Kommentar | Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot - Verschwurbelte Nullaussagen

Mo 29.11.21 | 21:14 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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Symbolbild: Franziska Giffey (r), Landesvorsitzende der Berliner SPD, Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und Klaus Lederer (Die Linke), Berlins Kultursenator, geben ein gemeinsames Pressestatement nach den Sondierungsgesprächen. (Quelle: dpa/M. Skolimowska)
Bild: dpa/M. Skolimowska

Nichts weniger als die "Zukunftshauptstadt Berlin" wollen SPD, Grüne und Linke erschaffen. Man hätte kaum eine hohlere - aber auch keine passendere Worthülse für diesen 152-Seiten-Koalitionsvertrag finden können, kommentiertThorsten Gabriel.

Auf den Gehalt von politischen Slogans soll man bekanntlich nicht allzu viel geben. Das gilt für Wahlplakate genauso wie für alle anderen politischen Publikationen. Aber musste der Titel des nun vorgestellten Koalitionspapiers von Rot-Grün-Rot denn nun wirklich so dünn sein: "Zukunftshauptstadt Berlin"? - Ach, du liebe Zeit!

Dass es auch anders geht, hat doch gerade erst das Ampel-Bündnis im Bund gezeigt. Dessen Koalitionsvereinbarung ist nicht nur über weite Strecken in verständlichem Deutsch gehalten, sondern trägt auch noch den wohlüberlegten, geschichtsbewussten Titel "Mehr Fortschritt wagen". Geht doch.

Und Berlin dagegen mal wieder: "Zukunftshauptstadt".

Natürlich geht’s in einem Koalitionsvertrag um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit, und natürlich ist Berlin Hauptstadt. Was für ein leeres Wortgebimmel. Andererseits: In gewisser Weise ist dieser Titel auch passend, denn die 152 Seiten, die SPD, Grüne und Linke da zusammengeschrieben haben, sind an vielen Stellen ein Sammelsurium an verschwurbelten Nullaussagen. Insofern gilt: Drin ist, was draufsteht.

Jetzt wird es "noch besser"

Doch was sollen Parteien auch schreiben, die schon fünf Jahre zusammen regiert haben und genau wissen, dass vieles nicht rund gelaufen ist? Die SPD ist sogar schon mehr als 30 Jahre an der Macht und das macht die Sache nicht einfacher. Da klang es fast schon wie Satire, als SPD-Fraktionschef Raed Saleh bei der Vertragsvorstellung sagte, jetzt wolle man es gemeinsam "noch besser" machen.

Konsequenterweise wimmelt es im Koalitionsvertrag dann auch von Projekten, die "weiterentwickelt", "verbessert" oder "ausgebaut" werden sollen. Und wenn das nicht infrage kam, entschieden sich die Autor:innen für "prüfen" oder "evaluieren". Lustig bis absurd ist zum Beispiel auch, dass sich die neue Regierung in den ersten 100 Tagen konkrete Berichte über alle größeren, laufenden Wohnungsbauprojekte vorlegen lassen will. Na, habt ihr etwa den Überblick verloren?

Erschöpft, aber nicht glücklich

Natürlich ist so ein Werk immer ein Kompromiss. Und Kompromisse sollte man nicht grundsätzlich schlechtreden. Sie gehören zum Wesen einer Demokratie. Insofern ist es gut, wenn künftige Regierungspartner:innen intensiv miteinander ringen. Das Problem dabei ist nur: Gerungen haben SPD, Grüne und Linke vorrangig nicht um die besten Lösungen für die Stadt. Bei ihrem Ringen ging es über weite Strecken vor allem um Gesichtswahrung, darum, wer wo als Sieger oder Verlierer vom Platz geht. Entsprechend erschöpft sahen alle Beteiligten am Ende aus. Erschöpft, aber nicht glücklich.

Aber auch wenn sich dieser Koalitionsvertrag über weite Strecken wie ein uninspiriertes Weiter-so-nur-vielleicht-ein-bisschen-anders liest, könnte diese Koalition am Ende doch erfolgreicher dastehen als ihre noch amtierende Vorgängerausgabe, denn vieles, was R2G in den vergangenen Jahren angeschoben hat, wird jetzt erst Früchte tragen. Die Schulbauoffensive etwa hatte eine lange Anlaufphase. Verkehrsprojekte wie der Tramausbau sind angeschoben, stockten aber an vielen Stellen. Die in der vergangenen Legislatur bestellten und dringend benötigen neuen U-Bahn-Züge werden erst in dieser neuen Wahlperiode geliefert.

Formelkompromisse, Prüfaufträge und wenig Konkretes

Die entscheidende Frage wird allerdings sein, ob das Bündnis wirklich gelernt hat, dass das ständige Streiten auf offener Bühne nicht nur nicht hilfreich ist, sondern auch Schaden anrichtet, weil man damit das Vertrauen der Wähler:innen verspielt. Bei den Koalitionsverhandlungen haben sie es schon mal etwas besser hinbekommen als in den vergangenen fünf Jahren. Das lässt hoffen.

Gedämpft wird diese Hoffnung allerdings durch die zahlreichen Formelkompromisse und Prüfaufträge im Vertrag, die noch auf Konkretisierung harren. Fast 90 Mal heißt es im Text, man wolle etwas prüfen: den Umgang mit dem Enteigungs-Volksentscheid, den Ausbau des U-Bahn-Netzes oder auch den Umbau des Verfassungsschutzes.

