Sondierungen in Berlin gehen weiter - Es kann nur drei geben
Bisher verliefen die Sondierungen in Berlin in betonter Harmonie. Doch mit Nettigkeiten dürfte jetzt Schluss sein. In der zweiten Sondierungsrunde wird sich zeigen, wer wirklich mit wem kann - und wer rausfliegt. Von Jan Menzel
Alle mit allen, aber auch ein bisschen jeder gegen jeden. In Berlin geht es um einiges bunter zu als im Bund, wo ebenfalls sondiert wird. Das liegt nicht nur daran, dass in der Hauptstadt rein rechnerisch viel mehr möglich ist. Es geht auch darum, sich möglichst teuer zu verkaufen, die eigene Verhandlungsposition zu stärken und möglichst viel vom eigenen Wahlprogramm durchzusetzen.
Die SPD als stärkste Kraft nach der Abgeordnetenhauswahl hat als erste alle im Parlament vertretenen Parteien außer der AfD zu Gesprächen eingeladen. Die Grünen als Nummer zwei - gemessen am Wahlergebnis - sind seit Wochenanfang ebenfalls als Gastgeber ins Sondierungsgeschäft eingestiegen: Die Linken waren schon da, am Mittwoch schaut die CDU vorbei. Die Christdemokraten wiederum werden sich vorher mit der FDP in ihrer Landesgeschäftsstelle treffen.
So weit, so unübersichtlich. Doch mit Blick auf die Parteiprogramme, die Ankündigungen vor der Wahl, die Machtverhältnisse in den Parteien und das, was die Verhandler und Verhandlerinnen zwischen den Zeilen verraten, zeigt sich, für welche potentiellen Bündnispartner es ganz schwer wird und wer sich berechtigterweise Hoffnungen auf eine Koalition machen darf. Die Optionen im Schnell-Check:
Jamaika (Schwarz-Gelb-Grün)
Hat eigentlich nur aus Sicht der Grünen begrenzten Charme. Für Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wäre diese Konstellation die einzige, mit der sie Regierende Bürgermeisterin werden könnte.
Der Preis wäre aber die denkbar knappste parlamentarische Mehrheit von nur einer Stimme. So etwas tut sich niemand ohne Not an. Zumal bei dieser Wahl sehr viele junge Abgeordnete erstmals neu ins Abgeordnetenhaus gewählt wurden. Das erhöht eher die Unsicherheit als die Stabilität.
Prognose: Extrem unwahrscheinlich, taugt nicht einmal als überzeugende Drohkulisse.
Kenia (Schwarz-Rot-Grün)
Ein solches Bündnis käme im Abgeordnetenhaus sogar ganz knapp auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das klingt erst einmal verlockend, ist aber viel mehr, als eine Koalition im Tagesgeschäft braucht. Dass in Brandenburg eine "Kenia"-Koalition regiert, hat im Abgeordnetenhaus bislang keine der Fraktionen sonderlich inspiriert.
Vor allem Grüne und CDU haben sich kulturell und politisch in den vergangenen Wochen und Monaten eher voneinander weg als aufeinander zu bewegt. Der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner stellte erst Anfang der Woche mit Blick auf das Programm der Grünen fest: "Da fehlt mir ein Stück weit die Fantasie, wie wir zu Gemeinsamkeiten kommen." Die Grünen in Kreuzberg dürften das genauso sehen.
Prognose: Sehr unwahrscheinlich. Kenia ist in Berlin bislang nur eine taktische Option.
Deutschland-Koalition (Rot-Schwarz-Gelb)
Das ist der Traum von CDU und FDP. Und hartnäckig hält sich das Gerücht, dass SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey sich diese Variante ebenfalls gut vorstellen kann, obwohl Giffey das so nie laut gesagt hat. Allerdings laufen in mehreren großen SPD-Kreisverbänden die Parteilinken Sturm gegen eine Zusammenarbeit mit der CDU. Sicherlich spielen dabei auch Auftreten und Erscheinungsbild der CDU im Bund eine Rolle.
