Kommentar | Rot-grün-rote Koalitionsverhandlungen - Nach der Hürde ist vor der Hürde

Di 23.11.21 | 19:39 Uhr
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Franziska Giffey (l-r), Landesvorsitzende der SPD, Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen und Klaus Lederer, Spitzenkandidat der Partei Die Linke, geben ein Pressestatement nach einer weiteren Runde der rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen im Land Berlin. (Quelle: dpa/C. Koall)
Video: Abendschau | 23.11.2021 | D. Knieling/T. Schmutzler | Bild: dpa/C. Koall

Mit der Einigung zur Stadtentwicklungs-Politik sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Diese Verhandlungen werden nicht mehr scheitern, der Koalitionsvertrag wird zeitnah stehen. Aber danach wird’s unsicher, kommentiert Sabine Müller.

Natürlich ist es ein bisschen riskant, sich schon Tage vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen festzulegen, schließlich gilt doch "Nichts ist geeint, bevor nicht alles geeint ist". Aber: Wer so klar wie die Spitzen von SPD, Grünen und Linken signalisiert, dass sie diese Neuauflage wollen, der macht auch auf den letzten Metern nicht mehr schlapp. Zumal das, was jetzt noch kommt, vergleichsweise leicht wird, nachdem die drei Parteien die wohl größte Hürde genommen haben. Oder besser gesagt: umschifft haben.

Das Wörtchen "gegebenenfalls"

Der Umgang mit dem Enteignungs-Volksentscheid war der Punkt, an dem diese Verhandlungen am ehesten auseinanderzufallen drohten. Weil SPD-Chefin Franziska Giffey, die manche immer noch für eine Rot-Grün-Rot-Skeptikerin halten, so klar erklärt hatte, was sie von Zwangs-Vergesellschaftungen hält – nämlich nichts. Weil die Linken-Spitze so viel Druck von ihrer Basis hatte, in den Koalitionsvertrag zu schreiben, dass ein Gesetzentwurf zur Enteignung großer, privater Wohnungsfirmen zwingend vorgelegt werden muss.

Die Kompromisslinie sieht nun einen klaren Arbeitsauftrag an eine Expertenkommission vor. Sie soll innerhalb eines Jahres nicht nur klären, ob eine Zwangs-Vergesellschaftung verfassungsrechtlich sauber hinzukriegen ist, sondern sie soll auch konkrete Vorschläge zum wie machen.

Danach ist aber alles offen, denn Franziska Giffey betonte mehrfach, im Senat werde es nicht nur darum gehen, ob das Ganze verfassungskonform sei, sondern zum Beispiel auch um die Abwägung der finanziellen Folgen. Im Koalitionsvertrag wird stehen, dass der Senat "gegebenenfalls" Eckpunkte für ein Vergesellschaftungs-Gesetz vorlegt. "Gegebenenfalls" ist von "zwingend" ungefähr so weit entfernt wie der Modegeschmack von Franziska Giffey und Klaus Lederer.

Zittern vor dem Votum der Mitglieder

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Mitglieder der Linken laufen im Netz teilweise Sturm und fordern, der Koalitionsvertrag dürfe so auf keinen Fall durchgehen. Das müssen alle drei Parteien ernst nehmen, denn der Vertrag kann nur dann in Kraft treten, wenn ihn auch die Linke per Mitglieder-Entscheid absegnet. Als das rot-grün-rote Sondierungs-Papier bei der linken Basis für Ärger sorgte, konnten die Spitzenleute noch beruhigend erklären, man werde bei den Koalitionsverhandlungen nachschärfen. Dieses Argument wird ihnen jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen, es hat sich ausgeschärft. Klaus Lederer und Co. werden darauf setzen müssen, dass der Vertrag als Gesamtpaket so attraktiv ist, dass es letztlich für ein "Ja" reicht. Aber es werden zwei Wochen Zitterpartie bis kurz vor der geplanten Bürgermeisterinnen-Wahl vor Weihnachten.

Koalition auf Abruf?

