Koalitionsverhandlungen zu Bauen und Wohnen - Einig, dass sie nicht einig sind

Fr 19.11.21 | 06:19 Uhr | Von Boris Hermel
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Bauarbeiten sind im Quartier Heidestraße in Mitte in der Nähe des Hauptbahnhofs im Gang (Bild: dpa/Jens Kalaene)
Bild: dpa/Jens Kalaene

Wie will Rot-Grün-Rot die Mietenexplosion in Berlin stoppen, wieviel Neubau ist nötig? Am Freitag wird das Thema Bauen und Wohnen in der großen Verhandlungsgruppe der künftigen Koalitionspartner aufgerufen. Bisher herrscht mehr Dissens als Konsens. Von Boris Hermel

Zitieren lassen will sich niemand aus der Fachgruppe, die seit fast vier Wochen über Mieter:innenschutz und Neubaunotwendigkeiten brütet. Und doch wird geredet – hinter vorgehaltener Hand.

Die erste Unstimmigkeit zwischen SPD, Grünen Linken besteht schon in der Analyse des Wohnungsbedarfs. Die SPD, die das Thema Wohnen nach den Worten ihrer designierten Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey zur "Chefinnensache" machen will, hat die Zielzahl bewusst hoch gesetzt: Mindestens 200.000 neue Wohnungen bis 2030 sollen "konkret mit Stadtquartieren und Wohnungsbaupotentialen untersetzt werden", heißt es im gemeinsam beschlossenen Sondierungspapier. Für die Sozialdemokraten bedeutet das: 20.000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr, gerechnet ab 2021.

Neubaubedarf umstritten

Die SPD-Rechnung liegt viel höher als der Bedarf, der im gültigen Stadtentwicklungsplan Wohnen festgeschrieben ist. Auf den verweisen die Linken. Danach sind bis 2030 nur insgesamt 137.000 zusätzliche Wohnungen nötig. Darin miteingerechnet: die 16.000 Wohnungen, die in diesem Jahr noch fertiggestellt werden sollen. Schraube man die Zielzahl, wie die SPD es will, jetzt deutlich nach oben, würden unter anderem bis zu zwei Dutzend zusätzliche neue Schulen benötigt, argumentieren die Linken. Es sei schleierhaft, woher das Geld dafür kommen solle. Unterstützung bekommen die Linken bei ihrer niedrigeren Bedarfsrechnung auch vom Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND.

Angesichts der stark auseinanderklaffenden Analyse haben die Verhandler:innen in der Fachgruppe sehr unterschiedliche Akzente gesetzt: Die Sozialdemokraten, so ist zu hören, wollen sich mit den 16 bereits geplanten neuen Stadtquartieren von den Buckower Feldern bis zum Schumacher-Quartier auf dem ehemaligen Flughafen Tegel nicht zufriedengeben.

SPD drängt auf Elisabethaue

Die SPD drängt auf weitere Flächen für Wohnungsneubau, vor allem auf die Elisabethaue im Norden von Pankow. Das 70 Hektar große Gebiet westlich von Französisch-Buchholz war schon bei den letzten Koalitionsverhandlungen 2016 Herzensangelegenheit der Sozialdemokraten, schaffte es aber wegen des kategorischen Widerstands von Linken und Grünen nicht in den Koalitionsvertrag. Nach dem Willen der SPD soll es jetzt als neues Stadtquartier wieder auferstehen, 5.000 Wohnungen könnten hier gebaut werden.

Linke und Grüne aber stemmen sich dem Vernehmen nach weiter dagegen. Ebenso gegen den SPD-Wunsch, die Debatte um eine Randbebauung des Tempelhofer Felds wieder aufzunehmen. In einem Volksentscheid im Mai 2014 hatte eine Mehrheit der Berliner:innen klar gegen jede Art der Bebauung des früheren Flugfeldes gestimmt.

Bauen, Bauen, Bauen contra Klimaschutz

Weil die SPD beim Neubau vor allem auf beschleunigte Genehmigungsprozesse und insgesamt mehr Tempo drängt, befürchten vor allem die Grünen, dass dabei der Fokus auf emissionsarmen und ökologischen Umbau auf der Strecke bleibt. Statt auf Beton setzen sie auf Neubauten mit begrünten Dächern und Fassaden, auf Holzbauweise.