Der Reinickendorfer SPD-Kreischef Jörg Stroedter, ein gut vernetztes Schwergewicht im innerparteilichen Machtgefüge, spricht davon, dass die CDU nicht regierungsfähig ist: "Weder im Bund, im Land, noch im Bezirk." Die CDU wiederum betont, wie viele Übereinstimmungen es bei den Wahlprogrammen von Union und SPD gebe. Weil Giffey im Wahlkampf so klar gegen Enteignungen Stellung bezog und auch an anderer Stelle rechts blinkte, fühlte sich mancher Christ- und Freidemokrat quasi schon zu Koalitionsverhandlungen eingeladen. In der Sondierungsstrategie von Franziska Giffey ist und bleibt die Deutschland-Koalition mindestens ein Faustpfand, um eine gute Ausgangsposition für die Gespräche mit Grünen und Linken zu haben.
Prognose: Eine Deutschland-Koalition ist möglich, aber für die SPD eine Zerreißprobe.
Die Ampel (Rot-Gelb-Grün)
Die Ampel hat gerade Konjunktur. Immer wieder ist zu hören, dass die Bundesspitzen von SPD, FDP und Grünen es gern sähen, wenn die Berliner Landesverbände ihrem Farben-Beispiel folgen und auf Ampel sondieren würden. Auch Franziska Giffey verweist gerne darauf, was Olaf Scholz im Bund versucht und dass es in Rheinland-Pfalz doch eine gut funktionierende Ampel unter einer sozialdemokratischen Regierungschefin gebe.
Dass Berlin nicht Mainz ist, zeigte sich aber schon am Wahlabend, als FDP-Generalsekretär Lars Lindemann die Grünen schroff abbürstete. Die vergangenen fünf Jahre gab es im Abgeordnetenhaus kaum eine Gemeinsamkeit. Die FDP gilt abseits von der AfD als schärfste Kritikerin der Pop-Up-Radwege, die sie als als Inbegriff der grünen Verkehrswende sieht. In den Augen vieler linker Grüner - und die haben im Berliner Landesverband die Mehrheit - hat sich die FDP ihr Yuppie-Image redlich erarbeitet. Wenn Grüne und FDP am Donnerstag miteinander sondieren, stehen sie somit noch ganz am Anfang. Was dennoch für die Ampel spricht, ist, dass Franziska Giffey sie ihrer SPD als das kleinere Übel im Vergleich zu einem Bündnis mit CDU-Beteiligung verkaufen könnte.
Prognose: Die Ampel bleibt – trotz hoher Hürden – möglich.
Rot-Rot-Grün
Man kennt sich. Das hat naturgemäß Vor- und Nachteile. Die vergangenen fünf Jahre haben deutlich gezeigt, wo Rot-Rot-Grüne an einem Strang ziehen und wo sie streiten wie die Kesselflicker. Für die Linke ist Rot-Rot-Grün die einzige Möglichkeit, um weiter mitzuregieren. Das könnte die Kompromissbereitschaft erhöhen. Der erfolgreiche Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen" liegt ganz auf Linie der Linken, erhöht aber das Konfliktpotential mit der SPD.
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hatte schon im Wahlkampf R2G als Wunsch-Konstellation ausgerufen, nachdem ihr das Rote Rathaus zunehmend außer Reichweite geriet. Doch Jarasch und die Grünen machen mit den eigenen Sondierungen unabhängig von der SPD deutlich, dass sie sich nicht als Anhängsel verstehen. Auch hier geht es um Taktik und um Optionen. Die grüne Basis tickt jedoch mehrheitlich klar links. Und auch in der SPD gibt es sehr große Sympathien für die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün.
Prognose: R2G hat Chancen auf eine Fortsetzung, aber nicht als reines "Weiter so".
Und wie geht es jetzt weiter?
Erfahrene Verhandler wissen, dass Sondierungen und noch mehr Koalitionsverhandlungen immer ihre eigene Dynamik inklusive überraschender Wendungen haben und manchmal etwas mehr Zeit brauchen.
Bisher war immer die Rede davon, dass die wahrscheinlich neue Regierende Bürgermeisterin am 16. Dezember gewählt wird, auf der letzten regulären Sitzung des Abgeordnetenhauses in diesem Jahr. Nach Informationen des rbb planen die Fraktionen für die Wahl jetzt eine Sondersitzung des Parlaments am 22. Dezember kurz vor Weihnachten ein.
Sendung: Inforadio, 06.10.2021, 07:05 Uhr