. Niemals habe ich bei einer Wahl nur an mich oder meine Situation gedacht. Dies wäre auch kein demokratisch-reifes Wahlverhalten, in meinen Augen.

  18. 21.

    Weil es eine Wiederholung und keine Neuwahl ist?

  19. 20.

    Weil es ausdrücklich eine Wiederholungswahl ist? Und weil nach der Wahl neu nach Berlin zugezogene auch wählen dürfen!

  20. 19.

    Gerade den vergangenen, jetzt älteren Generationen ist es zu verdanken, dass es überhaupt ein Gespür für Umwelt- und damit Klimaschutz gibt. Die Umwelt war noch nie so sauber wie es heute ist und noch nie wurde in der Vergangenheit derart auf ressourcenschonende Produktion geachtet, wie es heute der Fall ist. In der Anfangszeit der Industrialisierung bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein bestand die allgemeine Auffassung, Ressourcen wären unendlich verfügbar und materieller Wohlstand ginge über Gesundheit. Seit den 70er Jahren, besonders ab den 80ern, hat sich dies maßgeblich gewandelt. Man hatte aber noch gar nicht die technischen Möglichkeiten für eine tiefgreifende Dekarbonisierung. Wir haben sie ja heute noch nicht mal. Diesen Generationen Versagen vorzuwerfen, ist ignorant, frech und arrogant, zumal genau diese Generationen oft sogar CO2-sparsamer lebt, als ihre hochnäsige Nachkommenschaft.

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