Selbst wenn alles gut geht, selbst wenn alle drei Parteien zustimmen: Über der rot-grün-roten Koalition wird von Beginn an das Damokles-Schwert des Scheiterns hängen. Denn 2023 kommt die Frage des Volksentscheids auf Wiedervorlage, wenn die Expertenkommission ihre Vorschläge an den Senat weiterreicht. Schwer vorstellbar, dass die Linke den Bürger:innen-Willen dann nicht mehr umsetzen will oder die SPD bis dahin ihr Herz für Zwangs-Vergesellschaftungen entdeckt hat.

Also wird dann deutlich zu Tage treten, was natürlich auch jetzt allen klar ist: SPD, Grüne und Linken haben den Konflikt nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die linke Basis wird Klaus Lederer an seine Aussage auf dem Parteitag im Oktober erinnern, dass man dann im Zweifel rausgehen müsse aus der Koalition. Die rot-grün-rote Bruchstelle ist programmiert.

6 Kommentare

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  1. 6.

    "Die viermalige umbenannte sed wird den Koalitionvertrag zustimmen, so machtbesessen und verschlagen sie sind. Gerade dieser Lederer, ein Meister der Intrigen, wird die Zweifler "bekehren". "

    Wer 2021 noch von "umbenannte sed" schwafelt den kann man eh nicht ernst nehmen. Welche Intrigen soll den Lederer betrieben haben? Diese Aussage kann man also genau so ernst nehmen.

    Die Partei Die Linke ist ein Zusammenschluß von WASG und PDS, also wurde nicht umbenannt sondern eine neue Partei gegründet. Die WASG wurde wiederum von sPDlern gegründet die mit dem anhaltenden Rechtsruck unzufrieden waren.

  2. 5.

    Koalitionsverträge sind genauso wie Wahlprogramme schick klingende Papiere und gleichzeitig konsequenzenlos. Koalitionsverträge sind "Kompromisse" aus den Wahlprogrammen. Am Ende der Amtszeiten ist meistens nicht viel umgesetzt worden aus den Koalitionsverträgen. (Nur der Fluchhafen ist mit tiefroten Zahlen umsetzt worden).

  3. 4.

    Dieses ewig-anmutende Gelaber, Geschwafel, heute hier, morgen dort, immer aufs neue Tagen, Arbeitskreise bilden, wieder schwafeln nervt. Wo sind die Politiker mit Charakter, echtem Realitätsbezug, Rückgrat und dem Willen, Politik für alle Menschen und nicht die eigene Klientel zu machen? Wo sind sie? Wohl sehe ich viele Politakteure - aber ich erkenne keinen echten Sachbezug und Ergebniswillen.

  4. 3.

    Vielleicht passt da auch einiges gar nicht so zusammen. Vielleicht sollte Rot-Grün den Job lieber alleine machen und die anderen Abgeordneten müssten dann durch gute Arbeit bei den Abstimmungen überzeugt werden statt es alles so als Koalitionäre mit Partnern, die nicht wirklich zusammenpassen, krampfhaft durchzuwinken. Eine von den demokratischen Parteien tolerierte und fallweise unterstützte Politik wäre mal ein spannendes Novum für Berlin.

  5. 2.

    Die viermalige umbenannte sed wird den Koalitionvertrag zustimmen, so machtbesessen und verschlagen sie sind. Gerade dieser Lederer, ein Meister der Intrigen, wird die Zweifler "bekehren".
    Auf der anderen Seite, wäre ein Scheitern der Kollaboration für Berlin ein glücklicher Umstand

  6. 1.

    "Also wird dann deutlich zu Tage treten, was natürlich auch jetzt allen klar ist: SPD, Grüne und Linken haben den Konflikt nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die linke Basis wird Klaus Lederer an seine Aussage auf dem Parteitag im Oktober erinnern, dass man dann im Zweifel rausgehen müsse aus der Koalition. Die rot-grün-rote Bruchstelle ist programmiert."

    Wir erinnern uns, die Linke mußte schon einmal ein paar fette Kröten schlucken, das vergisst die Basis nicht. Das gleiche Dilemma wie 2001. Mitregieren und -gestalten oder Fundamentalopposition? 2002 konnte die PDS einige Härten abmildern, die die sPD u.a. für Mieter geplant hatte.

    Apropos Kröten, warten wir's ab statt wie Frau Müller jetzt schon zu unken. Das Korrektiv Die Linke ist wichtig für eine soziale Politik in Berlin.

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