Es mangelt nicht an Bewährungsproben für Rot-Grün-Rot. Vor allem die künftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey muss nun zeigen, dass sie ein Dreierbündnis besser moderieren kann als dies ihrem Amtsvorgänger Michael Müller gelungen ist.

Beitrag von Thorsten Gabriel

38 Kommentare

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  1. 38.

    Spricht jetzt nicht gerade für den Kommentator,wenn er den Titel "Mehr Fortschritt wagen" wesentlich besser findet. Soll es etwa mehr "Rückschritt" sein?

    "..,denn vieles, was R2G in den vergangenen Jahren angeschoben hat, wird jetzt erst Früchte tragen."
    Das sollte nochmal hervorgehoben werden,denn langfristige Auswirkungen werden oft viel zu wenig berücksichtigt.

  2. 37.

    "Die Stillegung Der Straßenbahn in Westberlin ging ganz schnell, warum dauert der Wiederaufbau so lange?"

    weil Abreißen schneller geht als Aufbauen, u.a. weil ersteres keine Bürgerbeteiligung braucht.

  3. 36.

    Im Onlineduden ist das Wort zu finden. Wenn Sie noch ein älteres gedrucktes Exemplar nutzen, ist es ggf. nicht auf dem aktuellen Stand.

  4. 33.

    Immer wieder das selbe Thema...
    Echt schade um meine Stimme!

  5. 32.

    Es muss ja auch Zukunftshauptdorf Berlin heißen, schön mit Feldern, Wiesen, Kühen und Schweinen, der Bauer schwingt die Sense und fährt die Ernte mit dem Pferdefuhrwerk nach Hause...schön.

  6. 31.

    Ich kann mich über diese Truppe immer amüsieren. Giffey, die von den Grünen und der von den Linken...Womit hat Berlin das eigentlich verdient? Aber wie gesagt, die Wahl war hier sowieso nicht ganz koscher.

  7. 30.

    Na, verschwurbelt ist verschwurbelt. Das Wort spricht für sich und muss nicht im Duden stehen.

  8. 29.

    Was bitte ist "Verschwurbelt" ? Ich finde dieses Wort nicht im Duden.

  9. 28.

    "Die Grünen sind mit den Zugezogenen hergekommen." Stimmt, vorher hießen (bzw. heißen sie noch) AL.

    Eine sehr steile These, die sie da abliefern. Es wäre mir neu, dass Grünen Wähler nach Herkunft befragt wurden. Als waschechter "Urberliner" könnte ich konkreter antworten aber das ist mit den Kommentarregeln leider nicht vereinbar.

  10. 27.

    Es ist ja noch gar nicht festgestellt ob der Srnat wirklich in dieser Zudammensetzung gewählt wurde oder mehr auf die weißrussische Art.
    Dann gab es Wahlversprechen wie viel U Bahn. Dabei wußte jeder, daß die erst geplant werden müssen. Wenn eine Straßenbahnplanung über eine Wahlperiode hinausgeht, wann sollen dann Die U Bahnen die Verkehrswende einleiten. Noch vor 2100?
    Die Stillegung Der Straßenbahn in Westberlin ging ganz schnell, warum dauert der Wiederaufbau so lange?

  11. 26.

    Ein inhaltsarmer Koalitionsvertrag ergibt kein inhaltsreichen Kommentar.

  12. 25.

    "Eine offenbar vollverblödete berliner Bevölkerung wählt erneut genau den Senat wieder"

    Also ich muss zu den besonders vollverblödesten Verblödeten dieser Berlin Bevölkerung gehören. Ich habe auf den "unzähligen" Wahlzetteln nicht mal die Möglichkeit gefunden, den Senat bzw. eine Koalition zu wählen. Konnte nur jeweils einzelne Politiker und Parteien wählen.

  13. 24.

    Die Linken und die SPD wurden schon immer in Berlin gewählt.
    Die Grünen sind mit den Zugezogenen hergekommen. Dazu gibt es eine schöne Übersicht vom rbb wie sich das Wahlverhalten im Laufe der Jahre verändert hat.

  14. 23.

    "Eine offenbar vollverblödete berliner Bevölkerung "

    scheint eine neue Unsitte zu sein, andersdenkende pauschal als verblödet zu bezeichnen. Das ist nun wirklich ein seltsames Demokratieverständnis. Man könnte sich stattdessen ja auch inhaltlich äußern- aber das macht ja Mühe und man müsste seine eigenen Ansichten ja erstmal selber reflektieren.

    Zum Kommentar: ich finde den genauso "dünn", vorhersehbar und inhaltsarm wie den besprochenen Koalitionsvertrag.

  15. 22.

    Erstmal danke für diesen guten Artikel. Für mich ist dieser Senat nicht demokratisch gewählt weil es am 26 September zu Wahlbetrug kam und dieser bis heute nicht aufgeklärt ist.

  16. 21.

    Der Kommentar ist vom Titel bis zum Inhalt voll zutreffend, und darüberhinaus ist der Stil des Kommentators herausragend.
    Danke, dass es trotzdem zum lachen verführte.

  17. 20.

    Das sagt alles,
    "Künftige Regierungspartner: innen intensiv miteinander ringen"...

  18. 19.

    Warum habe ich auf diese plumpe Ausrede gewartet? Erzählen sie es mir! Sorry, sie sind ein Schaumschläger und nicht ernst zu nehmen.

    Für den Anfang würde ein Beispiel reichen, nur zu.

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