Dass die SPD solche ökologischen Kriterien eher als Hindernis für schnelles Bauen versteht, hatte sie bereits am Ende der letzten Wahlperiode deutlich gemacht. Da kippten die Sozialdemokraten nach Kritik aus der Immobilienwirtschaft auf den letzten Metern die längst vereinbarte Novelle der Landesbauordnung, die die Begrünung von Dächern und die Pflicht, Neubauten aus recycelbarem Material zu errichten, festschreiben sollte.

Wie die Grünen schlagen auch die Linken eine regionale Bauhütte unter öffentlicher Regie vor, die selbst Fertigteile beispielsweise aus Holz für Neubauten produzieren soll. So könnten sich die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften unabhängig machen von den teuren und oft wenig nachhaltigen Modulen privater Anbieter. Nach anfänglicher Skepsis kann sich inzwischen wohl auch die SPD mit diesem Projekt anfreunden.

Konflikt um Enteignungen auf der langen Bank

In die Zukunft verschoben haben die Verhandler:innen dagegen den Umgang mit dem erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen". Hier will Rot-Grün-Rot eine Expertengruppe einsetzen, die ein Jahr lang prüfen soll, ob und wie man die Vergesellschaftung privater Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen umsetzen kann. Die SPD unter ihrer designierten Senatschefin Giffey hält davon bekanntermaßen wenig, die Linke dagegen hat das Volksbegehren aktiv unterstützt.

Je länger die Frage nach dem Umgang mit dem Volksentscheid schwelt, desto schwieriger könnte ein weiteres Ziel werden, auf das sich SPD, Grüne und Linke schon in den Sondierungsverhandlungen geeinigt hatten: Sie wollen ein Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen gründen, das auch die privaten Wohnungsunternehmen einbezieht. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU hat schon vor Wochen darauf verwiesen, dass sich die privaten Konzerne kaum ernsthaft in einem solchen Bündnis engagieren würden, wenn das Damoklesschwert der Enteignungen weiter über ihnen schwebt.

Einigkeit beim Vorkauf

Bei einem Thema aber herrscht dann doch Einigkeit zwischen SPD, Grünen und Linken. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das das kommunale Vorkaufsrecht für Wohnungen fast gänzlich gekippt hatte, erwarten alle drei Parteien eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Die Ampelkoalitionäre um Olaf Scholz müssten gewährleisten, dass der Vorkauf von Wohnungen durch die Bezirke wieder möglich werde, wenn sonst die Verdrängung von Mieter:innen drohe.

Beitrag von Boris Hermel

15 Kommentare

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  1. 15.

    Was ist jetzt mit den Unstimmigkeiten bei den Wahlen?

  2. 14.

    Gut erklärt.
    "Ein Milieuschutz nach Berliner Art, dass der nicht dazu gehört, das hätte man vorher klären sollen." - Ne, brauch man nicht, dass weiß jeder. Es gibt echte Doktorarbeiten darüber, wie Milieu entsteht, sich entmischt und wie der Prozess wieder von vorne anfängt. Selbst Amerikaner haben dafür einen Nobelpreis "abgesahnt"...
    Das Thema eignet sich für den Wahlkampf, weil man da ... und weiter nichts schaffen muss...

  3. 13.

    Das Vorkaufsrecht von Grundstücken und Immobilien durch Städte und Gemeinden ist seit langen auf Bundesebene geregelt, und zwar durch §27a BauGB. Es ist nur erlaubt, wenn Wohl der Allgemeinheit es rechtfertigt.
    Ein Milieuschutz nach berliner Art, dass der nicht dazu gehört, das hätte man vorher klären sollen.

    Jetzt wird getan,als gäbe es für Vorkaufsrecht kein Bundesgesetz.

  4. 12.

    Beim vielen Bauen bitte auch nicht die Sanierung und den Ausbau von Bestandshäusern vergessen. Und die ÖPNV Anbindung für neue Quartiere.

  5. 11.

    Es ist illusorisch zu glauben, dass durch den bau neuer Wohnungen, der Wohnungsmarkt in Berlin stabilisiert werden könnte. Dafür müsste in kürzester Zeit eine Schwemme neuer Wohnungen auf den Markt gebracht werden, was nicht realisierbar ist. Das Flächenmanagement in Berlin ist desaströs, wir leisten uns den Luxus einer Aldifiliale samt Parkraum im S-Bahnring, statt dort Wohnraum zu schaffen. Und perspektivisch gesehen muss zwingend ökologisch gebaut werden ... denn da steht ja schon die nächste Herausforderung vor der Tür. Welche Richtung wollen wir hier gehen ...?

  6. 10.

    Und das wird doch wieder immer wieder nichts, danke an die Wähler!!!!

  7. 9.

