Analyse | AfD-Parteitage in Berlin - "Normal" - aber nicht regierungsfähig
Nach drei Parteitagen in Folge hat die Berliner AfD nun Spitzenkandidatin, Bundestagskandidaten und ein Wahlprogramm. Damit ist die Partei nach langen Grabenkämpfen handlungsfähig - aber ohne Regierungsoption. Von Agnes Sundermeyer
Sie hat die Lage im Griff - und ihre Partei offensichtlich auch. Klar wird das gleich am Anfang des ersten digitalen Parteitages der Berliner AfD. Landeschefin Kristin Brinker sitzt konzentriert und ruhig am ovalen Konferenztisch der Bundesgeschäftsstelle. Nach ein paar technischen Holperern läuft die Videokonferenz mit den etwa 130 Delegierten, die an ihrem PC zu Hause über das Wahlprogramm abstimmen.
Die erste inhaltliche Klippe hat Brinker gerade auch umschifft. Gleich zu Beginn beim Thema Familie gibt es eine heftige Grundsatzdiskussion. Ausgelöst durch einen mittlerweile bekannten Quertreiber: Der Reinickendorfer Ordnungsstadtrat Sebastian Maack, der den Ruf hat, der eigentliche starke Mann bei den Hardlinern der Partei zu sein, greift die Antragskommission scharf an – und damit auch den Landesvorstand um Kristin Brinker. Schon bei der Abstimmung über die Bundestagsliste am vergangenen Wochenende hatte Maack den Parteitag mit einer Kampfkandidatur gegen Beatrix von Storch auf Platz 1 aufgemischt.
Sein Vorwurf: Der Ursprungstext des Ausschusses für Familie sei zu sehr verändert worden. "Wie wollen wir es haben in Zukunft: Dass die Landesfachausschüsse das Programm machen oder eine Antragskommission des Landesvorstandes?" Der Vorsitzender der Antragskommission betont, man habe vor allem einen Vergleich der "Indoktrinierung" von Kindern mit dem "Dritten Reich" herausgenommen, "weil wir sowas einfach nicht wollen". Es schnellen digitale Handzeichen hoch, eine Grundsatzdiskussion entbrennt, die den Zeitrahmen zu sprengen droht. Kristin Brinker tritt bestimmt ans Rednerpult. Alle Vorschläge seien berücksichtigt worden. Es habe nur redaktionelle Glättungen gegeben. Diskussion beendet, der Parteitag kann weitergehen.
Von der Ein-Themen-Partei zum "Voll-Sortimenter"
Größere Streitpunkte gibt es danach nicht mehr. Diskussionen um "Inklusion" oder Videoüberwachung werden hitzig, aber nicht so ausufernd geführt, dass es das Ziel in Gefahr brächte. Am Ende des Abends verabschieden die Delegierten das Programm mit knapp 98 Prozent Zustimmung. Auf gerade mal gut 40 Seiten werden alle Politikfelder angesprochen, es geht längst nicht mehr nur um das Migrationsthema.
Die AfD, so freut sich der Vorsitzende der Antragskommission, Abgeordneter Martin Trefzer, sei nun endlich breiter aufgestellt: "Wir sind jetzt wirklich Voll-Sortimenter geworden, wir werden alle wesentlichen landespolitischen Themen mit diesem Programm abdecken, eben auch Wirtschaft, Finanzen, Bauen und Verkehr. Auch Bildung und Kultur. Es ist alles drin."
Alles drin – nur "normal" muss es sein
Profilieren will sich die AfD im Wahlkampf vor allem über die Themen Familie, Bildung und innere Sicherheit. Unter dem Motto "Berlin. Aber normal" steht das Wahlprogramm. Beim Thema Familie heißt das: Zurück zum klassischen Familienbild, Vater-Mutter-Kind. Mithilfe eines Landes-Erziehungsgehaltes sollen den Eltern drei Betreuungsjahre zu Hause bezahlt werden.
Auch Kita und Schulunterricht sollen wieder "normal" werden. Also keine sexuelle Früherziehung, keine "Indoktrinierung" bei Themen wie Klimaschutz oder Genderfragen. Bei der inneren Sicherheit setzt die AfD auf "harte Hand". Mehr Videoüberwachung, mehr Kompetenzen für die Polizei, schnellere Abschiebungen und ein härteres Vorgehen gegen Clan-Kriminalität sind die Forderungen.
Die Landesvorsitzende bringt noch ein anders Thema ins Spiel. Zum "normalen" Leben gehöre auch, "das Ausspielen von Radfahrern und Autofahrern untereinander" zu beenden. Zur Begründung spielt Brinker dann allerdings wieder die eine gegen die andere Seite aus: Nur Radfahrer würden "extrem protegiert", zu Lasten der Autofahrer. "Wir brauchen auch eine Gesamtplanung für den Lieferverkehr und mehr als ein paar aufgemalte rote Linien. So etwas finden wir schlecht und das hat mit Normalität nichts zu tun".
Landesvorsitzende Kristin Brinker hat geliefert
Dass im Wahlprogramm oft Details und Zahlen fehlen, vieles schlagwortartig bleibt - der Landesvorsitzenden kann es egal sein. Sie hat geliefert und ihren Landesverband durch einen Parteitags-Marathon geführt. Nach drei Parteitagen an drei Wochenenden hintereinander hat die Partei nun das Spitzenpersonal für die Wahlen und ein Programm, mit dem sie in den Wahlkampf gehen kann. Mit diesem Versprechen ist Kristin Brinker als Landesvorsitzende angetreten und hat damit die AfD nach langen Grabenkämpfen mit ihrem parteiinternen Rivalen Georg Pazderski wieder handlungsfähig gemacht. Der Burgfrieden mit dem amtierenden Fraktionschef Pazderski, der nun für den Bundestag kandidiert, sichert ihr vermutlich den Fraktionsvorsitz.
Teilweise weit weg von bürgerlicher Mitte
Handlungsfähig ist die AfD damit, regierungsfähig aber nicht. Denn es gibt keine Koalitionspartner, die mit der AfD regieren wollen. Die Partei, die die bürgerliche Mitte repräsentieren möchte, ist zudem ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Eine offizielle Bewertung steht noch aus und hängt wie ein Damokles-Schwert über der Partei. Kristin Brinker hat sich mit den Stimmen der Vertreter des offiziell aufgelösten, rechtsextremen "Flügels" wählen lassen, die auch der Verfassungsschutz im Blick hat. Statt einer Abgrenzung hat sie sie sogar in den Vorstand eingebunden. Einen Widerspruch zur "Bürgerlichkeit", die sich ihre Partei gern auf die Fahnen schreibt, sieht sie nicht. Auf den Listen für die Wahlen seien "ganz viele potenzielle Kandidaten, die das bürgerliche Gesicht leben und insofern sehe ich das ganz optimistisch, dass wir viele Wähler überzeugen."
"Ganz viele" bürgerliche Kandidaten - aber alle sind es eben nicht. Der Landesvorsitzenden scheint das jedoch zu reichen. Es ist wohl die größte Hürde auf dem Weg, regierungsfähig zu werden.
Sendung: Inforadio, 19.06.2021, 18:50 Uhr
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