    "Realität ist aber, es fehlt Wohnraum."

    Wohnraum. Gutes Stichwort. Pro Kopf steigt die Wohnfläche kontinuierlich, viele Single Haushalte, ältere Menschen bleiben in ihren zu großen Wohnungen ob der günstigen Altverträge. Wo sind hier die Konzepte.

    Und es fehlen vorallem bezahlbare Wohnung und die vor allem im um den S-Bahn-Ring herum. Da hilft es nicht, nur auf's Bauen (am Rande von Berlin) zu setzen. Denn die entscheidenden Fragen sind: wieviel Wohnungen müßten bis wann entstehen, um die Mietsteigerung zu drosseln? Und gibt es diesen Effekt auch?

  8. 8.

    Die richtige Linke sollte sich in Eigeninteresse ihrer Linie wirklich treu bleiben, anderenfalls droht ein Wählerschwund.

    Die unmittelbare Durchführung des Volksbegehren muss für die Linke zwingende Voraussetzung zum Eintritt in die Regierung sein.

    Die Linke wäre eben nur dann glaubwürdig und würde sich freiwillig in die Opposition zurückziehen - das wäre ehrliche Politik und der Linken förderlich.

    Anderenfalls bliebe nur das Streben/Festhalten an der Macht weniger Teile von der Linken um jeden Preis = das wären dann wohl egoistische Linke mit subjektiv starkem Verlangen nach Posten und Geld.

    Wer setzt sich durch ? Die Basis als „wirkliche“ Linke oder die der Macht/dem Kapital nahestehenden Parteifunktionäre?

  9. 7.

    Na offensichtlich wurde die Kernkompetenz des (Auf-, Zuteilens, Um-)Verteilens gewählt, was letztlich dazu führt: ein Sachbearbeiter teilt nach m2/Person zu und sorgt für "Durchmischung" nach Gutdünken? Willkommen in längst vergangenen Zeiten...und so wählen, dass Geschafft wird.

  10. 6.

    RRG steckt in einem Zwist, dass die Wohnungspolitik in Berlin nicht verbessern kann.

    Die Linken setzen rein auf Mieterschutz und wollen die Vermieter so hart wie möglich regulieren. Zudem sind sie pro Enteignung.
    Die Grünen setzen auf Klimaschutz, welches Bauen nicht erstrebenswert macht. Zudem sollen Vermieter ebenfalls mehr reguliert werden.
    SPD erzählt zwar was von bauen, bauen, bauen jedoch haben sie es die letzten 20 Jahre nicht geschafft und werden es mit den anderen beiden Koalitionspartnern erneut nicht schaffen. Zudem will man eigentlich auch gar nicht bauen.

    Somit bleibt dem Berliner wohl nur ein noch schlimmerer Wohnungsmarkt in 5 Jahren übrig.

  11. 5.

    Realität ist aber, es fehlt Wohnraum. Und es kommen neue Menschen in die Stadt. Was ist Ihre Lösung?

  12. 4.

    "Realitäten müssen auch von links akzeptiert werden."

    Und auch von der SPD. Nur mit Wohnungen bauen ist es nicht getan. Nicht nur, dass wie die Linke sagt der Bau von Schulen (und Kitas) bei solchen neuenStadtquartieren notwendig sind, da ist ja auch noch das Thema ÖPNV.

    Letztendlich wird das Mietenproblem nicht gelöst, wenn man stupide auf immer höhere Zahlen beim Neubau setzt. Da sind auch neuen Wege, wie sie Die Linke bestreiten, notwendig.

  13. 3.

    "Schraube man die Zielzahl, wie die SPD es will, jetzt deutlich nach oben, würden unter anderem bis zu zwei Dutzend zusätzliche neue Schulen benötigt, argumentieren die Linken."

    Das ist ja auch gut so! Oder hatte man die Absicht, die Zuzüge in den jeweilige Regionen mittels vorhandener Infrastruktur zu bedienen?!

  14. 2.

    Die Linke sollte sich einfach aus diesen Themen raushalten. Realitäten müssen auch von links akzeptiert werden. Vermutlich haben die Linken doch noch immer eine Art „Zuzugssperre“ im Hinterkopf. Bitte liebe SPD übernehmt die Ressorts.

  15. 1.

    Alle haben doch nach Wohnraum gerufen und rufen noch. Da muss man die Möglichkeit weitere Flächen zu bebauen. Auch sollte hier bauen beschleunigt und vereinfacht werden. Die SPD sollte hier ihrer Linie treu bleiben!

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